| von Thomas Zimmermann |
Das Extinction Rebellion Handbuch gibt Aufschluss über die verschiedenen Denkansätze, von denen die Bewegung beseelt ist.
2018 in Großbritannien gegründet, hat die Umweltbewegung Extinction Rebellion vor allem im vergangenen Jahr mit einer Reihe zum Teil theatralischer Aktionen und insbesondere mit Blockaden von Verkehrsknotenpunkten auf sich und darüber auf die Klimakrise aufmerksam gemacht. Im Vorfeld ihrer Aktionswochen im Oktober 2019 ist bei Fischer unter dem Titel Wann wenn nicht wir* ein Extinction Rebellion Handbuch erschienen. Was mit diesem Band vorliegt, ist eine Sammlung verschiedener und sich zum Teil widersprechender Vorstellungen und Ansätze – was einer Bewegung, die sich betont multiperspektivisch gibt, jedoch nicht wirklich zum Vorwurf gemacht werden kann. Nichtsdestotrotz kann es interessant sein, einige dieser Widersprüche nachzuvollziehen.
Auffällig ist zunächst, wie sich die Bewegung davor hütet, sich selbst als »links« zu bezeichnen. Zwar gilt dasselbe auch für das politische Label »rechts« – womit sie sich genau genommen, wie vor ihnen schon die Bewegung der Gilets Jaunes in Frankreich, von der Links-Rechts-Dichotomie als solcher zu distanzieren versucht. Allerdings ist die Zurückweisung der Kategorie »rechts« insofern von geringerer Bedeutung, als niemand vom Programm oder Auftreten von Extinction Rebellion darauf schließen würde, dass es sich um einen rechten Mob handeln müsse. Bei der Beteuerung, nicht links zu sein, handelt es sich wohl am ehesten um eine strategische Vorsichtsmaßnahme, die verhindern soll, dass Menschen, die sich vom Label »links« abgeschreckt fühlen, aus diesem Grund den Protesten fernbleiben. Personen wiederum, die sich von einer demonstrativen Nicht-Abgrenzung zum Label »rechts« abgeschreckt fühlen, seien jedoch an dieser Stelle beruhigt: im Großen und Ganzen beziehen sich zumindest die Beiträge des Extinction Rebellion Handbuchs, wenn auch oftmals unausgesprochen, auf Traditionen proletarischer und indigener, antirassistischer und antikolonialer sowie feministischer Bewegungen.
Wenn die Umweltrechtlerin Farhana Yamin in ihrem Beitrag von der Notwendigkeit spricht, »dass alle sich zusammenschließen – Linke, Rechte und jede politische Couleur dazwischen«, so verlangt dieser Zusammenschluss in Anbetracht der Programmatik von Extinction Rebellion zwar von Rechten, dass sie aufhören, Rechte zu sein, nicht aber von Linken, dass sie aufhören, Linke zu sein. So müssen »Leugner des Klimawandels« – ihres Zeichens zumeist Rechte – natürlich damit aufhören, den Klimawandel zu leugnen, wenn sie sich ihm stellen wollen. Ganz zu schweigen von der Überwindung, die es sie kosten dürfte, den »Kampf für Klimagerechtigkeit« als einen »Kampf gegen Rassismus und für Gendergleichstellung sowie sexuelle und wirtschaftliche Gleichberechtigung« zu begreifen.
Mohamed Nasheed, der bis zu einem Putsch der Polizei im Jahr 2012 als Staatspräsident der Malediven amtierte und heute in Großbritannien im Exil lebt, mahnt in seinem Beitrag, dieser Kampf dürfe außerdem »nicht als ein Kampf zwischen der arbeitenden Bevölkerung und der Rettung des Planeten« gedeutet und gestaltet werden. Nicht nur wäre ein zu Ungunsten von Arbeiter_innen durchgesetzter Klimaschutz Nasheed zufolge ungerecht – vielmehr sei er ohne ihre aktive Unterstützung überhaupt nicht zu erreichen. Erst wenn die Klimabewegung »Hand in Hand mit den Bergleuten und Erdölarbeiterinnen durch die Straßen ziehen« könnte, würde es der extraktiven Industrie samt den auf sie gestützten Autokratien an den Kragen gehen. Um dieses Bündnis zu schmieden, müsste die Bewegung jedoch Sorge dafür tragen, dass diese Arbeiter_innen »als erste von der neuen, sauberen Wirtschaft profitieren«.
