| von Emilia Klein |
Bei sich selbst anzufangen, ist nicht immer hilfreich. Um das Ganze in den Blick zu bekommen, ist es besser, andere Perspektiven einzunehmen.
Jemand sagt: »Ich habe ein schlechtes Gewissen. Ich glaube, ich mache nichts für die Umwelt. Aber eigentlich hab‘ ich auch keine Ahnung, was ich überhaupt tun könnte… Also, ich probier’s ja, aber ich weiß halt nicht wie.« Ich höre zu, denke mir nichts, fühle viel dazu, verurteile uns alle. Das Ganze ist irgendwie, irgendwo falsch. Ich versinke im Pessimismus, habe keinerlei Lust, mich mit diesem überhitzten Thema zu beschäftigen. Dann nervt mich meine Faulheit. Es stört mich, wie ich zum handlungsunfähigen Stein erkalte, der alles passieren lässt und glotzt. Jemand anderes sagt: »Es ist mir peinlich das auszusprechen – aber ich spüre so eine tiefgehende Verachtung für Menschen, die heutzutage noch Fleisch essen. Ich meine, es ist alles da, das Wissen, die Ersatzprodukte. Es ist wirklich nicht schwer, oder?« Am liebsten würde ich aufschnauben, wie ein Stier vor dem roten Tuch. Aber es fehlt mir wie so oft der Elan, mich in eine Diskussion zu stürzen, die damit endet, dass wir uns hoffnungslos und latent wütend mit den Augen ausweichen, nachdem uns die Worte verlassen haben.
Es stimmt einfach nicht, dass alles schnell gelöst wäre, wenn nur jeder Mensch bei sich selbst anfängt. Vieles hat nicht nur mit dem Wollen, sondern auch mit dem Können zu tun. Die moralische Keule wild umher zu schwingen, hilft lediglich dabei, den Frust über das eigene Dasein kurz auf jemand anderen zu schleudern. Statt mit großen Schuldzuweisungen voranzuschreiten, können wir auch umlenken. Am besten in eine Richtung, die uns so positioniert, dass wir sowohl unsere eigene Rolle in der Gesellschaft reflektieren, als auch das System hinterfragen, das zu diesem ganzen Übel geführt hat. Vielleicht wird es dann etwas einfacher, im Kreis der Geliebten über klimapolitische Themen zu sprechen, ohne dass Bitterkeit die Kinder frisst.
Zuerst lohnt es sich, das Blickfeld auszudehnen. Die Klimakrise ist kein singuläres, separiertes Problem. Als Phänomen der Moderne vernetzt sie sich mit anderen Phänomenen zu einer großen Verschlingung aus zusammenhängenden Problemen. Die Klimakrise existiert nicht unabhängig von Kolonialismus, Rassismus, Patriarchat und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Sich auf klimapolitische Ziele allein zu konzentrieren, kann ein erster Anknüpfungspunkt sein. Dabei zu verbleiben ist jedoch nur insofern produktiv, wie es angenehm ist, im Freundeskreis mit verachtenden Blicken und Ernährungsbelehrungen belagert zu werden, weil der Vorwurf im Raum schwebt, man mache zu wenig, es ginge ja noch mehr.
Für die aktuellen Probleme einen einfachen Lösungsansatz zu finden, scheint fast unmöglich. Die Komplexität kommt stets hinterlistig um die Ecke, mal im Gewand der Theoriegrundlage, mal als monströse praktische Umsetzung kostümiert. Auch wenn ich versuche, fleißig und strebsam die Liste der Themen abzuarbeiten, die mir notwendig erscheinen, um mir einen Überblick der zerstreuten Details zu verschaffen, wird es mir weiterhin passieren, dass ich etwas übersehe. Es scheint weder einen Anfang, noch ein klar definiertes Ende zu geben. Aber hey – kein Grund, den Kopf hängen zu lassen und zynisch meckernd den kleinsten Hoffnungsschimmer fort zu jagen, schließlich steht uns die großartige Welt des World Wide Web zur Verfügung. Während es im Kontext einiger Themen nützlich sein kann, mithilfe der raunenden Stimmen uralter Bücher Informationen zu sammeln, ist diese Herangehensweise für aktuelle Bewegungen, wie z.B. Fridays for Future oder Black Lives Matter überholt. Hierzu finden sich unzählige Personen und Kollektive, die ihre Ziele, Perspektiven und Hintergrundinformationen sehr gut aufgearbeitet über soziale Medien allen Menschen zugänglich machen. Zeit, sich durch das Internet zu schlängeln und ab und an einen neuen Blickwinkel kennenzulernen.
