| von Karl Kozinsky |
Um das Feld der politischen Meinungsbildung auf Video-Plattformen wie YouTube nicht den Rechten zu überlassen, muss sich die radikale Linke in den Ring der digitalen Bildungsarbeit begeben.
The kids are alt-right
Die Neuen Faschist_innen befinden sich virtuell auf dem Vormarsch. Ob in den Vereinigten Staaten, in Australien oder hierzulande in Gestalt von Heiko Schrang (165 000 Abonnent_innen): Überall auf der Welt formieren sich faschistische Netzwerke, die ihr reaktionäres Weltbild auf YouTube verbreiten. Strategisch wirkmächtig deuten sie den Klassenkonflikt um in einen Kampf zwischen »Innen« und »Außen« und schaffen damit einen Resonanzraum für die Artikulation bereits bestehender Ressentiments und Verschwörungstheorien. In ihrem Weltbild stehen sich nicht arm und reich gegenüber, sondern die als fremd Markierten einer angeblich homogenen deutschen Gesellschaft.
Aber auch auf der Gegenseite regt sich etwas. Beispielsweise versucht die US-amerikanische Webvideo-Plattform Means TV ein »Netflix for the left«1 zu etablieren. Mit Blick auf YouTube ist gerade bei der englischsprachigen Linken viel in Bewegung. Sie erkennt die Plattform als umkämpftes Terrain an, das zur Durchsetzung der eigenen Themen und Interessen genutzt werden sollte. Um den Rechten ihre Deutungshoheit zu nehmen und eine Gegenerzählung anzubieten, hat sich unter dem Banner BreadTube eine lose Gemeinschaft linksradikaler YouTuber_innen zusammengefunden. Der Name wurde der Schrift The Conquest of Bread des Anarchisten Peter Kropotkin aus dem Jahr 1892 entlehnt. Die Erfolgreichsten unter ihnen sind ContraPoints, Philosophy Tube und Hbomberguy, welche gemeinsam mehrere Millionen Abonnent_innen zählen. Englischsprachigen Influencer_innen stellt sich schon lange nicht mehr die Frage, ob es auf YouTube einer linken Gegenöffentlichkeit bedarf. Schließlich ist die Plattform die weltweit am zweithäufigsten besuchte Website nach Google und die mit Abstand größte Website für Videocontent.2 So nutzen acht von zehn deutschen Jugendlichen, die sich auf digitalen Kanälen bewegen, YouTube mindestens mehrmals die Woche, 42 Prozent der jungen Erwachsenen nutzen es sogar täglich.3
Deutschsprachiges linkes YouTube
Wirft man einen Blick auf die
deutschsprachige Szene, sieht die Lage gänzlich anders aus. So
stellt die Studie Von
Influencern lernen der
Rosa-Luxemburg-Stiftung ernüchtert fest: »Eine derart reichhaltige
Landschaft linker Aktivitäten auf YouTube wie im englischsprachigen
Raum existiert nicht […]«4.
Im Gegenteil: Es lassen sich hierzulande keine nennenswerten
linksradikalen Influencer_innen mit großer Reichweite finden. Der
Großteil der erfolgreichen deutschsprachigen Kanäle wird durch das
staatliche Funk-Netzwerk gefördert und verhandelt politische Inhalte
aus einer linksliberalen Position, wobei eine grundlegende
Systemkritik ausbleibt.5
Erste
Gehversuche leistet die YouTuberin Linda mit ihrem Kanal Vertraut
und Seltsam, dessen
erstes Video im Frühsommer 2020 veröffentlicht wurde. In
inhaltsreichen Beiträgen wie Wir
zahlen nicht für eure Krise!
entfaltet sie entlang einer Kritik der finanzpolitischen Maßnahmen
während der Corona-Pandemie eine emanzipatorische Position von
links. Bislang bleibt die Resonanz im Vergleich zu den amerikanischen
Vorbildern allerdings noch überschaubar, auch wenn die Klickzahlen
zunehmen. Das deutschsprachige linke YouTube befindet sich aber nicht
nur mit Blick auf die Reichweite noch in den Kinderschuhen. Auch in
Bezug auf die Nutzung der besonderen Möglichkeiten von
YouTube-Videos bzw. -Kanälen fallen die meisten Versuche hierzulande
noch ziemlich bieder aus: Natalie Wynn alias ContraPoints beschreibt
das grundlegende Problem der Linken im Umgang mit den sozialen Medien
im Interview mit Ash Sarkar von Novara Media wie folgt: »A
lot of the people that have attempted to use the internet as a medium
to spread leftist ideas have tended to use YouTube as a substitute
for a classroom. They
basically approach a topic aesthetically or stylistically as you
would approach a topic at a university speaking event […]. What I
have tried to do from the beginning is [to] speak in the language
of
YouTube, speak in the language of the internet […].«6
Kommunikationsfähig
werden
Was können wir mit Blick auf die einflussreichen englischsprachigen Aktivist_innen lernen? Zur Erklärung des Erfolges lassen sich laut der Studie der Rosa-Luxemburg-Stiftung fünf Faktoren heranziehen: »Respekt vor der Zuschauer_innenschaft7, inhaltliches Niveau, Ästhetik und Inszenierung, Humor und Unterhaltungsfaktor, Persönlichkeit«.8 Der Respekt vor der Zuschauer_innenschaft zeichnet sich durch das Ablegen von moralischer oder intellektueller Überheblichkeit und die Verwendung einer plattformgerechten Sprache aus9. Wie Natalie Wynn alias ContraPoints betont, kann es nicht darum gehen, in selbstgerechter Art und Weise universitäre Vorträge ins Web zu stellen. Dies ist eine Aufgabe, die der hiesigen außerparlamentarischen Linken nicht nur in Bezug auf ihre Internetpräsenz schwerfällt.
