| von Charlie Cremer Jauregui |
Die erste Kolumne der HUch macht ihren Auftakt mit einem Metakommentar zu ihrer eigenen Form.
»Damit aus der Theorie keine Praxis wird, leistet man sich Kolumnisten, ohnmächtige Einzelne, Außenseiter, Stars«, schreibt Ulrike Meinhof 1969 über ihre Rolle als Kolumnistin in der konkret. Da sich die HUchhiermit eine leistet, sei vorweg gesagt: Diese Kolumne weigert sich, unpraktisch zu sein. Theoretisch ist sie dennoch. Dass das widersprüchlich ist, sei dahingestellt. Anstatt mich mit Ulrike Meinhofs Kolumnen, ein Jahrzehnt lang in der konkret veröffentlicht, auseinanderzusetzen, wie ursprünglich vorgehabt, verlor ich mich im gegenwärtigen Kolumnendickicht: Kolumnen gibt es heute in jeder Zeitung und sie erfreuen sich hoher Beliebtheit. Ich habe versucht sie zu zählen – es war ein aussichtsloses Unterfangen. Allein Spiegel Online, schnell durchgescrollt, nennt mir zehn verschiedene Kolumnist_innen, deren Namen als Kolumnentitel herhalten müssen, ob aus mangelnder Kreativität oder Personenkult bleibt ungeklärt. Im Gegensatz dazu druckt die Süddeutsche Zeitung seit 1946 Das Streiflicht als Kolumne auf ihrer Titelseite, anonym. Damit nicht genug: Das SZ-Magazin kennt keinen Anfang und kein Ende, Vorgeknöpft, Der Lokvogel: Bahnfahrerkolumne, Der Fall meines Lebens, Hotel Europa, Getränkemarkt, Gute Frage, InstaKram – Stars im Netz, das Wortspiel in Ehren, und Axel Hackes Das Beste aus aller Welt, inzwischen auch in Buchform erhältlich. Die FAZ versucht sich in pädagogischen Ratschlägen mit der Kolumne Wie erkläre ich‘s meinem Kind? Einfache Antworten auf knifflige Fragen, in der sie anlässlich des Mauerfalljubiläums Antikommunismus kinder- und wessifreundlich zusammenfasst. Fraktur – Die Sprachglosse verspricht »wahre Worte gegen hohle Phrasen« und Nine to Five – Die Bürokolumne erzählt Anekdoten aus dem »herrlich vollen« und »netten Arbeitsleben«. Im Politik- und Gesellschaftsteil der taz zähle ich zwanzig – Sportkolumnen und dergleichen außen vor gelassen. Die Woche, Kuscheln in Ketten, Pflanzen essen, Internetexplorerin, Macht, Chinatown, Nach Geburt, Der rote Faden, Andropause, Habibitus, [b]ei aller Liebe, das sind wirklich viele – und anlässlich noch weiterer Liebeserklärungen bleibt Die eine Frage: wozu all diese Kolumnen?
Die Kolumne erscheint als Ausdruck sich ewig neu erfindender, unerschöpflicher weil für die Produzent_innen gewinn- und für die Konsument_innen spaßbringender Kulturindustrie. Mit Produzentin ist hierbei jedoch nicht die um Mitternacht mit viereckigen Augen und 1,5 Liter Kaffee in den Venen hastig in ihre Tastatur schlagende Kolumnistin gemeint, der unter dem Zeitdruck der Zeitungsproduktion die Kreativität ausgeht und die atemlos ohnepunktundkomma ihr letztes Tinderdate irgendwie doch noch zu einem halbwegs verkaufbaren Amüsement in Form gießt. Der Liebe zur Arbeit wegen. Mit Produzentin ist vielmehr die Eigentümerin der Zeitung gemeint, die den durch die Kolumnistin erschriebenen Mehrwert gewinnt und reinvestieren kann. Trotz alledem stellt sich die Frage: Ist da mehr, was diese dem lateinischen Wort columna, zu deutsch Säule entspringende Textform enthält?
Die Kolumne stützt die Seite einer Printausgabe, sie ergänzt am Rande die Titelzeile, sie bedeutet eine Druckspalte, die das Gewicht trägt, das Zeitungsname und Titelzeile der Seite aufgeladen haben. Wie eine tragende Säule eines Gebäudes. Oder jene eines Zeitungstempels. Freilich keines religiösen – aber pilgern sollen die Leser_innen dennoch. Täglich oder wöchentlich zum Zeitungskiosk, in Erwartung einer neuen meinungsbildenden Predigt, gebannt aufs Blatt. Wenn es heute nicht mehr der Zeitungskiosk ist, dann zumindest das digitale Zeitungsabonnement und die morgendliche Benachrichtigung auf dem Smartphone: News von deiner Lieblingskolumnistin. Insofern bindet die Kolumne Leser_innen, birgt sie die Hoffnung auf verlässlich zahlende Kundschaft, sprich: den Absatz der Zeitung.
Die Kolumnistin ist eine, die sich der Wahrheit verpflichtet sieht, manchmal, sich Ruhm und Ehre verspricht, oftmals. (Natürlich zähle ich zur zweiten Kategorie.) Als eine von wenigen journalistischen Formen ist die Kolumne eine, die ein Ich kennt, das erzählt. Die Kolumne bin Ich. Noch erstaunlicher: Ich darf witzig sein. Die dem journalistischen Verhaltenskodex eingeschriebene Nüchternheit – um der objektiven Berichterstattung willen – ist keine die zählt, für mich. Denn ich habe Meinung und diese will kund getan werden. Humor als eine Ausdrucksform des Trotzdem ist die Sprache, derer Ich mich bediene. Eine Meinung also, die sich nicht in der endlichen Aufzählung unendlicher Anti-ismen ergeht, sondern herausstellt, was sie meint, durch ironische Bedeutungsumkehr. Ironie als Mittel, welches die Unhaltbarkeit der Welt, die sie beschreibt, sprachlich greifbar macht. Beißend spöttisch, lies sarkastisch und bei großem Hunger auch polemisch. In keinem Fall aber zynisch.Zynismus als eine Haltung, die Widerstand und Menschenwürde in dieser Welt von vornherein als sinnlos verdammt, wird eben darum aus dieser Kolumne verbannt. Sie ergeht sich weder in der ausschließlichen Zitation menschenverachtender Weisheiten namhafter Politiker_innen oder durchschlagender BILD-Titel wie es Gremlizas Express (R.I.P.), die Sprachkolumne der konkret tat, noch setzt sie sich die »Pflege der Reinheit der deutschen Sprache« zum Ziel, wie 2003 dem Streiflicht der SZ mit dem entsprechenden Preis attestiert. »Kolumnen sind Luxusartikel, Kolumnisten sind Stars«, schreibt Ulrike Meinhof in der konkret. Als solche verdienen sie genauso wenig bis weniger als die 0815-Journalistin, aber wenigstens hat die Armut des Stars als sagenumwobene Prestige. Konkret: 100 Euro für 20 Arbeitsstunden (bis zur Setzung dieses Zeichens) macht 5 Euro Stundenlohn. Die taz zahlt weniger. Vom Neuen Deutschland ganz zu schweigen. Linke Meinungsmache ist unbezahlbar. Als Job unhaltbar. Ein Glück bin ich Studentin und schreibe in meiner Freizeit! Ein Glück darf ich schreiben was ich will, als Kolumnistin bin ich unabhängig von der Redaktion und wenn der folgende Satz noch steht, wurde meine Kolumne traditionsgetreu nicht von der Redaktion gestrichen: Ich will mehr!