| von Lara von Ende Gelände Berlin |
Die jüngste Aktion von »Ende Gelände!« im November in Ostdeutschland hat deutlich gemacht: Kohle stoppen und Kapitalismus überwinden ist möglich, aber es braucht die kleinen und die großen Schritte gleichzeitig dafür – und breite Bündnisse.
Irgendetwas fehlt. Ich sitze auf den Schienen direkt vor dem Kraftwerk Jänschwalde, einem der dreckigsten Kohle-Kraftwerke in ganz Europa. Um mich herum hunderte Leute in weißen Anzügen, die sich über die gelungene Aktion freuen. Wir blockieren gerade mit 4.000 Menschen Kohle-Infrastruktur im Lausitzer und Leipziger Revier, machen bundesweit Schlagzeilen. Doch ich denke nur: Und jetzt?
Seit 2015 blockiert das Aktionsbündnis Ende Gelände jedes Jahr mit spektakulären Aktionen des zivilen Ungehorsams Kohle-Bagger und Kraftwerke. Seit vier Jahren und sieben Aktionen fordern wir den Kohleausstieg als Sofortmaßnahme für Klimagerechtigkeit. Wir schleppen das »Sofort« mit von Aktion zu Aktion. Aber kommen wir ihm überhaupt näher?
Wir erleben das heißeste Jahrzehnt der Weltgeschichte. Der Amazonas brennt, die Permafrostböden tauen auf, Inselstaaten drohen unterzugehen. Und die politische Situation hierzulande? Festgefahren. Erst 2038 soll der Kohleausstieg kommen, wenn es nach der aktuellen Regierung geht. Eine Schlag ins Gesicht für alle Menschen, die schon jetzt unter den katastrophalen Folgen der Klimakrise leiden: die Ärmsten und Marginalisiertesten dieser Welt, vor allem im Globalen Süden. Und wir wollen ja nicht nur den Kohleausstieg. Wir sitzen hier auf den Schienen, weil wir einen grundlegenden Systemwandel wollen. Ein neues Wirtschaftssystem, in dem Menschenleben mehr zählen als Konzernprofite. Das Ziel ist groß – aber was ist der Weg dorthin?
Dank Fridays for Future ist die Bewegung für Klimagerechtigkeit so stark wie nie: Millionen Menschen sind dieses Jahr fürs Klima auf die Straße gegangen, Politik und Medien kommen an dem Thema nicht mehr vorbei. Gleichzeitig hat die Regierung ein Klimapäckchen geschnürt, das lächerlich klein ist und keinerlei Lenkungswirkung entfalten wird. Außerdem verschleppt die Große Koalition den Kohleausstieg und verspricht Kohle-Konzernen Milliardenzahlungen für die freiwillige Stilllegung ihrer Schrottmeiler. Und wir sitzen hier auf den Schienen und rufen: »We are unstoppable, another world is possible!«
Während ich auf den kalten Kohle-Schienen irgendwo in der Lausitz sitze, kommt mir dieser Satz schrecklich hohl vor. Aber abends, zurück in Berlin, als sich in Puzzleteilen aus Fotos, Videos und Berichten die gesamte Aktion langsam zusammenfügt, da beginne ich zu begreifen: Es kann möglich sein. Denn nachdem wir im Sommer schon im Rheinland »Ende Gelände!« gesagt haben, hat diese zweite Aktion des Jahres im Lausitzer und Leipziger Revier die zuvor schon begonnenen Brücken fertiggestellt: Brücken in vier Richtungen der Gesellschaft, die wir brauchen, um im Jahr 2020 das Ruder wirklich herumzureißen:
Erstens hat Ende Gelände den Schulterschluss mit Fridays for Future vollendet: Freitag auf die Straße, Samstag in die Grube; Fridays for Future, Saturdays for System Change: das gehört jetzt endlich unteilbar zusammen. Ende Gelände hat gelernt, größer zu denken; Fridays for Future hat gelernt, radikaler zu denken. Jetzt haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden: »Raus aus der Kohle, rein in die Zukunft« steht auf einem riesigen Banner im Tagebau und in der gemeinsamen Pressemitteilung.
