Von Leonie Stibor
Die Erfahrungen der TV Stud-Kampagne zeugen von den Dos and Don‘ts des Arbeitskampfs, den Möglichkeiten und Schwierigkeiten gewerkschaftlicher Organisation.
Vor mehr als einem halben Jahr wurde die TV Stud-Kampagne für einen neuen Tarifvertrag der studentischen Beschäftigten an den Berliner Hochschulen beendet, der TV Stud III gilt seit Juli 2018. Er sah unter anderem eine sofortige Erhöhung des Stundenlohns von 10,98 € auf 12,30 €, eine gestaffelte Erhöhung auf 12,96 € im Januar 2022 und ab 2023 eine regelmäßige Stundenlohnerhöhung nach dem Tarifvertrag der Länder (TV-L) vor. Sowohl für eine sofortige Lohnerhöhung als auch eine Anbindung an den TV-L hatten die studentischen Beschäftigten (im Folgenden: wir) im Mai und Juni mit wochenlangen Streiks und Störaktionen aktiv gekämpft. Trotzdem war die Stimmung nach der Einigung gemischt. Denn so gut sich das Ergebnis unabhängig vom Kontext liest, blieb es doch hinter unseren Vorstellungen zurück und bei einigen der Eindruck hängen, dass ein besseres Ergebnis durchaus möglich gewesen wäre.
Ursprünglich hatten wir einen Stundenlohn von 14 € gefordert. Das klang für viele zunächst unangemessen und provokant, hätte das doch eine sofortige Lohnsteigerung von über 25 % bedeutet. Aber auch wenn die Lohnforderungenin solchen Verhandlungen aus strategischen Gründen tendenziell höher angesetzt werden als realistischerweise zu erwarten ist, waren 14 € kein aus der Luft gegriffener Wert, sondern bemaßen sich an der Inflationsrate seit 2011. Streng genommen kämpften wir damit nicht für eine Lohnerhöhung, sondern für eine Wiederherstellung des Lohnniveaus, auf das sich 2011 mit den Hochschulen geeinigt worden und das seither – im Gegensatz zu den Lebenshaltungskosten und zum Arbeitsaufwand – stetig gesunken war.
Es fällt schwer, sich aufrichtig über 12,96 € im Jahr 2022 zu freuen, wenn man weiß, dass der Reallohn für SHK-Tätigkeiten, um dem Wert des Lohns von 2011 zu entsprechen, schon 2016 bei über 13 € hätte liegen müssen, und man davon ausgehen kann, dass der Wertverlust bis 2022 eher voranschreiten als zurückgehen wird. Zumal es für alle anderen Beschäftigten an den Berliner Hochschulen, die nach TV-L bezahlt wurden, in den Jahren 2011 bis 2018 selbstverständlich war, dass einem so drastischen Wertverlust durch regelmäßige Lohnerhöhungen entgegengewirkt werden musste. Und auch für die Sicherung des Lohnniveaus der studentischen Beschäftigten waren von Seiten der Politik Gelder zur Verfügung gestellt worden – die jedoch für anderweitige Zwecke eingesetzt wurden. Die Zweckentfremdung, die damit streng genommen stattgefunden hat, war vielleicht auch aus dem Grund zulässig, dass SHK-Tätigkeiten an den Universitäten lange als ›Sachmittel‹ abgerechnet wurden.
Hinzu kommt, dass den studentischen Beschäftigten an der TU bereits seit Anfang des Jahres 2018 vorläufig 12,50 € pro Stunde gezahlt wurden. Auch deshalb hatten 12,30 € ab Juni 2018 einen etwas bitteren Beigeschmack. Die allgemeine Lohnerhöhung auf 12,30 € zog zwar keine Lohnsenkung für die Mitarbeiter*innen der TU nach sich, hatte jedoch zur Folge, dass Studierende nun seit einem Jahr und noch bis nächsten Juni je nach Hochschule unterschiedlich viel Geld für vergleichbare Arbeit erhalten und die studentischen Beschäftigten der TU drei Jahre lang keine Lohnerhöhung bekommen werden. Beides hatten wir eigentlich um jeden Preis verhindern wollen. Wie kam es dann aber überhaupt zu einer Einigung auf Basis dieser Eckpunkte?