Neben dieserart offenen Bekenntnissen zur Arbeiter_innenbewegung findet sich in dem Beitrag von Nasheed auch noch eine unterschwellige, womöglich sogar unbeabsichtigte Variation auf ein Motiv auch ihres theoretischen Erbes: So wie es bei Marx das Proletariat ist, das, weil die gesamte Gesellschaft auf ihm lastet, sich nur selbst befreien kann, indem es auch die gesamte Gesellschaft revolutioniert, so ist es nämlich bei Nasheed die Bevölkerung der Malediven, die sich selbst nur retten kann, indem sie die ganze Welt rettet – schließlich liegt der höchste Punkt des Inselarchipels nur 1,80 Meter über dem Meeresspiegel: »Wir können als Nation nur überleben, wenn wir auch als Planet überleben.«
Unbewusst bleibt dieses Erbe auch da, wo es eigentlich auf der Hand liegen sollte.
So skizziert die Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth in ihrem Beitrag drei Herausforderungen, denen sich der Kampf gegen den Klimawandel auf Gebiet der Ökonomie zu stellen habe: erstens den Übergang von einer »degenerativen« zu einer »regenerativen« Wirtschaftsordnung, zweitens die Ablösung des Wirtschaftens vom Paradigma des Wachstums und drittens die Überwindung der »spaltenden« zugunsten einer »distributiven Ökonomie«. Dabei kritisiert sie zurecht »die Fokussierung des vorigen Jahrhunderts auf eine [bloße] Einkommensumverteilung« und preist es als die »erstmals in der Menschheitsgeschichte« bestehende »Chance des 21. Jahrhunderts« an, »die Quellen des Wertschöpfung vorab zu verteilen« – als hätte der Marxismus nicht die vergangenen 150 Jahre für eine »Vergesellschaftung der Produktionsmittel« gestritten. Im Bewusstsein der immanenten Komik des Unterfangens, über das Urheberrecht an der Forderung nach Vergesellschaftung zu streiten, sei ihnen dieser Punkt jedoch hiermit geschenkt.
In welchem Maße die »spaltende Ökonomie« des Kapitalismus nicht einfach nur den Reichtum ungleich verteilt, sondern, indem sie das tat, auch tatsächlich die Welt in zwei gespalten hat, offenbart der Beitrag des Medientheoretikers Douglas Rushkoff. Darin berichtet er, wie er einmal auf ein Luxusanwesen eingeladen wurde, um zum Thema »Zukunft der Technologie« zu sprechen, sich dann aber in der Situation wiederfand, fünf extrem reiche Hedgefonds-Manager in Fragen der herannahenden Klimakatastrophe zu beraten. Und zwar zeigen Rushkoffs Ausführungen, dass sich ihnen diese Problematik durchaus anders darstellt als etwa der Bevölkerung der Malediven. Sie denken nämlich nicht etwa darüber nach, wie sie ihr vieles Geld am besten einsetzen können, um die Katastrophe noch abzuwenden – vielmehr interessiert sie, wie sie sich am besten gegen sie abschirmen und ihren luxuriösen Lebensstil aufrecht erhalten können, während der Rest der Menschheit im postapokalyptischen Chaos versinkt. Daran schließt sich für sie wiederum die Frage an, wie sie sich der Loyalität der »bewaffneten Wachleute« versichern können, die sie zweifellos benötigen werden, um ihre Anwesen gegen den »wütenden Mob« der Elenden zu schützen, der ihnen ihr Leben im Überfluss missgönnt. Sie denken dabei etwa daran, die Wachen »mit irgendeiner Art von disziplinierendem Halsband auszustatten« – soviel zum Thema »Zukunft der Technologie«. Rushkoff jedoch empfiehlt ihnen: »Am besten wäre es, sie würden diese Leute schon jetzt wirklich gut behandeln. Sie sollten mit ihren Sicherheitskräften umgehen, als gehörten sie zu ihrer eigenen Familie.« Ein Vorschlag, mit dem die fünf Hedgefonds-Manager selbstredend nicht viel anzufangen wissen.