Zweitens ist die Zusammenarbeit mit antifaschistischen Gruppen zur Höchstform gediehen: Rassistische Drohungen, Hass und Hetze im Vorfeld der Aktion – auch vonseiten der Polizei – sollten uns abschrecken. Stattdessen sind wir enger zusammengerückt. Antifaschistische Jugendgruppen aus Berlin haben zusammen mit Fridays for Future einen eigenen Aktionsfinger in der Lausitz gestellt – die »Anti Kohle Kidz« – und klar gemacht: Die coolen Kids von heute sind fürs Klima und gegen Nazis. Denn es geht nicht um Dreadlocks vs. North-Face-Jacken, sondern um Klimagerechtigkeit statt Faschismus. Und nur gemeinsam können wir diesen Kampf gewinnen.
Drittens haben wir gesehen, dass lokale Vernetzung mit Anwohner_innen in Kohle-Revieren möglich ist, auch ohne dass wir dafür unsere radikalen Forderungen oder Aktionsformen aufgeben müssen. Nicht nur überregionale Medien haben mit Worten wie »sofortiger Kohleausstieg« und »Systemwandel« über die Aktion berichtet, auch die uns eigentlich immer feindlich gesinnte Lokalpresse begrüßte die Aktion als Initiative des Dialogs und betonte gemeinsame Ziele wie den gerechten Strukturwandel. Während Polizeibeamte vor einem rechtsradikalen Graffiti posierten, distanzierte sich die Kohle-Gewerkschaft IG BCE klar von der AfD. Die Aktion hat also gezeigt: wir können sowohl radikale Aktionen als auch lokale Vernetzungsarbeit machen, nacheinander oder auch gleichzeitig.
Und viertens bilden auch Inklusivität und Radikalität keinen Widerspruch: Bereits zum zweiten Mal gab es im bunten Aktionsfinger von Ende Gelände auch für Menschen im Rollstuhl und alle, die nicht so gut weite Strecken laufen können, die Möglichkeit, effektiv Kohle-Infrastruktur zu blockieren. So ein Rolli auf den Schienen der Kohle-Bahn ist sogar eine ganz besonders stabile Blockade. Wir brauchen mehr solcher inklusiver Aktionsformen, damit noch mehr Menschen ermächtigt werden, zivilen Ungehorsam gegen Ungerechtigkeit zu leisten, die sie nicht länger hinnehmen wollen.
Ende Gelände ist noch immer ein Sammelbecken verschiedenster Akteure, eine brodelnde Mischung unterschiedlicher politischer Ansichten, voller nicht zu Ende diskutierter Fragen darüber, wie der gesamtgesellschaftliche Wandel, den wir uns alle wünschen, eigentlich passieren soll – also wie genau wir von der Kohle-Schiene zum Post-Kapitalismus kommen. Das Gute ist aber: es gibt auf diese Fragen keine finalen Antworten. Wir brauchen alles: Zusammenarbeit mit Fridays for Future und mit Antifa-Gruppen, lokale Vernetzung und direkte Aktionen, Inklusivität und Radikalität.
Wir werden als Ende Gelände weiter an die Orte der Klima-Zerstörung gehen und mit unseren Blockaden den Kohleausstieg und den Systemwandel im Kleinen schon umsetzen. Wenn beispielsweise 2020 in Datteln im Ruhrgebiet ein neues Kohle-Kraftwerk ans Netz gehen soll, dann werden wir das nicht einfach so hinnehmen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat sich schon einmal mit der Bewegung für Klimagerechtigkeit angelegt – und verloren: Der Hambacher Forst steht immer noch! Heute, ein Jahr nach »Hambi bleibt!«, ist unsere Bewegung so stark wie nie. Jetzt gilt mehr als je zuvor: Wenn wir uns in konkrete Kämpfe einmischen, dann können wir auch gewinnen!
Kein Weg führt von der Kohle-Schiene direkt zum Systemwandel. Aber wenn wir Kraftwerk für Kraftwerk abschalten, können wir damit auch den fossilen Kapitalismus ins Wanken bringen. Die Kunst besteht darin, gleichzeitig groß zu denken und die kleinen, konkreten Schritte zu machen. Dann sind wir unstoppable. Und dann ist eine andere Welt doch noch möglich.
Wer Lust hat, diese Welt mit uns aufzubauen, ist herzlich eingeladen zu den offenen Treffen von Ende Gelände Berlin jeden 4. Mittwoch im Monat.
Aktuelle Infos auch über Social Media und auf https://eg-berlin.org/