| von Karina und Kai Fröhner |
Der Deutschthailänder Jonny K. wurde 2012 am Alexanderplatz von einem Mann mit türkischem Pass attackiert und verstarb daraufhin. Sein Tod ist ein Beispiel dafür, wie das Modell der »Vorzeigeminderheit« benutzt wird, um rassistische Machthierarchien in der Gesellschaft aufrecht zu erhalten.
»So kam das Coronavirus zu uns.« Mit diesem Titel und der Abbildung einer asiatisch gelesenen Familie am Esstisch sieht man in der Bild[1], wie antiasiatische Rassismen immer salonfähiger werden.
Das Ausmaß rassistischer Diskriminierungen stieg in Deutschland gegenüber 2019 um 70% an.[2] Hiervon sind besonders asiatisch gelesene Bürger_innen betroffen. Denn die antiasiatische und rassistische Rhetorik in den Medien [1] – ob in Donald Trumps Tweets [3], auf dem Cover des Spiegels [1] oder in der heute-show [1] – während der Covid-Krise, hat zu einer massiven Zunahme an rassistischen Attacken [4] gegenüber Süd-, Ost- und Südostasiat_innen geführt.[5]
Angesichts des Anstieges von rassistischen Übergriffen gegen Asiat_innen kritisieren Betroffene eine verzerrte und ungenügende Berichterstattung in den Medien. Xinan und Cuso vom Podcast Diaspor.Asia sagten hierzu in einem Interview mit neue deutsche organisationen: »Dass antiasiatischer Rassismus nicht ernst genommen wird, liegt unter anderem am Mythos der ›Vorzeigeminderheit‹. Laut diesem Mythos sind Menschen, denen Asiatisch-sein zugeschrieben wird, besonders ›brav‹, strebsam und ruhig.« [6] Dies unterstützt die Relativierung von Rassismus.
Der Mythos von Asiat_innen als Vorzeigeminderheit entstand zu Zeiten des Kalten Krieges in den USA. Dabei wurden Asiat_innen gesellschaftlich als höflich und gesetzestreu charakterisiert [7] und mit sozialem Aufstieg in Verbindung gebracht, während z.B. Schwarze Menschen und die Schwarze Bürgerrechtsbewegung mit Kriminalität assoziiert wurden.[8]
In der Nachkriegszeit wurde global immer mehr Aufmerksamkeit auf die innerstaatliche rassistische Politik der USA gelenkt.[9] Um dieses negative rassistische Image der USA abzumindern, wurde mit der Hervorhebung der angeblich einwandfreien Integration asiatischer Bürger_innen begonnen. Somit wurde die asiatische Diaspora schon während der Nachkriegszeit von der amerikanischen Politik und den Medien instrumentalisiert, um die Reputation der USA als fortschrittliches Land kundzutun, was seine rassistische Vergangenheit längst hinter sich gelassen hat.
Ein Grund für die Auswahl von Asiat_innen als Vorzeigeminderheit kam von der ihr zugeschriebenen Schweigsamkeit im Gegensatz zur zugeschriebenen Aggression von Schwarzen Menschen. Es sollten besonders die gesellschaftlichen, akademischen und beruflichen Errungenschaften der asiatischen Diaspora in den Vordergrund gerückt werden. Dies erzeugte die Auffassung in der breiten Gesellschaft, dass Asiat_innen kaum Rassismus erfahren würden, da sie im Kontrast zu anderen marginalisierten Bevölkerungsgruppen vermeintlich hohes soziales Ansehen genießen würden. Das Charakterisieren einer Minderheit, die trotz Rassismus erfolgreich sei, relativiert allerdings die negativen Folgen von Rassismus, den auch Asiat_innen strukturell erfahren und spielt gezielt verschiedene marginalisierte Gruppen gegeneinander aus. In einem Artikel von US News werden zum Beispiel chinesische Amerikaner_innen als erfolgreich beschrieben, während Schwarzen Menschen und anderen ethnischen Minderheiten vorgeworfen wird, hunderte von Milliarden an Dollars für ihre Assimilierung zu brauchen.[8] Der Mythos der Vorzeigeminderheit wurde also auch erschaffen, um anti-Schwarzen Rassismus zu festigen.[10] So spaltet dieser Mythos auch heute noch die Schwarze und asiatische Community.
Es ist jedoch nicht nur anti-Schwarzer Rassismus, der dadurch gefestigt wird. Auf anti-muslimischen Rassismus trifft das gleiche zu. So werden in Deutschland Menschen mit westasiatischem Background mit dem Islam assoziiert, wohingegen Süd-, Ost- und Südostasiat_innen als »wirklich asiatisch« markiert werden. Letztere werden als »›Vorzeigemigrant_innen‹ beschrieben und gegen andere (post)migrantische Gruppen ausgespielt«, schreibt Sinologin und Sozialwissenschaftlerin Kimiko Suda.[4] Der Mythos der Vorzeigeminderheit und die Instrumentalisierung der asiatischen Diaspora zur Diskriminierung anderer Minderheiten ist also auch dem deutschen Kontext nicht fremd.