Bei der Fraternisierung mit bewaffneten Sicherheitskräften handelt es sich um ein immer wiederkehrendes Motiv bei Extinction Rebellion. Insbesondere das Argument, dass offene Konfrontation mit der Polizei nicht zielführend sei, kommt in einer Vielzahl verschiedener Ausführungen vor, die mal mehr, mal weniger wasserdicht sind. Einen der triftigeren Punkte bildet etwa der Verweis auf die Pariser Kommune, die wohl nie zustande gekommen wäre, wenn sich die am Morgen des 18. März 1871 mit der Entwaffnung der aufständischen Bevölkerung beauftragten Soldaten nicht stattdessen mit ihr verbündet hätten. Allerdings gerät dieses Argument auf Abwege, wenn es etwa die Autorin Jay Griffiths in ihrem Beitrag so darstellt, als wäre das in ihrer Erfahrung milde Vorgehen der Polizei gegenüber Aktivist_innen von Extinction Rebellion selbst schon ein Zeichen für die Zukunftsträchtigkeit der Bewegung. Daraus, dass sie ein Polizist bei ihrer Entlassung aus dem Polizeigewahrsam mit den Worten »Gott schütze Sie. Und viel Glück.« verabschiedet, schließt sie kurzerhand: »Das ist gute Rebellion.« Eine gewagte Konklusion. Denn wenn das zuträfe, so wären in Anbetracht der bekannten Milde der Polizei gegenüber rechten Demonstrationen und mal heimlicher, mal offenkundiger Kameradschaft so mancher Polizeibeamter mit so manchen Vaterlandsverrückten auch deren Aktionen als »gute Rebellionen« zu bewerten. Demgegenüber sollten wir darauf bestehen, dass das Urteil über den emanzipatorischen Gehalt einer jeden Bewegung stets immanent an deren Aussagen und Aktionen bemessen und keinesfalls der Polizei überlassen werden sollte.
Aber es geht auch noch abwegiger: Eva Ebenhöh – ihres Zeichens Trainerin für gewaltfreie Kommunikation – spricht sich in ihrem Beitrag dafür aus, »die Logik des Gegeneinanders zu verlassen und in eine Logik des Miteinanders einzutreten« und wählt dafür folgendes Beispiel: »Während die Polizistinnen dich wegtragen, bist du mit dem guten Grund für unseren Protest ebenso verbunden wie mit der Wertschätzung für Polizistinnen, die ebenfalls gute Gründe für ihr Handeln haben, um für etwas zu sorgen, was ihnen wichtig ist – also was sie als ihre Pflicht betrachten.« Während Griffith den Anspruch, über richtig und falsch zu entscheiden, bereitwillig der Polizei überantwortet, gibt Ebenhöh ihn also rundheraus auf – offenbar ohne zu begreifen, dass ihre Logik, konsequent durchgeführt, die Grundannahme und -motivation von Extinction Rebellion aushebeln würde: Schließlich mögen, so gesehen, auch die Bosse in der extraktiven Wirtschaft und die auf Erdöl gestützten Autokraten ihre »guten Gründe« dafür haben, dass sie die Welt in Schutt und Asche legen.
Glücklicherweise kann man feststellen, dass sich bei Extinction Rebellion wenigstens jene die Kontrolle über ihre Urteilskraft vorbehalten, für deren Arbeit sie unabdingbar ist. So beginnt das Rechtsteam von Extinction Rebellion seinen Beitrag mit den deutlichen Worten: »Extinction Rebellion ist klar, dass die Polizei weiterhin strukturell rassistisch, ungerecht und gewalttätig ist, vor allem gegenüber unterdrückten Gruppen. Solche diskriminierenden Praktiken lehnen wir rundweg ab.« Auch stellt es in seinem Beitrag klar, dass der Verzicht auf Provokationen gegenüber der Polizei der strategischen Annahme geschuldet ist, damit möglichst vielen Menschen die Teilnahme an den Aktionen und Demonstrationen zu ermöglichen und deren möglichst ungestörte Durchführung zu gewährleisten. Über die tatsächlich gefühlte oder auch nur gespielte Sympathie gegenüber der Polizei sei jedoch nicht zu vergessen, dass man ihr nie Vertrauen schenken oder »Informationen über die Bewegung oder einzelne Teilnehmerinnen geben« dürfe, sondern stets »freundlich aber bestimmt vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen« sollte.
Wie bei wahrscheinlich jeder Bewegung gibt es also auch bei Extinction Rebellion sowohl vernünftigere als auch weniger vernünftige Leute. Indem es diese wie jene zu Wort kommen lässt, ist das Extinction Rebellion Handbuch, wenn auch nicht immer aufschlussreich für das eigene Denken, so doch in jedem Fall informativ in Hinblick auf eine realistische Einschätzung der verschiedenen Richtungen und Widersprüche, die in der Bewegung am Wirken sind. Bleibt zu hoffen, dass sie sich auf die richtige und nicht auf die falsche Weise lösen.
Sina Kamala Kaufmann, Michael Timmermann, Annemarie Botzki (Hrsg.): Wann wenn nicht wir*. Ein Extinction Rebellion Handbuch. S. Fischer. 256 Seiten, 12 Euro.