Denn
für Außenstehende ist es nicht leicht, mit der linken Szene in
Kontakt zu kommen und es braucht einige Anstrengung, um darin
akzeptiert zu werden. Zugehörigkeit wird oft nicht nur über
gemeinsame politische Positionen hergestellt, sondern vielfach auch
über typische Kriterien einer Subkultur wie kulturelle Codes oder
Kleidungsstile. Der Rückzug in die gesellschaftliche Nischenexistenz
begünstigt die Herausbildung eines elitären Bewusstseins. Sie wird
dadurch verstärkt, dass die Linke seit Jahrzehnten in universitären
Kontexten ihr Dasein fristet und sich den dort herrschenden Habitus
zu eigen gemacht hat. Daraus resultiert die Unfähigkeit, mit anderen
auf Augenhöhe in Kontakt zu treten und mit auftretenden
Widersprüchen konstruktiv umzugehen. Das aber ist eine
Voraussetzung, um gesellschaftliche Mehrheiten für linksradikale
Positionen zu erlangen.10
Unsere
Kämpfe können nur dann erfolgreich sein, wenn wir Menschen
ansprechen und sie von unseren Ideen überzeugen. Hierfür müssen
wir uns nicht nur in Bezug auf YouTube die Frage stellen, wie
revolutionäre Inhalte so vermittelt werden können, dass ihre
Bedeutung und Relevanz nachvollziehbar werden. Wir müssen politisch
kommunikationsfähig werden. Damit ist weder gemeint, die eigene
Position ohne Grund aufzugeben, noch »mehr Toleranz« für
reaktionäre Positionen zu entwickeln.
Ebenso wenig kann es
darum gehen, die eigene radikale Analyse aus strategischen Gründen
zu verstecken. Vielmehr braucht es für die spätkapitalistisch
verursachte Leere in uns eine plausible Erklärung von links, damit
sich politisierende Jugendliche nicht im rechten YouTube-Algorithmus
verlieren.
Dabei zeigt uns der aus England stammende YouTuber Harris Brewis, wie eine erfolgreiche Kommunikation auf Augenhöhe aussehen könnte. Besser bekannt unter dem Namen Hbomberguy erlangen Videos wie Climate Denial: A Measured Response große Bekanntheit durch die unterhaltsame Widerlegung von rechten Content-Creators wie beispielsweise Ben Shapiro. Ebenjener argumentiert allzu gerne unter Berufung auf Logik und Fakten. Und umso erheiternder ist es, wenn seine eigene argumentatorische Inkonsistenz und Falschangaben vor einem Millionenpublikum widerlegt werden. »Wir werden uns gleich mit den Klimawandelleugner_innen auseinandersetzen, doch wenn ihre angeführten ›Beweise‹ so schlecht sind, dass sogar ich, ein Gaming-Youtuber, der bei der ersten Videoeinstellung für dieses Video Erdnussbutter ins Ohr bekommen hat, sie widerlegen kann, […] dann läuft hier etwas gewaltig schief«, führt Brewis in seinem Video aus. 11
YouTube als Raum für herrschaftskritische Bildung?
