Von David Miller, unter_bau Frankfurt
Ein Sprung in eine mögliche Zukunft: Bei den Bundestagswahlen 2029 kommt es zu einer ersten Koalition zwischen CDU und AfD, nachdem eine Legislaturperiode zuvor ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis abgewählt worden ist. Unter dem Kanzler Jens Spahn und dem neuen Justiz- und Innenmister Björn Höcke kommt es zu massiven Einschnitten in Freiheitsrechte wie Versammlungs-, Streik- und Asylrecht. Die Opposition im Bundestag leistet außer einigen heftigen Wortgefechten keinen Widerstand gegen diese Verschärfungen. Die Einschnitte in die Freiheitsrechte werden von der neuen Bundesregierung mit der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China begründet. Durch die Ausbreitung von Kriegen und großen Naturkatastrophen in Afrika und Asien versuchen immer mehr Menschen nach Europa zu kommen. Weder die Türkei noch die nordafrikanischen Staaten wie Ägypten und Libyen können die Menschen mit ihren Lagern und Gefängnissen davon abhalten. Dem massiven reaktionären Rollback und der Repression zum Trotz gibt es aber auch positive, gegenläufige Entwicklungen zu verzeichnen.
So wie Frankreich 1968 erfasst Deutschland eine von den Schulen und Universitäten ausgehende, hierzulande nie dagewesene Streikbewegung. Nicht nur Studierende, Dozent_innen, Schüler_innen, Lehrer_innen, Pflegekräfte und Sozialarbeitende gehen auf die Straße, sondern auch Lohnabhängige in wichtigen Infrastruktur-Knotenpunkten wie Flug- und Seehäfen und bei der Bahn streiken mit. Selbst die Arbeiter_innen in der Automobil- und Chemieindustrie schließen sich den Streiks an. Auslöser war ein unbefristeter Frauenstreik am 8. März, der die immer noch herrschende Ungleichheit der Löhne angeprangert und eine Bezahlung von unsichtbarer Arbeit in Pflege und Erziehung gefordert hat. Dadurch, dass sich Millionen von Menschen in Deutschland an den Streiks beteiligten, kann die neue Bundesregierung nach langwieriger Auseinandersetzung zum Rücktritt und zur Rücknahme der beschlossenen Gesetze gezwungen werden.
Eine derart schlagkräftige Bewegung, die den sich sammelnden autoritären und reaktionären Kräften durch ökonomischen Druck von unten Einhalt gebieten kann, erscheint vielleicht vom gegenwärtigen Standpunkt aus als bloßer Wunschtraum. Wenn wir uns jedoch heute daran machen, die basisgewerkschaftliche Organisation voranzutreiben, muss das nicht für immer der Fall sein. Von dort aus wird uns auch die Utopie einer befreiten Gesellschaft nicht mehr als unerreichbar vorkommen müssen. Denn in dieser Organisation können wir die praktische Erfahrung machen, dass es eine Alternative zur jetzigen Gesellschaftsordnung gibt.
Ein Sprung zurück in unsere Gegenwart 2018: Es herrscht große Ratlosigkeit. Vom linksliberalen Feuilleton über die sozialdemokratischen und liberalen Parteien im Bundestag bis hin zur außerparlamentarischen Linken fehlt es an einer zündenden Idee, wie man dem Rechtsruck in Gestalt von AfD, der Identitären Bewegung und dem »Institut für Staatspolitik« etwas entgegen setzen könnte. Viele Menschen sind entschlossen, sich politisch einzumischen und zu organisieren. Es fehlt aber an einer vernünftigen linken Organisation mit einer guten Strategie, klaren Forderungen und einem Partizipationsangebot, das mehr Menschen erreicht als nur junge Studierende und Schüler_innen. Die fehlende Strategie der gesellschaftlichen Linken macht sich nicht erst seit dem Einzug der AfD in den Bundestag bemerkbar. Seit der Auflösung des SDS 1970 gibt es keine nennenswerte antiautoritäre Organisation in der BRD mehr. Die Linke ist zum größten Teil in kleine Affinitätsgruppen zerfallen oder hat liberale und sozialdemokratische Parteien gegründet. Zwar gibt es alle Jahre wieder ein Großevent, bei dem von den NGOs über die Parteien bis zu den Autonomen niemand fehlt, jedoch haben diese Gipfelproteste und die sie flankierende Kampagnenpolitik keine oder kaum Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Mit Bezugnahme auf die militanten Proteste etwa bei der G20-Gegenmobilisierung in Hamburg weitet der Staat die Repression aus. Die außerparlamentarische Linke isoliert sich immer stärker von großen Teilen der Bevölkerung – insbesondere von den direkt oder indirekt Lohnabhängigen – weil sie mit solchen Aktionsformen nicht an den Alltagsbedürfnissen der Menschen ansetzt, sondern nur auf einer symbolischen und medialen Ebene »Widerstand veranstaltet«. Zwar wird in vielen linken Artikeln und Strategiepapieren Kritik an Kapitalismus und gesellschaftlicher Herrschaft formuliert. Und zuweilen werden dabei sogar die Probleme und Kämpfe im Alltag »der Leute« zum Ausgangspunkt genommen. Es fehlt allerdings in der Regel an Vorschlägen, wie deren unterschiedliche Interessen gebündelt werden könnten, ohne dass man dabei die soziale Frage und die Kämpfe gegen verschiedene Formen von Diskriminierung gegeneinander ausspielt.
