Von Bafta Sarbo
Der Nachfolgeband von Beißreflexe versammelt zum Teil hilfreiche Beiträge rund um das Verhältnis der Linken zu Rassismus und Religion.
Der Essayband Freiheit ist keine Metapher – herausgegeben von Vojin Saša Vukadinović im Querverlag – schließt an die sogenannte ›Kreischreihe‹ an, in der insbesondere Beißreflexe – herausgegeben von Patsy L‘Amour La Love – großes Aufsehen erregte. Der neu vorliegende Band soll vor allem Kritik an aktuellen Ausprägungen der Gender Studies in Bezug auf die im Untertitel aufgereihten Schlagworte »Antisemitismus, Migration, Rassismus und Religionskritik« üben. Nachdem Vukadinović bereits in der Jungle World und der EMMA Kritiken an den Gender Studies formuliert hatte, werden hier nun knapp 40 Autor_innen versammelt, um sich mit unterschiedlichen Aspekten dieses Themenkomplexes zu beschäftigen.
Die Essays widmen sich den von Vukadinović in der Vorbemerkung angeschnittenen Themen zum Teil direkt, zum Teil aber auch nur vermittelt. Ein inhaltlicher roter Faden ist für diejenigen, die sich in der Debatte auskennen, zwar durchaus erkennbar, jedoch unterscheiden sich die Beiträge in Umfang und Stil zum Teil gravierend: Das Spektrum reicht von eher subjektiven Schilderungen in Artikel- und Interviewform über politische Polemiken bis hin zu wissenschaftlichen Analysen. Das macht es schwer, das Buch als Ganzes zu diskutieren, weshalb hier nur schlaglichtartig auf eine enge Auswahl von Beiträgen eingegangen werden soll.
Auffällig ist gleich zu Beginn – in der Einleitung – die Provokation eines positiven Bezugs auf Thomas Maul. Während dessen wissenschaftlicher Beitrag zur Kritik von Gender Studies und Critical Whiteness als streitbar bezeichnet werden kann, ist es – allein aus strategischen Gründen – fragwürdig, ob die Bahamas im Allgemeinen, sowie Thomas Maul im Besonderen überhaupt sinnvoll für diese ohnehin schon aufgeladene Diskussion produktiv gemacht werden kann. Diese weisen sich eher durch eine Islam-Obsession und Kulturkampf-Rhetorik aus – in letzter Zeit etwa in Form von Albernheiten wie ›Weihnachtsplätzchenbacken gegen Islamismus‹ – als durch eine anschlussfähige Religionskritik oder eine sinnvolle Kritik an postmodernen Verirrungen der Linken. Damit sind sogleich Problematiken angesprochen, die sich auch anhand einiger Beiträge in diesem Band aufzeigen lassen. Anastasia Iosseliani folgert aus der Praxis der in ihrem Beitrag angeführten antiimperialistischen Szene (und nicht etwa aus einem Begriff von Imperialismus): »Für Individuen, für die Freiheit nicht nur ein abstrakter Begriff ist, gibt es demzufolge keinen Grund Antiimperialismus – gleich welcher Form und Schule – zu unterstützen.« Das würde bedeuten, dass Imperialismus entweder so nicht existiert, oder dass er nichts ist, womit sich die Linke auseinandersetzen sollte. Chloe Valdary, die sich gegen BDS an US-amerikanischen Universitäten einsetzt, erwähnt im Gespräch mit Christina Dschaak, dass sich ihr Engagement aus ihrer christlichen Sozialisation ergibt – und das in einem Buch mit »Religionskritik« im Untertitel. Außerdem werden die bürgerliche Gesellschaft, die Aufklärung und der sogenannte ›Westen‹ kritiklos affirmiert. Es sind die üblichen Fallstricke der antideutschen/ideologiekritischen Szene – einer Szene, die sich mehrheitlich positiv auf die Kritische Theorie bezieht –, die sich wahrscheinlich am besten mit dem Begriff der Dialektik der Aufklärung charakterisieren lassen. Denn auch diese reaktionären Elemente entstammen aus den Widersprüchen der Aufklärung und der bürgerlichen Gesellschaft selbst.
Unter anderem Dennis Schnittler, der sich in der Einleitung zu seinem Beitrag auf die Exklusivität der Menschenrechte gegenüber Schwarzen Menschen bezieht, sowie Marco Ebert, der die Theorie von Judith Butler als Produkt der bürgerlichen Gesellschaft selbst charakterisiert, greifen diesen Widerspruch durchaus auf – hier zeigen sich die Widersprüchlichkeiten der verschiedenen Beiträge des Bandes, der auch an keiner Stelle inhaltliche Einigkeit behauptet.