Unzufriedenheit und Unmut über die herrschenden Verhältnisse sind weit verbreitet, gleichzeitig fehlt es überall an Wissen um und Vertrauen in Alternativen. In der radikalen Linken gibt es wenige Orte, an denen Bildung strukturiert, niedrigschwellig und regelmäßig stattfinden kann. Es gibt zwar viele Veranstaltungen, die über aktuelle politische Ereignisse informieren, und in unregelmäßigen Abständen werden Workshops und Seminare zu spezifisch theoretischen Ansätzen oder Methoden organisiert. Sie finden in der Regel jedoch in szeneüblichen Locations statt – die Einstiegshürde ist dementsprechend relativ hoch. Gleichzeitig findet abseits davon der größte Teil der herrschaftskritischen Theorieproduktion nach wie vor an den Universitäten statt und ist deshalb stark auf ein Milieu mit akademischem Hintergrund begrenzt.12
Der
Aufbau eines alternativen, herrschaftskritischen Bildungsprozesses
ist historisch ein zentraler Bestandteil gesellschaftlicher
Transformation von links. Damit dieser Anspruch in die Gegenwart
hineingetragen werden kann, muss die Linke sich auf Plattformen wie
YouTube einlassen, um Präsenz zu markieren und Verständigung zu
ermöglichen. So kann sich nämlich auch szenefremdes Publikum
niedrigschwellig mit der Theorie und Praxis gesellschaftlicher
Alternativen, Perspektiven und Utopien auseinandersetzen. Zudem
werden über Plattformen wie YouTube Menschen über Ländergrenzen
hinweg erreicht, womit auch ein internationaler Austausch möglich
wird.
Dabei sind inhaltlich anspruchsvolle, aber dennoch verständliche Videos auf YouTube nicht nur möglich, sondern ein Faktor für deren Erfolg.13 ContraPoints, unbestrittener Star des linken YouTube, schafft es beispielsweise in ihrem Video Was läuft schief im Kapitalismus? zwei Millionen Zuschauenden die Theorie der Entfremdung von Marx in legerem Ton, aber dennoch auf hohem inhaltlichen Niveau zu vermitteln. Auch der Kanal Vertraut und Seltsam löst sich zunehmend vom Vortragsformat, arbeitet mit Sketchen, Dialogen und szenischen Elementen, welche die Verbindung der diskutierten Fragen zum Leben der Protagonistin Linda aufzeigen.
Kein YouTube ist auch keine Alternative
Im Zuge der Pandemie konnte beobachtet werden, wie linke Akteur_innen in ihrer politischen Kommunikation notgedrungen vermehrt auf Videos zurückgreifen mussten. Auch wenn es sich dabei um die ersten Gehversuche handelt und diese zuweilen noch ungeschickt daherkommen, ist die Entwicklung zu begrüßen. Denn erstens kann sich die Linke eine Abwesenheit auf der zweitgrößten Online-Plattform nicht leisten – sonst wird sie nämlich von den Rechten bestimmt. Und zweitens zeigt die englischsprachige Community, dass man mit radikalen Inhalten sehr wohl erfolgreich sein kann. Um das Rad nicht neu erfinden zu müssen und die Wiederholung von bereits gemachten Fehlern zu vermeiden, lohnt es sich, die bestehenden Contents einmal genau zu durchforsten: Spaß macht es auch noch. Zwar wurde YouTube zuerst von den Rechten entdeckt – so muss es jedoch nicht bleiben. Es liegt an uns, dass wir uns linke Räume auch online erkämpfen.
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1 Lucy Diavolo: Meet the Team Behind Means TV, a Video-Streaming Platform They Want to Be «Netflix for the Left», teenvogue, 18.2.2019, online unter: www.teenvogue.com/story/means-tv-video-streaming-platform-netflix-for-the-left
Siehe dazu auch Beitrag von Tilman Bärwolff in der HUch#91: Streamen für die Revolution, S. 33-34.
2 Vgl. dazu das weltweite Ranking unter: www.similarweb.com/top-websites, Stand: 22.03.2021.
3 Vgl. Rat für Kulturelle Bildung: Jugend/YouTu-be/Kulturelle Bildung, Essen 2019, S. 17.
4 Marius Liedtke,Daniel Marwecki: Von Influencer*innen lernen. Rosa-Luxemburg-Stiftung, S. 14.
5 Ebd., S. 17.
6 Vgl. Speaking in the language of YouTube | Ash Sarkar Meets ContraPoints, Novara Media, 30.05.2019, online unter: https://www.youtube.com/watch?v=5VR4O3oHJSk&t=1587s
7 Im Original nicht gegendert.
8 Marius Liedtke, Daniel Marwecki: Von Influencer*innen lernen. Rosa-Luxemburg-Stiftung, S. 19.
9 Vgl. ebd., S.20.
10 Vgl. Kollektiv aus Bremen: 11 Thesen über Kritik an linksradikaler Politik.
11 Vgl. Hbomberguy: Climate Denial: A Measured Response, 31.05.2019, Übersetzung K.K., online unter:https://www.youtube.com/watch?v=RLqXkYrdmjY
12 Vgl. Kollektiv aus Bremen: 11 Thesen über Kritik an linksradikaler Politik.
13 Vgl. Marius Liedtke, Daniel Marwecki: Von Influencer*innen lernen. Rosa-Luxemburg-Stiftung, S. 20.