Im Folgenden werde ich einige Ansätze skizzieren, die sich aus einer basisgewerkschaftlichen Perspektive für die Lösung dieser Problemstellung anbieten und dabei ein Hauptaugenmerk auf die Hochschulen richten.
Ausgangspunkte einer Organisierung sollen nach basisgewerkschaftlicher Vorstellung unmittelbar jene gesellschaftlichen Verhältnisse sein, in denen wir leben und lernen oder arbeiten. Ausschließliche Kampagnenpolitik ohne einen Organisierungsansatz ist ein relativ junges, aber weit verbreitetes Phänomen innerhalb der Linken, das insbesondere mit den Kampagnen gegen die Notstandsgesetzgebung und den Springer-Konzern Ende der 60er Jahre aufgekommen ist. Aus Angst vor »Reformismus« war es in den 60er und 70er Jahren im Spektrum der außerparlamentarischen Linken geradezu verpönt, sich um die Probleme des Alltags zu kümmern. Groß angelegte allgemeinpolitische Kampagnen sollten die Bevölkerung politisieren.
Zwar wird auf großen Bündnisdemonstrationen versucht, mithilfe der Parole vom »Zusammenbringen der sozialen Kämpfe« die Isolation der außerparlamentarischen Linken zu durchbrechen, jedoch bleibt es meist bei solchen Lippenbekenntnissen, die keine Auswirkungen auf die alltägliche Praxis haben und die in keiner Weise helfen, die lokale Organisierung zu verstetigen. Nur eine Minderheit der von der Universität geprägten Linken setzt sich am Arbeitsplatz oder am Wohnort mit den Lebensrealitäten anderer Milieus auseinander. Die akademische Blase bleibt meist bestehen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es zunächst widersinnig, die Hochschule als Ausgangspunkt zu wählen. Allerdings gilt auch hier das Prinzip, bei der politischen Organisierung vom eigenen Arbeits- und Lebensumfeld auszugehen.
An der Hochschule ist seit mehreren Jahrzehnten eine der neoliberalen Ideologie entsprechende Transformation vollzogen worden. Dies äußert sich in besonderem Maße in der Debatte um Studiengebühren, der Durchsetzung der Bologna-Reformen, dem Outsourcing von Dienstleistenden und der Befristung des Hochschulpersonals. Die Spaltung der Gesellschaft lässt sich an den Hochschulen gut nachzeichnen. Welche Studierendenhochschulgruppen stehen auch nur in Kontakt mit dem outgesourcten Reinigungs- oder Sicherheitspersonal oder führen gar gemeinsame Kämpfe? Es gibt kaum noch Kommunikation, geschweige denn Vertrauen zwischen diesen unterschiedlichen Gruppen. Auch zu den Mitarbeitenden in Verwaltung oder beim Studierendenwerk sind die Kontakte der engagierten Studis rar gesät. Umgekehrt fehlt es älteren linken Aktivist_innen, die jetzt in der Verwaltung oder als Dozent_innen arbeiten, meist an Zeit und Energie, sich an wöchentlichen Treffen studentischer Gruppen zu beteiligen. Eine funktionierende basisgewerkschaftliche Struktur an den Hochschulen muss organisatorische und strategische Ziele verbinden und eine Arbeitsteilung ermöglichen, die nicht automatisch zu Wissensmonopolen, informellen Hierarchien und zur Überlastung Einzelner führt. Einen solchen Versuch unternimmt die in den letzten drei Jahren an der Goethe-Universität Frankfurt aufgebaute basisdemokratische Hochschulgewerkschaft unter_bau.