Eberts Beitrag Die »Identifikation mit dem Leiden« setzt sich mit der Affirmation des Schmerzes in Butlers Werken auseinander. Butler, die vor allem durch ihr Buch Gender Trouble (zu deutsch: Das Unbehagen der Geschlechter) populär wurde, genießt besondere Aufmerksamkeit in den deutschen Gender Studies, welche Vukadinović in seiner vorhergehenden Notiz als »performative Glaubensgemeinschaft« bezeichnet. Seit der Jahrtausendwende findet Vukadinović zufolge im Werk Butlers allerdings ein Turn weg von geschlechterpolitischen Fragen und hin zu einem sogenannten Antiimperialismus statt. Dieser zeichne sich durch die Forderung aus, die allen Subjekten gemeinsame Verletzlichkeit anzunehmen und zu affirmieren. Besonders hervorgehoben werden muss, dass der Beitrag sich zum einen auf verschiedene Werke Butlers bezieht und zum anderen sehr nah am Text arbeitet. Es handelt sich damit um eine Kritik, die Butlers Werk immerhin zu Wort kommen lässt.
Dennis Schnittlers Beitrag Der ewige Neger liefert eine längst überfällige Kritik des Rassismus aus einer materialistischen und psychoanalytischen Perspektive. Der ökonomische Teil basiert weitgehend auf Peter Schmitt-Egners Rassismuskritik aus den 70er Jahren. Daran schließt der psychonanalytische Teil an, wobei ein argumentativer Übergang oder zumindest eine materialistische Herleitung der psychoanalytischen Kategorien aus den ökonomischen wünschenswert gewesen wäre. Darüber hinaus lässt sich sicherlich diskutieren, wie gut die essayistische Form für dieses Thema geeignet ist und ob nicht vielleicht mehr konkrete Verweise sinnvoll gewesen wären. Nichtsdestotrotz bietet der Beitrag eine wertvolle Ergänzung der Kritik des Rassismus, die in Deutschland in der Regel eher vorurteilsbezogen und liberal argumentiert.
Der Beitrag von Tara Falsafi Für immer Fremdbestimmt?, in dem sie aus ihrer Erfahrung mit dem Tokenism-Vorwurf heraus die Fehlverwendung des Begriffs thematisiert, greift als übergeordnetes Thema allerdings einen sehr viel wichtigeren Punkt auf. Während der Begriff eigentlich eine liberale Repräsentationspolitik zum Zwecke der Besänftigung von politischen Minderheitenforderungen beschreibt, ist es mittlerweile ein Schlagwort zur Diskreditierung von migrantischen oder nicht-weißen Linken geworden, die sich kritisch zu Identitätspolitik äußern. Innerhalb der kritisierten politischen Strömung gilt der sogenannte Sprechort, das heißt die Positionierung der Sprechenden als Indikator für die Legitimität ihrer Aussagen. Demzufolge wäre Feminismus nur Sache von Frauen und LGBTIs und Antirassismus nur Sache von Schwarzen Menschen und PoCs. Der Tokenism-Vorwurf zielt allerdings drauf ab, jene von Rassismus betroffenen Linken, die Solidarität statt Identitätspolitik fordern, die legitime Sprecher_innenposition zu entziehen.
Der Herausgeber Vukadinović verweist im Vorwort auf das migrationspolitische und antirassistische Netzwerk Kanak Attak und zitiert dessen mittlerweile 20 Jahre altes Manifest in seinem expliziten Einspruch gegen die Frage nach Herkunft und Pass in Sachen des Antirassismus. Damit wurde damals ein neues migrantisches Selbstbewusstsein gefordert, dass die Frage der Identität in den Hinter- und die Frage der Haltung in den Vordergrund stellt. Dieses Selbstbewusstsein wird zum Schluss, trotz des provokanten Titels des von der Gruppe gegen migrantische Weinerlichkeit verfassten Beitrags, gefordert. Räumt die geistigen Ausländerbehörden ist eine Aufforderung, sich nicht nur als Opfer der Verhältnisse, sondern auch als Individuum in seiner politischen Subjektivität zu begreifen.
Trotz der eingangs erwähnten internen Widersprüche stellt Freiheit ist keine Metapher insbesondere für die Diskussion an der HU einen wichtigen Debattenbeitrag dar. Immerhin ist durch die hier situierten Gender Studies eben jenes diskursive Feld bereitet, auf das die meisten der Beiträge abzielen. Und letztlich hat auch die studentische Kritik an der Einrichtung des Instituts für islamische Theologie die Notwendigkeit und auch die Möglichkeit einer linken Kritik am politischen Islam deutlich gemacht. Allerdings gilt es dabei zu vermeiden, im Zuge einer Kritik am Islam bloß wieder dem Christentum oder einer der anderen ›Glaubensgemeinschaften‹ der bürgerlichen Gesellschaft und des ›Westens‹ auf den Leim zu gehen.
Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.): Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik. Querverlag. 496 Seiten, 19 €