Von Thomas Zimmermann
Seit Monaten gehen unter dem Banner der Bewegung Fridays for Future Schüler*innen und ihre Unterstützer*innen auf die Straße, um den Planeten vor der klimatischen Katastrophe zu bewahren. Zwar stellt ökologisches Engagement als solches gerade unter jungen Leuten keine Neuheit dar – unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Lage hat jedoch der Umfang und die Entschiedenheit sowie die Reflektiertheit der Proteste eine neue Qualität angenommen.
Schließlich versammeln sich diese Schüler*innen nicht, um zu debattieren, wie sie zu Hause am besten den Müll trennen sollen. Sie gehen auch nicht auf die Straße, um diese von Zigarettenstummeln zu säubern. Dass sie sich versammeln, zeugt gerade von ihrem Unwillen, sich mit illusorischen Lösungsvorschlägen abspeisen zu lassen, die das Problem privatisieren – und von ihrem Willen, die gesellschaftliche Anstrengung zu forcieren, derer es in Wirklichkeit bedarf. Dass sie auf die Straße gehen, zeugt weiter von ihrem Verständnis dafür, dass das Problem effektiv nicht an seinen äußersten Auswirkungen angegangen werden kann, sondern nur an seinen Ursachen – sowie von ihrem Unverständnis für eine Politik, die grundsätzlichen Fehlentwicklungen mit oberflächlichen Reformen beikommen will.
Am 21. Mai fanden sich an der Humboldt Universität Berlin mehr als 700 Studierende in einem dicht gedrängten Hörsaal zu einer Vollversammlung zusammen, um sich offiziell mit den Streiks der Schüler*innen zu solidarisieren, sich der Bewegung anzuschließen und in Anlehnung an das Programm von Fridays for Future eine Reihe eigener Forderungen zu formulieren, zu diskutieren und schließlich zu verabschieden:
Erstens wurde gefordert, dass sich die HU als ganze mit der Bewegung solidarisiere. Zweitens solle den Worten mit Taten entsprochen und bis 2022 das Ziel einer klimaneutralen Universität erreicht werden – was etwa auch eine Umstellung der Mensen auf vegetarische bis vegane Küche und regionale Produkte mit einschließen solle. Drittens wurde der Berliner Senat aufgefordert, den Klimanotstand auszurufen und auch dieser symbolischen Handlung konkrete Maßnahmen folgen zu lassen: den öffentlichen Nahverkehr auszubauen, sodass die Stadt in Zukunft ganz ohne motorisierten Individualverkehr auskommen könne, und mit der Einführung eines kostenlosen Semestertickets für Studierende die Weichen für einen kostenlosen Nahverkehr für alle zu stellen. Viertens wurden die Gewerkschaften dazu aufgerufen, sich dem Kampf anzuschließen und gemeinsam eine nicht nur ökologische, sondern auch soziale Zukunft in Angriff zu nehmen. Und fünftens erging an alle HU-Studierenden die Aufforderung, sich dem internationalen Climate March am 24. Mai anzuschließen.
Der internationale Charakter der Bewegung geht dabei mit Konsequenz aus der globalen Natur der Problemstellung hervor. Während es der talking point vom Umweltschutz noch erlaubte, die ökologische Frage im Sinne regionaler Einzelprobleme abzuhandeln und sie dementsprechend zu externalisieren bzw. nationalistisch als »Heimatschutz« zu vereinnahmen, erscheint sie im Lichte des Klimawandels als das, was sie ist: eine unmittelbar globale Frage, die nur mit internationaler Solidarität und Koordination beantwortet werden kann. Zugleich erzeugt die Einsicht in die Verstricktheit gesellschaftlicher Einrichtungen und klimatischer Entwicklungen nicht nur ein bedrückendes Bewusstsein über unsere kollektive Verantwortung für Geschehenes, sondern auch ein erbauliches Bewusstsein über unsere Handlungsfähigkeit für die Zukunft:
Ist die Tendenz zur allgemeinen Erderwärmung und die damit einhergehende Häufung und Intensivierung extremer Klimaereignisse an der Art und Weise gelegen, in der wir Energie und Waren produzieren und deren sowie unseren Transport organisieren, so liegt es in unserer Verantwortung, diese Produktionsweisen und Verkehrsformen grundlegend zu verändern. Sind die katastrophischen Auswirkungen solcher Tendenzen und Ereignisse auch neoliberalen Politiken anzulasten, die soziale Sicherungssysteme abbauen und an infrastrukturellen Schutzvorkehrungen sparen lassen, so liegt es an uns, auch die politische Kultur radikal umzugestalten. Da es das dem Kapitalismus heilige Profitmotiv ist, das die Produktion zur Überausbeutung der natürlichen Ressourcen anhält und uns zugleich soziale Spardiktate aufzwingt, wurde zum Abschluss der Vollversammlung an der HU mit großer Mehrheit und unter großem Beifall festgehalten, dass die Verheerungen unseres Planeten an der Maßlosigkeit dieser Wirtschaftsweise gelegen sind und Klimaschutz demzufolge antikapitalistisch zu sein hat.
In diesem Sinne ist auch die Modifikation zu verstehen, die im Vorfeld der Vollversammlung an dem berühmten, im Foyer des HU-Hauptgebäudes angebrachten Marx-Zitat vorgenommen wurde: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu retten.« Denn zu retten ist die Welt nicht so, wie sie ist – so wie sie ist, ist sie nämlich nicht zu retten – sondern wir retten die Welt, indem wir sie verändern. Und dabei können wir keine Rücksicht nehmen auf die Interpretationen jener Philosoph*innen in Wirtschaft und Politik, die zu wissen glauben, was in dieser Welt möglich ist und was nicht. Denn die ökologisch-soziale Revolution ist notwendig – ohne sie hat die Welt keine Zukunft.