Die Annahme des Eckpunktepapiers, das die oben genannten Daten enthielt, wurde von der gemeinsamen Tarifkommission der Gewerkschaften GEW und ver.di einstimmig am 6. Juni 2018 beschlossen. Zuvor hatte es, vom 3. bis zum 5. Juni, eine Befragung der gewerkschaftlich organisierten SHKs gegeben, in der eine Mehrheit für die Annahme des Papiers und damit für die Einigung mit den Hochschulvertreter_innen gestimmt hatte. Die Mitgliederbefragung wiederum war am 28. Juni von der Tarifkommission beschlossen worden – jedoch nicht einstimmig, sondern nur mit neun zu fünf Stimmen, was die vorangegangene lange Diskussion und Zwiegespaltenheit einiger Kommissionsmitglieder bezüglich der Einleitung der Befragung wiederspiegelte, die nach den Regeln der Gewerkschaftsbürokratie nämlich mit einer Empfehlung zur Annahme des aktuellen Eckpunktepapiers einhergehen musste.
Für die Befragung sprach dabei, dass man das weitere Vorgehen unbedingt – in dieser Hinsicht waren sich die Kommissionsmitglieder weitgehend einig – mit der ›Basis‹ rückkoppeln, d.h. die streikenden SHKs dazu befragen wollte, ob sie das letzte Verhandlungsergebnis bereits zufriedenstellte oder sie weiter streiken wollten, um ein besseres Ergebnis zu erzielen. Unterschiedliche Auffassungen über die weitere Streikbereitschaft der Studierenden – und daher auch darüber, wie realistisch es war, mit weiteren Streiks in den Verhandlungen mehr zu erreichen – hatten in der Tarifkommission im Vorfeld der Abstimmung zu heftigen Auseinandersetzungen bezüglich der weiteren Kampagnenarbeit geführt. Manche hatten Sorge, dass sich der Druck auf die Studierenden – sei es von Seiten der Vorgesetzten oder im Hinblick auf Tätigkeiten, die Studierende auch aus gesellschaftlichen oder politischen Gründen für wichtig hielten (z.B. Lehre, Gleichstellungsarbeit, Beratungstätigkeiten für Studierende) – im Laufe der Streiks gesteigert hatte. Andere wiederum machten stark, dass im Sommersemester gerade während der Streiks das Verständnis für die Situation der Studierenden und ihren Arbeitskampf zugenommen hatte. An den Streikposten schrieben sich außerdem immer noch neue Leute auf die Streiklisten oder traten in eine Gewerkschaft ein, ein Absinken der Streikkraft war aus den Statistiken – jedenfalls bis dato – nicht herauszulesen. Sowohl die Vermutung sich einstellender Streikmüdigkeit als auch die Annahme anhaltender Streikbereitschaft waren jedoch weitgehend auf persönliche Einzelerfahrungen gegründet. Eine größer angelegte Befragung der Studierenden erschien daher als Möglichkeit, sich einen besseren Eindruck davon zu machen, wie die Stimmung unter den SHKs war, und sich auf dieser Grundlage über das weitere Vorgehen verständigen zu können.
Da eine offizielle, mit Unterstützung der Gewerkschaften durchgeführte Befragung aller SHKs aber an eine Empfehlung zur Annahme des Eckpunktepapiers seitens der Kommission gekoppelt sein musste, war die Abstimmung nicht wirklich eine freie, offene Erhebung über Streikbereitschaft der Studierenden, sondern eher eine Absicherung der Entscheidung der Tarifkommission, das Eckpunktepapier anzunehmen. Dazu kam, dass sie nur die gewerkschaftlich organisierten Studierenden befragen würde und so diejenigen SHKs ausschloss, die zwar ebenfalls aktiv waren und streikten, sich jedoch keiner Gewerkschaft angeschlossen hatten. Auch diese SHKs einzubeziehen hätte jedoch den Gewerkschaftsvertretern zufolge zu großen Aufwand bedeutet. Und noch aufwändiger wäre es gewesen, zwei Befragungen durchzuführen – eine gewerkschaftliche, die nach den bürokratischen Richtlinien der Gewerkschaften ohnehin durchgeführt werden musste, um die Entscheidung der Tarifkommission zu bestätigen, und eine unabhängige, die nicht mit der Empfehlung des Einigungspapiers einherging. Der Kompromiss bestand darin, die gewerkschaftliche Befragung zwar durchzuführen, sie aber möglichst offen zu halten, indem man über die anhaltende Diskussion in der Tarifkommission informierte und sämtliche Punkte auflistete, die für und gegen eine Einigung sprachen. Letzten Endes war in den Pressemitteilungen zur Mitgliederbefragung dann aber trotzdem bereits von einer Tarifeinigung die Rede, womit der Eindruck erweckt wurde, dass es sich bei der Befragung lediglich noch um eine Absicherung der Entscheidung zur Einigung handelte. Die Streiks wurden mit der Durchführung der Mitgliederbefragung vorerst beendet, die SHKs mussten also an den Tagen der Abstimmung an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, wo sie eventuell bereits Konsequenzen ihres Fernbleibens der letzten Tage und Wochen zu spüren bekamen und Druck auf sie ausgeübt wurde. Das unter diesen Bedingungen herbeigeführte Ergebnis war eine knappe Zweidrittelmehrheit für den Abschluss: 68,2 % der GEW-Mitglieder und 64,2 % der ver.di-Mitglieder wollten die Einigung.
