| von Madita Lege |
In der Neuen Rechten funktioniert Rap als identitätsstiftendes Mittel, das über soziale Medien die eigene Anhänger_innenschaft vergrößert und seine Ursprünge in neonazistischen Subkulturen der achtziger und neunziger Jahre hat.
Er inszeniert sich als ›Patriot‹ und seine Musik als ›Heimat-Rap‹: Kai Naggert, früher Aktivist bei der Identitären Bewegung, tritt unter dem Künstler_innennamen Prototyp NDSaktuell die Nachfolge von Rechtsrapper Chris Ares an, Klarname Christoph Zloch. Der 29-jährige, der eng mit Chris Ares zusammenarbeitete, bevor dieser 2020 seinen Szeneausstieg bekanntgab, hat bei Bautzen in Sachsen das neue Musiklabel NDS Records gegründet – und will damit groß rauskommen. Dass Rechtsrap mit ›NDS‹ – dem ›Neuen Deutschen Standard‹ – sein Comeback in den Charts feiert, ist unwahrscheinlich: Das Label produziert derzeit hauptsächlich Videos für YouTube. Dennoch ist Naggert einflussreich. Eine Correctiv-Recherche zeichnete ihn 2021 als ›Spinne im Netz‹ neurechter Influencer_innen aus, die ihr politisches Programm via Social Media vermarkten wie andere Fitness-Tees.1
Zentral für Naggerts Selbstinszenierung ist der Kult um germanische ›Ahnen‹ und altnordische Lichtgestalten wie den Gott Odin. Das mal mehr, mal weniger eindeutige Bekenntnis zu einem völkisch ausstaffierten Naturglauben, dem Neuheidentum, wird kombiniert mit gegenwartsbezogenen, proletarischen Protestelementen, die immer auch Agilität und Bereitschaft zum Kampf signalisieren: Trainingsjacke, Jogginghose und Sportschuhe. Auf Instagram posiert der Rapper für rechtsoffene bis neonazistische Modelabel, die in der Hooligan- und Kampfsport-Szene populär sind, in Streetwear. Die Faust ist gereckt, darauf sind altnordische Runen tätowiert. Wie kommen Rap,Rechtsextremismus, street culture und Heidentum zusammen? Um diese Zusammenhänge zu entschlüsseln, lohnt sich ein Blick in die Geschichte des modernen Rechtsextremismus und seiner Subkulturen.
Warum rechter Rap?
Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum die extreme Rechte gerade Rap nutzt, um ihre Ideologie zu verbreiten. Die Hip-Hop-Kultur, zu der Rap gehört, wurde auch in Deutschland von Afrodeutschen und in postmigrantischen Communitys geprägt. Hier war (und ist) Hip-Hop Medium der Selbstbehauptung und Sichtbarwerdung derer, denen eine weiß-deutsche Öffentlichkeit zunehmend das Existenzrecht absprach, seit sich jenes deutsche Wirtschaftswunder ausschlich, das die Familien der ehemaligen ›Gastarbeiter‹ ermöglicht hatten. Als der Markt für Hip-Hop-Musik Ende der Neunziger implodierte, überlebten medienwirksam polarisierende Labels wie Aggro Berlin. Fler spielte seit dem Album Neue Deutsche Welle 2005 mit dem Image als ›Patriot‹ und leicht abgewandelten Hitler-Zitaten. Tabubrüche wie dieser zeigten Möglichkeiten auf, Hip-Hop national zu denken – und dass ›Deutscher Rap‹ ein Publikum hatte.2
Im gleichen Jahr eigneten sich erstmals neonazistische Aktivist_innen wie Björn Michael Bock alias King Bock das Genre an. Mit Musiker_innen der ›Neuen Rechten‹, wie Komplott und Chris Ares, die 2016 folgten, ist rechter Rap massentauglich geworden: die Entwicklung eines halben Jahrzehnts, in dem das Internet ihnen direkten Zugang zu einem vorzugsweise jungen Publikum verschaffte, das dazu keinem politischen Milieu angehören musste. Das musikalische Lieblingsgenre dieser – im Duktus der Neuen Rechten ›vorpolitischen‹3 – Jugend ist Hip-Hop. Die Texte der neurechten Rapper_innen sind weit weniger eindeutig als die rechtsextremer Rocker wie Landser, die ihre neonazistische Propaganda nur vor einem ausgewählten Publikum stattfinden lassen konnten. Vordergründig steht die neurechte Internet-Prominenz dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber – ehrt aber ihre ›Ahnen‹ und deren ›Standhaftigkeit‹ im Zweiten Weltkrieg. Damit ist sie breit anschlussfähig geworden und hält sich auf YouTube und Spotify.4 Neurechte Musik erreicht ihre Hörer_innen nicht länger exklusiv über ›die‹ rechtsextreme Szene – eine neue, jugendlich geprägte Szene bildet sich um die Musik. Nicht wenige von Prototyps8500 Instagram-Fans tragen wie er ein ›NDS‹ im Usernamen – sie wollen Teil einer ›NDS-Army‹ sein.