Struktur: Arbeitsteilung und Entscheidungsfindung
Die Hochschulgewerkschaft unter_bau unterscheidet sich sowohl von den DGB-Gewerkschaften als auch von kämpferischen Berufsgewerkschaften vor allem durch ihre innere Organisation. Die Entscheidungsgewalt liegt an der Basis, das heißt in den jeweiligen Vollversammlungen der Gewerkschaft oder der Statusgruppen. Die Vollversammlungen tagen meist nur einmal im Monat. Tagesordnung und Anträge müssen mindestens drei Tage zuvor versendet werden. Somit wissen alle betroffenen Mitglieder, was in der Vollversammlung besprochen und abgestimmt wird. Auf den Vollversammlungen gibt es sogenannte rotierende Mandate etwa für die Moderation, das Protokoll sowie das Kochen und Aufräumen, die am Ende der Vollversammlungen für die kommenden Treffen vergeben werden. Die rotierenden Mandate sollen Sorge dafür tragen, dass die Vollversammlung ordentlich vorbereitet wird und sich eine angenehme Diskussionskultur entwickeln kann. Dabei wird darauf geachtet, dass nicht immer dieselben Personen dieselben Aufgaben übernehmen. Weil die Vollversammlung nur einmal im Monat stattfindet, muss sichergestellt werden, dass bestimmte Aufgaben in der Zwischenzeit erledigt werden. Hierzu gibt es im unter_bau unterschiedliche imperative Mandate.
Das Föderationssekretariat z.B. wird auf einem Jahreskongress für ein Jahr gewählt und umfasst folgende Aufgabenbereiche: allgemeine Verwaltung, Finanzen, Öffentlichkeit, gewerkschaftliche Aktion, Außenkontakte. Dafür werden jeweils zwei Personen gewählt. Die Hälfte der Sekretariatsposten muss mit Frauen* besetzt werden. Das Sekretariat ist dazu verpflichtet, auf der Vollversammlung von seiner Arbeit zu berichten. Über eine Mandatsbeschreibung wird festgelegt, in welchen Angelegenheiten die Sekretär_innen autonom entscheiden können und über welche sie auf der Vollversammlung abstimmen lassen müssen. Beispielsweise muss das Öffentlichkeitssekretariat seine Pressemitteilung nicht durch die Vollversammlung absegnen lassen. Plakate und Flyer für eine Aktion müssen ihr jedoch vorgestellt werden. Bei Missachtung ihrer Mandatsaufgaben können die Sekretärinnen jederzeit von der monatlichen Vollversammlung abgewählt werden. Diese Arbeitsweise setzt Vertrauen in die Genoss_innen voraus sowie darin, dass die Mandatierten zuverlässig arbeiten und sich immer wieder mit der Basis rückkoppeln. Das Prinzip imperativer Mandate, bei dem die Basis die Aufgaben festlegt und deren Erfüllung kontrolliert, durchzieht sämtliche Basisgremien, d.h. auch alle Vollversammlungen der Statusgruppen und Untergremien wie z.B. die Arbeitskreise.
Zusätzlich zur Geschlechterquotierung gibt es noch eine Reihe weiterer struktureller Mechanismen im unter_bau, die die Beteiligung von Frauen* an der Gewerkschaftsarbeit fördern sollen. Hier ist zunächst einmal die Frauen*vollversammlung zu nennen, die allen Frauen* im unter_bau eine Anlaufstelle bietet und in der Diskriminierungen und Sexismus in Abwesenheit von Männern besprochen werden können. Um wirksame, gemeinsame Arbeit gegen patriarchale Verhältnisse an der Hochschule leisten zu können, gibt es zusätzlich zu dieser Struktur offene Arbeitsgruppen zu feministischen Themen, bei denen Personen aller Geschlechter eingeladen und aufgefordert sind, sich zu beteiligen.
Die Mandatierten sind generell angehalten, möglichst viele Menschen in ihre Arbeit miteinzubeziehen, indem sie mitgliederöffentliche Treffen der Sekretariate und ihrer Arbeitskreise anbieten, regelmäßig Workshops zur Befähigung und Weiterbildung von Interessierten durchführen und mindestens beim Jahreskongress ihre Arbeit schriftlich reflektieren und dies mit allen Mitgliedern diskutieren. Auch wenn diese Organisationsstruktur sicherlich nicht frei von Problemen ist, ermöglicht sie weit mehr als nur einer Handvoll Menschen, sich zu organisieren.