Die Debatten darüber, wie viel Streikkraft mobilisiert werden konnte und ob der langfristige Streik bei all seinen Risiken in Bezug auf das Verhandlungsergebnis erfolgreich sein würde, waren allerdings nicht erst in den Tagen vor der Einigung aufgekommen – in dieser Hinsicht bestand in der Kampagne schon länger Uneinigkeit. Vorher waren die Angebote der Hochschulen jedoch durchweg so schlecht gewesen, dass niemand – auch nicht diejenigen, die einen schnellstmöglichen Abschluss wollten – hätte einwilligen können. Das letzte Angebot hingegen war nach vielen extrem schlechten und sogar immer schlechter werdenden Angeboten endlich wieder ein Schritt in unsere Richtung und den Gewerkschaftsvertretern zufolge sogar zu gut, um dessen Ablehnung öffentlich rechtfertigen zu können. Es orientierte sich an den Werten, auf die sich wenige Tage zuvor mit Steffen Krach, Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung (SPD), und einigen Hochschulvertreter_innen als Minimalwerte geeinigt worden war. Hätten wir das Angebot abgelehnt, so die Befürchtung, wäre uns der Rückhalt in der Politik verloren gegangen, der uns das bessere Angebot erst ermöglicht hatte.
Der hohe Druck, der zum Zeitpunkt der Übergabe des Eckpunktepapiers bestand, war jedoch nicht einfach den äußeren Umständen und den Sorgen der Gewerkschaftsvertreter geschuldet, sondern gezielt durch die Verhandlungsmethoden der Hochschulen herbeigeführt. Derjenige Vorschlag, der mit kleinen Änderungen versehen schließlich in die Mitgliederbefragung gegeben wurde, war der Tarifkommission in der letzten Verhandlungsrunde erst als drittes Angebot überreicht worden – und zwar mit der Ansage, dass die Verhandlungspartner ein paar Minuten später das Gebäude verlassen würden und dies ihr letztes Angebot für eine Einigung sei. Die beiden vorigen Angebote hatten jeweils Werte weit unter den im Beisein von Steffen Krach vereinbarten Minimalwerten enthalten und die Vorbereitung der Tarifkommission auf die Verhandlung überflüssig gemacht.
Die Ansage machte aber auch deutlich, dass unsere Streiks und Aktionen in den Wochen zuvor ihre gewünschte Wirkung erzielt hatten. Obwohl jedes einzelne Angebot mit dem Kommentar gekommen war, dass das jetzt aber wirklich das allerletzte Zugeständnis wäre und es nicht mehr besser werden würde, hatten sich die Angebote im Zuge der Streiks allmählich verbessert. Dass das letzte Angebot nur fünf Minuten vor Ende der Verhandlungsrunde gekommen war und die Gegenseite klarmachte, dass ein weiterer Verhandlungstermin ausgeschlossen sei, zeigte, wie dringend sie den Abschluss und damit ein Ende der Streiks und Aktionen wollte. Dennoch gab die Kommission dem Druck nach und den Hochschulvertreter_innen das Eckpunktepapier einige Minuten nach der Übergabe nur mit wenigen, kleinen Änderungswünschen zurück. Die Strategie der Hochschulen war aufgegangen – die Vertreter_innen der SHKs hatten dem enormen Druck nicht standhalten können. Auch deshalb, weil die Gewerkschaftsvertreter verdeutlichten, dass sie unter diesen Umständen keine andere Möglichkeit als die Einwilligung sahen und weitere Streiks daher nicht unterstützen könnten.