Bei dem Versuch, meine Bildung nicht völlig im Sand versacken zu lassen, bin ich über Instagram auf Ericka Hart gestoßen. They ist Non-Binary und Black PoC. Neben their alltäglichen Arbeit als Sexualpädagog_in in den USA mit einem Schwerpunkt auf Antirassismus und Antisexismus klärt Hart zusätzlich auf Twitter und Instagram zu besagten Themen auf. In einem Beitrag vom 24. September 2019 teilt they folgenden Tweet: »I want y’all to keep that same energy you have for Greta Thunberg’s anger when black people of all ages express theirs…« They ergänzt in der Bildbeschreibung, dass they keinen Moment in their Erinnerung findet, in dem their Tonfall nicht überwacht und verurteilt wurde. Im Gegensatz dazu wird die Wut von Greta Thunberg von vielen Menschen anerkannt und mitgefühlt. Mithilfe der eigenen, individuellen Erfahrung beschreibt Ericka Hart ein gesamtgesellschaftliches Problem. Denn die Auswirkungen der Klimakrise betreffen zuerst Indigene und PoC, gleichzeitig wird ihren Stimmen, ihrer Wut und ihrer Perspektive wenig bis gar kein Raum geboten. Zum Symbol der Klimabewegung wurde jemand anderes erklärt; jemand, mit dem der Rattenschwanz von Zusatzproblemen der Klimakrise außer Acht gelassen werden kann.
Ein Problem, das von einer anderen Seite in dieselbe Kerbe schlägt, stellt die Extinction Rebellion Bewegung dar. Obwohl sie in ihrem Handbuch durchaus davon sprechen, in der Theorie ihre Position zu reflektieren und das Leid global zu betrachten, hapert es in der Praxis mit der Umsetzung. Es ist ärgerlich, wenn via Facebook Äußerungen von Roger Hallam, einem Mitbegründer, auftauchen, in denen er sich in ignorantem Tonfall über seinen Gefängnisaufenthalt äußert. Es ist auch ärgerlich, dass Hallam in seiner Rolle als Mitbegründer eine Art Vorbildfunktion erfüllt. Demnach ist es potentiell einfacher, seine Aussagen einerseits mit der Haltung von Extinction Rebellion gleichzusetzen, andererseits ihnen eine große Auswirkung zu unterstellen, indem er als öffentliche Person ein anderes Interesse erzeugt als eine Privatperson.
Hallam beschreibt die Zeit im Gefängnis als angenehme Erfahrung, mit kostenlosem Essen und viel Zeit zum Lesen. Fünf Sterne, gerne wieder. Das kann nur jemand sagen, der seine Privilegien aus dem Blickfeld geschoben hat. Weiter spricht er davon, dass das Gefängnis gar nicht so schlimm sei, und fordert andere dazu auf, Handlungen nicht aufgrund der Angst vor einer Gefängnisstrafe zu unterlassen. »Ach, wenn es doch nur so leicht wäre…«, denke ich mir. Wenn man einfach das Glück hat, nicht unter den klassistischen, rassistischen und gesundheitlich schädigenden Zuständen der Gefängnisse zu leiden, sondern es als Zwischenaufenthalt begreifen kann. Wenn man seine eigenen Voraussetzungen als etwas versteht, das für alle Menschen im gleichen Maß gilt. Es ist nur leider nicht so.
Hallam habe ich als Beispiel angeführt, da nach einer Menge Trubel um Fridays for Future kurze Zeit Extinction Rebellion zu einem neuen Aushängeschild der Klimabewegung gemacht wurde. Mit fancy-minimalistischem Design und dem Ansatz, eine breite Masse zu erreichen, wehte ihnen zunächst ein positiver Medienwind entgegen, der inzwischen seine Richtung gedreht hat. Extinction Rebellion zeichnet ein dramatisches Zukunftsbild und kriegt viele Menschen bei ihrer Angst gepackt: Das zukünftige Leben wird im Wert sinken, sobald die Natur nicht mehr mitspielt. Niemand wünscht sich, bald den eigenen Komfort aufzugeben und dann unter Bedingungen den Alltag zu bestreiten, die ein Leben kaum noch ermöglichen. Davon ausgehend gelang es Extinction Rebellion, eine Vielzahl von Menschen zu mobilisieren und dadurch Aufmerksamkeit zu erregen.