Die Basisgremien des unter_bau entscheiden mit einfacher Mehrheit nach Abstimmung. Eine Geschäftsordnung regelt alle wichtigen Verfahrensweisen. Das Konsensprinzip, das bei 90 Prozent aller außerparlamentarischen Gruppen verwendet wird, ist ein relativ neues Phänomen und führt in größeren Gruppen häufig zu informellen Hierarchien und langen Diskussionen ohne Entscheidung, weshalb der unter_bau auf dieses Verfahren verzichtet.
Zusätzlich zur gewerkschaftlichen Föderation, die als erstes aufgebaut wird, kann je nach Größe und Organisationsgrad zukünftig auch eine politische Föderation eingerichtet werden. Diese würde analog zur gewerkschaftlichen »horizontalen« Struktur funktionieren, ihre Mitglieder jedoch nicht nach Statusgruppen, sondern nach Fachbereichen organisieren. In der politischen Föderation sollen sich also alle Statusgruppen eines Fachbereichs organisieren, um gemeinsame Forderungen zu entwickeln und einen kritischen Gegenpol zu den institutionell verankerten Gremien bilden. Eine größere Basisgewerkschaft bestünde idealerweise in einer Doppelföderation der Statusgruppen einerseits und Fachbereiche andererseits. Beide zusammen könnten die Basis für eine rätedemokratische Transformation der Hochschulen darstellen.
Inhalte: Analyse und Ziele
Der unter_bau versucht, die unterschiedlichen Lohnabhängigen der Universität – seien es Verwaltungsangestellte, Hilfskräfte, wissenschaftliche Mitarbeitende oder Reinigungskräfte – mit den Studierenden als größter Statusgruppe zusammenzubringen. Im Strategiepapier heißt es dazu: »Die quantitative, politische Stärke studentischer Aktivist_innen, die häufig ins Leere läuft oder nur kurzfristige Zugeständnisse erreicht, verbindet sich mit der qualitativen, ökonomisch-strukturellen Macht von Mitarbeiter_innen, die häufig isoliert bleibt, zu einer machtvollen Synthese«. Bevor jedoch eine Gewerkschaft Attraktivität für all diese Gruppen ausstrahlt, muss sie sich zunächst den Ruf erarbeiten, eine kompetente und zuverlässige Organisation zu sein. Hierzu ist es wesentlich, den Betrieb, den man organisiert, gut zu kennen. Das Erstellen einer Betriebsanalyse, die Druckpunkte im Betrieb ausmacht, Gemeinsamkeiten von Statusgruppen findet und Forderungen entwickelt, die von den Bedürfnissen der Betroffenen ausgehen, ist elementar für die erfolgreiche Organisierung. Ziel ist nicht, stellvertretend Politik zu machen, sondern dass sich die oben genannten Statusgruppen in Selbstorganisation gegenseitig unterstützen. Die großen Veränderungen – wie ein eigener Tarifvertrag oder das Insourcing von ausgelagerten Beschäftigten – werden nicht geschenkt. Am Anfang muss man sich mit den Alltagskämpfen auseinander setzen – sei es Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die Kündigungen von Kolleg_innen ebenso wie Sexismus und Rassismus am Arbeitsplatz.
Dazu ein Beispiel aus unserer Praxis: In einer Abteilung der Goethe-Universität sollten fünf Kolleg_innen gefeuert werden. Die restlichen Kolleg_innen solidarisierten sich mit diesen und haben sich organisiert. Die mit Unterstützung der Gewerkschaft geschulten Mitglieder konnten auf der darauf folgenden Teamsitzung durch ein klares Statement aller Beschäftigten den Druck auf die Leitung dermaßen erhöhen, dass die Kündigungen zurückgezogen wurden. Dieser Kampf wurde ohne eine große Aktion oder Öffentlichkeit gewonnen, allein dadurch, dass sich die Beschäftigten gemeinsam auf Forderungen verständigten, sich organisatorisch zusammenschlossen und gewerkschaftliche Unterstützung in politischen und rechtlichen Fragen bekamen. Daran wird ersichtlich, dass basisdemokratische Gewerkschaftsarbeit nicht auf spektakuläre Aktionen setzt, sondern zuallererst versucht, die nötige Aufbauarbeit im Kleinen zu leisten. Erst wenn die Mehrheit der Angestellten und Studierenden sich in Basisgruppen organisiert hat, ergibt es Sinn, etwa für einen Tarifvertrag in den Streik zu treten.