Obwohl die Kommissionsmitglieder mit der Erwartung in die Verhandlung gegangen waren, die Minimalwerte aus dem Krach-Gespräch verbessern und von ihnen erarbeitete Vorschläge zur Umverteilung des Gesamtbudgets diskutieren zu können, hatten sie den halben Tag damit verbracht, sich über Angebote zu ärgern, die wieder unter dem lagen, worauf sich bereits geeinigt worden war – reines Kalkül vonseiten der Hochschulen: Diese gingen so einer Diskussion auf Basis der Minimalwerte aus dem Weg, die sie wahrscheinlich nicht nur Zeit, sondern auch mehr Geld gekostet hätte. Da wir in den letzten Minuten der Verhandlung, auch aufgrund der Reden der Gewerkschaftsvertreter, keine Möglichkeit mehr sahen, das Angebot abzulehnen, erschien uns die Mitgliederbefragung schließlich auch als die letzte Gelegenheit, eine Ablehnung des Eckpunktepapiers legitimieren und uns so die Unterstützung der Gewerkschaften und der Politik, die wir zu benötigen glaubten, trotz Ablehnung erhalten zu können.
Letztendlich ist davon auszugehen, dass die Weichen für einen solchen Abschluss schon sehr früh gestellt wurden. Von Anfang an und bis zuletzt waren die Gewerkschaften bezüglich unserer Streikkraft skeptisch, obwohl sich diese vor allem am Ende des Sommersemesters als sehr wirksam erwiesen hat, um den Druck zu erhöhen und die Angebote zu verbessern. Den langfristigen Streik hatten wir uns über Monate in Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften mühsam erkämpfen müssen, auch wenn sich schon zum Ende des vorangegangenen Wintersemesters gezeigt hatte, dass einzelne Streiktage aufgrund der spezifischen Beschäftigungssituation der SHKs nur wenige Leute mobilisieren konnten. Denn SHKs arbeiten nur neben dem Studium, außerdem nicht jeden Tag oder zu denselben Zeiten. Viele haben außerdem kein Büro und konnten daher erst nach und nach durch Bürorundgänge, andere SHKs oder den öffentlichen Streikposten erreicht und informiert werden. Bis zuletzt gab es durch die Unterbrechungen des Streiks Phasen, in denen die Studierenden unter einer Dreifachbelastung litten: Während sie an Kursen und Vorlesungen teilnahmen und diese vor- und nachbereiteten, mussten sie arbeiten und die Streiks vorbereiten bzw. anderenfalls streiken und sich auf ihre Lohnarbeit vorbereiten, und konnten sich daher nur eingeschränkt an der Kampagnenarbeit beteiligen.
Zu lange war außerdem ohne Streiks verhandelt worden. Das hatte unsere Verhandlungsposition geschwächt. Von den Hochschulen wurden wir, das zeigte sich auch in informellen Gesprächen mit einzelnen Hochschulvertreter_innen, gar nicht als vollwertige Verhandlungspartner anerkannt. Erst durch die Streiks hatten wir Druck aufbauen können und gezeigt, was für Folgen es nach sich ziehen kann, wenn die Hochschulen uns als Arbeitskräfte in unseren Anliegen nicht ernst nehmen. Dass die Friedenspflicht dazu geführt hatte, dass wir erst nach zwei Jahren Kampagnenarbeit in den Streik treten konnten, hatte schließlich zur Folge, dass viele Langzeitaktive im Sommersemester keine Energie mehr hatten, die Kampagne weiterzuführen. Da sie sich jedoch noch immer stark mit der Kampagne identifizierten, konnten sie die Arbeit auch nicht einfach den neuen Leuten überlassen, die im Verlaufe des Sommersemesters mobilisiert werden konnten und Interesse an aktiver Kampagnenarbeit äußerten.
Wir können auf jeden Fall stolz darauf sein, was wir zusammen erreicht haben. Gegen alle Widerstände – obwohl wir nicht ernst genommen und immer wieder von den Hochschulen in unserem Arbeitskampf behindert wurden, unsere Anliegen gegen die anderer wissenschaftlicher Mitarbeiter_innen ausgespielt und unsere Forderungen als übertrieben und naiv abgetan wurden – haben wir es geschafft, uns zu vernetzen, unseren Anliegen Gehör zu verschaffen und eine Verbesserung unserer Arbeitsverhältnisse zu erzielen. Hätte man die Kraft der Streiks früher erkannt und genutzt, wäre jedoch wahrscheinlich sogar ein noch besseres Ergebnis möglich gewesen.