Während ich die Aktionen durch das Medienteleskop beobachte, beschleicht mich der Eindruck, dass zumindest in der praktischen Ausübung der Blick über den eigenen Tellerrand hinaus nur schattenhaft passiert. So wie ich es von außen wahrnehme, scheint es, als würden klimapolitische Ziele alleinstehend betrachtet, ungeachtet der Tatsache, dass auch jetzt schon viele Menschen zu einem Leben gezwungen sind, das von Extinction Rebellion als Horroszenario der Zukunft ausgemalt wird. In meiner Vermutung wurde ich bestätigt, als ich über Facebook auf einen an Extinction Rebellion adressierten offenen Brief von The Wretched of the Earth in Kooperation mit 48 internationalen Bündnissen aufmerksam wurde. The Wretched of the Earth beschreibt sich selbst als Initiative, die unter Anderem für Gruppen der indigenen und der schwarzen Diaspora eintritt, für klimapolitische Gerechtigkeit und für solidarisches Handeln in Großbritannien und im Globalen Süden. In dem offenen Brief stellen sie heraus, dass sie den Protest und die Mobilisierung befürworten. Dennoch solle dieses Potential jetzt dafür genutzt werden, um Forderungen aufzustellen, die für die globale Gerechtigkeit vor dem Hintergrund der Klimapolitik unabdingbar sind. Zum Beispiel, dass ein Global Green New Deal auch den Globalen Süden beinhaltet und mithilfe von internationaler Kooperation für Finanzierung und Technologien gesorgt wird, die dazu beitragen, dass alle Regionen daran teilnehmen können. Ein Vorschlag, der zeigt, wie es auch anders geht.
Wenn wir also über die Klimakrise reden und Vorschläge, Gedanken und Lösungsansätze miteinander austauschen wollen, dann gibt es Dinge, die wir erst für uns und dann im gesamtgesellschaftlichen Kontext betrachten und beachten müssen. Ganz vorne mit dabei ist eine Aufgabe, die von allen Seiten in unterschiedlichen Stimmlagen erklingt: Check deine Privilegien! Damit ist nicht der kapitalisierende Weg gemeint, der uns mithilfe von Reflexion zur holy Erleuchtung des Seins bringen soll, um zu hypereffizienten Maschinen mutieren zu können. Ebenfalls heißt es nicht, sich auf gewisse Privilegien zu berufen und über andere zu stellen. Viel eher kann ich darüber nachdenken, in welchen Situationen des Lebens ich das Glück hatte, nicht diskriminiert zu werden. Wenn ich mir beispielsweise darüber im Klaren bin, dass ich allein durch das Geld, das ich zur Verfügung habe, in einer anderen Position stecke, als jemand, dem es an Geld mangelt, dann kann ich das im Gespräch mitdenken. Es erlaubt mir, denjenigen etwas weniger auf die Füße zu trampeln, denen sowieso schon alles auf die Füße gestellt wird. Auch wenn wir manchmal in unserer eingeschränkten Perspektive festhängen, schadet es nicht, den Blickwinkel zu wechseln. Das ist nicht immer angenehm, und oft tritt das unbehagliche Gefühl ein, vieles gesagt und getan zu haben, was ich mir anders von mir selbst erhoffen würde. Aber sich dem zu stellen, zusammen daran zu arbeiten und vor allem es zu verändern, ist eine gute Basis, um gemeinsam den gesellschaftlichen Wandel zu befördern.
Für unseren Alltag können wir viel daraus lernen. Statt es Roger Hallam gleichzutun, können wir mehr Beiträge wie z.B. von Ericka Hart oder The Wretched of the Earth verbreiten und in den Vordergrund stellen. Zuhören, lernen, es im eigenen Kreis anwenden, dann weiter treiben. Je nachdem, wie wir unsere eigenen Kapazitäten einschätzen. Wenn wir uns über all das bewusst werden, adressieren wir neben der individuellen Verantwortung vor allem auch das System als Störfaktor, der verändert werden muss. Insgesamt heißt es, gemeinsam etwas zu verändern und nicht zu Steinen zu verkommen, sondern zusammen zu reflektieren und zu kritisieren. Denn wie Audre Lorde – schwarze, lesbische, feministische Mutter, Poetin und Kämpferin – gesagt hat, kann Befreiung nicht ohne Gemeinschaft passieren, aber Gemeinschaft heißt, weder unsere Unterschiedlichkeit abzustreifen, noch pathetisch so zu tun, als gäbe es sie nicht.