Entwicklung: Von der Initiative zur Gewerkschaft
Dieser an der Frankfurter Uni begonnene Prozess ist sehr langwierig. Wir haben etwa anderthalb Jahre mit einer kleinen, aber stetig wachsenden Gruppenstruktur gearbeitet und sind erst an die Öffentlichkeit gegangen, als ein Grundgerüst aufgebaut war und sich auf eine Struktur und Strategie geeinigt werden konnte. Diese Praxis ist in der außerparlamentarischen Linken eher unüblich. Meist wird ohne eine Vordiskussion zum Bündnistreffen eingeladen, bei dem man sich auf ein paar Forderungen einigen kann, jedoch Struktur und Strategie außen vor gelassen werden.
Im unter_bau waren wir beim ersten Treffen nur sechs Personen. Nach vier Jahren Aufbau haben wir über 200 Mitglieder. Daran wird deutlich, dass die organisatorische Arbeit mühsam und langwierig ist und die Revolution nicht gleich vor der Tür steht. Man muss sich auch auf Menschen einlassen können, die nicht aus der linken Szene kommen. Und natürlich auch auf die, die aus der linken Szene kommen.
Solche Offenheit, Gesicht zu zeigen und auf die Menschen zuzugehen, ist innerhalb außerparlamentarischer politischer Zusammenhänge wenig verbreitet. Jedoch ist ohne diese Offenheit eine basisdemokratische Gewerkschaft zum Scheitern verurteilt. Das betrifft auch die Offenheit, politische Erfahrung nicht in den eigenen Reihen zurückzuhalten, sondern weiterzugeben. Zu diesem Zweck hat der unter_bau einen Reader – den unter_bauplan – und ein Workshop-Programm konzipiert, die interessierten Kolleg_innen in anderen Städten Wissen über basisdemokratische Aufbauprozesse vermitteln.
Ausblick: Bundesweite Föderation von Basisgewerkschaften an Hochschulen
Seit der letzten großen Bewegungsphase an Hochschulen in den Jahren 2009/10 gab es immer wieder lokale und regionale Proteste: 2013/14 in Ostdeutschland, 2015 bei den Hilfskräftestreiks in Frankfurt und der Besetzung der Hochschule in Landau sowie 2017 bei den verschiedenen Besetzungen von Hochschulen in Berlin und den Streiks der Berliner Hilfskräfte in diesem Jahr. Es gibt auch einige vielversprechende basisgewerkschaftliche Ansätze im Bildungsbereich, etwa bei der FAU Jena, Berlin und Hannover sowie eine Vernetzung des Mittelbaus – das »Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft«. Trotz der Ansätze zu bundesweiten Bündnissen im studentischen Bereich – wie »Lernfabriken meutern« oder dem »Aktionsbündnis gegen Studiengebühren« – konnte aber keine neue überregionale Welle von Protesten ausgelöst werden. Dafür wäre es nötig, auch auf überregionaler Ebene andere Vernetzungsstrukturen zu schaffen als lose Netzwerke.
Eine bundesweite Föderation von Basisgewerkschaften an Hochschulen und darüber hinaus scheint in weiter Ferne zu liegen. Wir sollten dennoch versuchen, eine solche aufzubauen. Denn die Reaktion schläft nicht. In den nächsten Jahren wird es voraussichtlich zu massiven neoliberalen Angriffen auf die Hochschulen kommen und der Organisationsprozess der »Neuen Rechten« weiter voranschreiten. Um diesen Entwicklungen etwas entgegensetzen zu können, muss die außerparlamentarische Linke ihre Praxis und Organisationsformen reformieren. Dafür wird es zwar nicht ausreichen, nur an den Hochschulen gut organisiert zu sein. Diese Organisierung könnte jedoch als Vorbild für andere Lebensbereiche dienen. Schließlich befinden sich Hochschulen nicht im luftleeren Raum, sondern in einem Wechselverhältnis mit dem Rest der Gesellschaft. Die meisten Studierenden verlassen die Hochschule nach dem Studium. Wenn sie die Idee und die Erfahrung basisdemokratischer Organisierung in ihr weiteres Berufsleben mitnehmen und auch an ihren neuen Arbeitsplätzen gewerkschaftliche Strukturen aufbauen, liegt das Ziel einer gesellschaftlich Verankerten und politisch Schlagkräftigen linken Bewegung vielleicht doch nich so fern, wie es uns derzeit erscheinen mag.