Ein Beispiel dafür ist der Mord an Jonny K. Als 20-jähriger Deutschthailänder wurde er 2012 von 6 Männern türkischer Herkunft verprügelt und verstarb an den Folgen des Angriffs. Die von migrantisierten Personen am Alexanderplatz verübte Straftat wurde in den deutschen Medien stark thematisiert.
Anders als beim Mord an Nguyễn Tấn Dũng, der 2008 in Berlin von einem weißen deutschen Täter erstochen wurde, war der Fall Jonny K. im Rampenlicht der deutschen Medien. Während die Presse über den Freispruch1 der rassistischen Tat an Nguyễn Tấn Dũng schwieg, war sie beim Mord an Jonny K. umso lauter. Auch rechtsextreme Nachrichtenportale, wie PI-News stürzten sich auf die Tat.[11] Auffällig ist, dass in der Berichterstattung immer wieder der Mythos der Vorzeigeminderheit Verwendung findet. So zeigt sich im direkten Vergleich der Artikel von PI-News und dem Spiegel eine thematische Überschneidung im Framing des Mordes an Jonny K.: der Täter türkischer Herkunft wird hier durchgängig als kriminell und gewaltbereit, das südostasiatische Opfer als gesetzestreu dargestellt.[11]
Im Spiegel-Artikel zum Beispiel wird der Deutschthailänder als »hilfsbereiter junger Mann« beschrieben, während sich der Titel desselben Artikels gegen den angeklagten türkischen Täter richtet und ihm »Dummheit, Arroganz und Aggressivität« zuschreibt.[12] Der Mimik des Hauptangeklagten wird hierbei viel Aufmerksamkeit geschenkt, indem sein Grinsen als »verhöhnendes Lächeln« umschrieben wird. Diese Rhetorik trägt zur Dämonisierung von Onur U. als Repräsentant der »kriminellen« türkischen Minderheit bei. Ähnlich werden die fünf Nebenangeklagten, allesamt junge Männer mit türkischem Migrationshintergrund, als »fast feixend schlendernd« beschrieben. [12 Durch die Assoziation der offensichtlich türkischen Namen und der abwertenden Wortwahl wird bei Leser_innen implizit ein negatives Bild von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund projiziert und perpetuiert.
Wie anders die Berichterstattung über den Vorfall aussehen könnte, beweist Plutonia Plarre von der Taz. Denn als einzige Stimme erwähnte sie in ihrem Artikel, dass der wichtigste Zeuge, ein Freund von Jonny K., der am Tatort ebenfalls vom Täter verprügelt wurde, ein Schwarzer Mann war [13]. Durch die explizite Erwähnung der ethnischen Zugehörigkeit des Freundes von Jonny K. bricht die Taz als einziges Medium mit der Instrumentalisierung durch den Vorzeigeminderheitsmythos, indem sie einen Schwarzen Mann als gesetzestreu darstellt. Die anderen Medien haben somit eine essenzielle Information ausgelassen. Dieses Zurückhalten von Information konnte somit im Sinne des Vorzeigeminderheitsmythos als rassistische Waffe eingesetzt werden. Darüber hinaus blieb die Taz das einzige Medium, das einen fundierten Erklärungsansatz für die Hintergründe der Tat anbot. So widmete Jasmin Kalarickal von der Taz ein Interview mit einem Kriminologen über den Tod von Jonny K. dem Thema, dass Jugendliche nicht aufgrund von Migrationshintergrund, sondern aufgrund anderer Faktoren, wie Armut, eine erhöhte Gewaltbereitschaft zeigen können.[14]
Dass jedoch selbst bei der Taz diese Berichterstattung nur eine Ausnahme bleibt, bewies die Zeitung mit ihren anderen Artikeln zum Mord an Jonny K: Ein Zeichen, dass selbst bei zum Teil antirassistischer Berichterstattung der Schwerpunkt durch eine rassistische Gesprächsführung in der Medienlandschaft vorgegeben wird. Wie der Fall in das Narrativ des Vorzeigeminderheitsmythos spielt, um Minderheiten als kriminell darzustellen, erwähnte niemand.
Das Problem rassistischer Berichtserstattung in deutschen Medien ist schon lange bekannt und dokumentiert: Spiegel TV erhielt 2020 die Goldene Kartoffel, einen Negativpreis für besonders schlechte Berichterstattung, für ihre rassistische Darstellung von Araber_innen und Rom_nja als Kriminelle [15]. Maybrit Illner bekam 2019 für ihre rassistische Berichterstattung den Negativpreis Goldene Kartoffel für ihr »verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland«.[16] Bei Jonny K.s Fall haben Der Spiegel und die anderen erwähnten Medien Menschen mit türkischem Migrationshintergrund als Kriminelle dargestellt.
Jonny K.s Tod ist auch deswegen ein gutes Beispiel für das Bespielen des Mythos der Vorzeigeminderheit durch deutsche Medien, weil man ihm anderen Morden, wie dem an Nguyễn Tấn Dũng gegenüberstellen kann. Vergleiche wie diese decken einige eklatante Unterschiede in der Berichterstattung auf. Obwohl sich beide Morde an Menschen mit asiatischem Migrationshintergrund in einem Zeitrahmen von vier Jahren in Berlin ereigneten, wurde über den Fall von Nguyễn Tấn Dũng kaum berichtet. Sein Tod erhielt auch deswegen so wenig Aufmerksamkeit, weil die Tat rassistisch motiviert durch einen weißen, deutschen Täter verübt wurde. Während der Tod von Jonny K. von rechtsextremen und anderen Medien instrumentalisiert wurde, um andere (post)migrantische Gruppen als kriminell darzustellen, schwiegen die Medien lieber, wenn es um die Kriminalisierung und die Beschäftigung mit rechtsextremen gewalttätigen Taten und Gedankengut in der weißen deutschen Bevölkerung ging.
Diese Medienanalyse zeigt beispielhaft, in welchen Zusammenhängen das Modell der »Vorzeigeminderheit« in der Berichterstattung von deutschen Medien zum Einsatz kommt.
Die Instrumentalisierung von Süd-, Ost- und Südostasiat_innen zur Befürwortung rassistischer Narrative existiert seit Jahrzehnten – und nicht erst seit Beginn der Coronapandemie. Die beschriebenen Rassismen betreffen asiatisch gelesene Menschen auf verschiedene Art und Weise, aber immer im Narrativ, das (post)migrantische Gruppen attackiert und gespalten werden, um damit eine weiße Vorherrschaft zu stärken. Diese Mechanismen werden so lange persistieren, bis unser jetziges unterdrückerisches System grundlegend verändert wird.
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[1] Vgl. Rassismus in der COVID-19-Berichterstattung. Kein Autor genannt, 23.6.2020. https://www.korientation.de/corona-rassismus-medien/
[2] Vgl. Rassistische Diskriminierung um 70 Prozent gestiegen. Kein Autor genannt, 12.1.2021.
[3] Vgl. AGAIN, netizens ridicule Trump’s ›China virus‹ remarks in ›partiotic‹ tweet. Kein Autor genannt, 23.7.2020.
[4] Vgl. Antiasiatischer Rassismus in Deutschland. Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer, Christoph Nguyen, 9.10.2020.
https://www.bpb.de/apuz/antirassismus-2020/316771/antiasiatischer-rassismus-in-deutschland
[5] Vgl. Anti-Chinese Rhetoric Tied to Racism against Asian Americans Stop AAPI Hate Report. Melissa Borja et al., 3.6.2020.
[6] Vgl. Im Gespräch mit…Xinan & Cuso von Diaspor.Asia Podcast (ndo-Netzwerkmitglied). Thao Nguyen, 25.6.2020.
[7] Vgl. What is the Model Minority Myth? Sarah-Soonling Blackburn, 21.3.2019.
https://www.learningforjustice.org/magazine/what-is-the-model-minority-myth
[8] Vgl. Asian American Studies Now: A Critical Reader. Jean Yu-Wen Shen Wu, Thomas Chen, Robert G Lee, et al., 8.3.2010.
[9] Vgl. Democratic Identity in Postwar America: The Politicization of Asian Americans in the Early Cold War. Sarah Lu, 3.2020.
[10] Vgl. A Critical Review of the Model Minority Myth in Selected Literature on Asian Americans and Pacific Islanders in Higher Education. OiYan Poon et al., 1.6.2017. https://journals.sagepub.com/doi/10.3102/0034654315612205
[11] Vgl. Berlin: Aufruf zur Mahnwache für 20-Jährigen. Kein Autor genannt. 15.10.2012
[12] Vgl. »Dummheit, Arroganz und Aggressivität«. Julia Jüttner, 15.8.2013.
[13] Vgl. »Dumm, arrogant und aggressiv«. Plutonia Plarre, 15.8.2013. https://taz.de/Urteil-im-Prozess-Jonny-K/!5061163/
[14] Vgl. Toleranz hat sich verändert. Jasmin Kalarickal, 14.5.2013. https://taz.de/Jugendgewalt-in-Deutschland/!5067455/
[15] Vgl. Der Fall Jonny K. Kollektion mehrerer Artikel. Stand 31.2.2021.
https://taz.de/Jonny-K/!t5061161/
[16] Vgl. Goldene Kartoffel: Spiegel TV erhält Medien-Negativpreis. Timo Niemeier, 9.12.2020.
1Vgl. Niemand wird vergessen: Gedenkkampagne für die Opfer rechter Gewalt: Nguyễn Tấn Dũng, unter: http://berlin.niemandistvergessen.net/morde/nguyen-tan-dung/, zuletzt aufgerufen: 21. Mai 2021.