Pyrotechnik, VW-Polo und Marginalisierungs-Narrative: Statussymbole im Rechtsrap
Prototypselbstbespielt seit Januar 2021 seinen neuen YouTube-Kanal mit Tracks, die klingen wie die Aldi-Version von Kollegahs Bossaura. Darunter hinterlassen Fans Kommentare wie »MSM Rapper haben in Zeiten wie diesen immer noch keine anderen Themen als Drogen, Fitness und […] Autos, währenddessen sind deutsche (Rapper) auf dem Weg zur Erleuchtung«.5 Hier werden tradierte Erklärmuster adaptiert. ›MSM‹ verweist auf nicht als ›deutsch‹ markierte Rapper_innen der ›Mainstream-Medien‹. In ihrer Selbstwahrnehmung als neue Minderheit politisch unterdrückt, nutzen Neurechte Rap ihrerseits als Medium der vermeintlich notwendigen Selbstbehauptung als Biodeutsche.
›Unterdrückt‹ zu sein und gegen staatliche ›Zensur‹ nicht anzukommen sind Narrative, die bedient werden wie Statussymbole. Die Logik dahinter ist einfach: Umso unmittelbarer die Bedrohung, desto legitimer der heroisierte ›Widerstand‹ (ein Songtitel des neurechten Rappers Bloody32). Damit bedient der neurechte Rap eine Rhetorik, die anlässlich der Proteste gegen die Pandemiemaßnahmen Konjunktur feiert. Heute rufen neurechte Rapper_innen zu Demonstrationen von Querdenken 711 undWiderstand 2020 auf, wo über das Pandemiegeschehen eine antiemanzipatorische Querfront agitiert werden soll. Auch hier werden diffus esoterische Referenzen als Letztbegründung genutzt – okkulte Freund_innen- und Feind_innenschemata einen die diversen Zuflüsse der heterogenen Bewegung.
Mobilisierungsneid seit den sechziger Jahren
In der Aneignung von Hip-Hop genau wie in der Verbrüderung mit Attila Hiltmann im Rahmen der Berliner Corona-Proteste, bei denen der Reichstag mit schwarz-weiß-roten Flaggen ›gestürmt‹ wurde, zeigt sich die (sub-)kulturelle Flexibilität des modernen Rechtsextremismus, der eigentlich streng konservative Ideologien verfolgt. Zeithistoriker_innen führen diesen Widerspruch auf einen nachhaltigen ›Mobilisierungsneid‹6 auf die soziale Protestwelle der späten sechziger Jahre zurück. Dieses Motiv spricht bis heute aus Parolen von AfD-Funktionären wie Andreas Kalbitz, der von einem Tanz »auf den Gräbern« der 68er-Bewegung träumt.7
Europas Rechte sah sich gedrängt, konservative Ideologien ihrerseits in eine jugendliche Protesthaltung zu gießen. Erfolg feierte sie mit der britischen Konzertreihe Rock Against Communism 1978.8Dahinter stand die neofaschistische Partei National Front – auf der Bühne und im Publikum Skinheads. Damals initiierte die politische Rechte erstmals eine ideologisch einflussreiche ›Gegenkultur‹, die heute eines ihrer zentralsten Strategieelemente darstellt. Ausdruck dessen sind auch Chris Ares und sein Rap-Ziehsohn Prototyp NDS: mit eigener Musik, eigenem Verlag und eigenen Veranstaltungen.
Kontinuitäten zwischen Rechtsrap und Rechtsrock
Die erste Jugend-Subkultur, die nationalistische Ideologien in ein popkulturelles Gewand kleidete, trug Levi’s Jeans und Dr. Martens zu kahlrasierten Köpfen und dicken Fliegerjacken. Die Skinheads bedienten das Image einer Gegenkultur zum ›Summer of Love‹ und definierten sich zunehmend als weiße Proletarier_innen. Keiner der damaligen sozialen Protestbewegungen zugehörig, führten sie in Adaption maskulin-militanter Elemente einen zunächst wenig politischen Totentanz der weiß-englischen working class auf. In den achtziger Jahren breitete sich das Skinhead-Phänomen mit zunehmender Politisierung international aus.9 Im Unterschied zu den linken Teilen der Subkultur referierten rechte Skinheads ihrerseits auf ›nordische Ahnen‹. Der Eruption der englischen Arbeiter_innenklasse begegneten sie mit aggressiver Verzauberung der – als weiß imaginierten – Vorkriegs-Vergangenheit. Erst unter dieser welt- und selbstanschaulichen Prämisse wurde ihr in Oi!-Punkmusik kommuniziertes Programm und spezifischer Look über die Grenzen ihres britischen Nationalismus hinaus denkbar – und europaweit wirksam. Ihr männlich-militanter Look setzt sich bis in die Gegenwart fort. Unter anderen Vorzeichen kommunizieren Muskelshirts von Labels wie Fight Cult – das Logo zeigt einen austretenden Kampfsportler im Lorbeerkranz – welche die Influencer_innen von NDS sponsern, ein ähnlich kampfbereit-agiles Image, das mit proletarischen Codes spielt. Nicht zufällig inszenieren sich die Musiker_innen von NDS mal um einen VW-Polo, mal um einen Fliesentisch gruppiert.
Zentral für Oi!-Punkrock, um den die Skinhead-Kultur zirkulierte, war wie im Hip-Hop dessen ›Street Credibility‹.10 Niedrigschwellig in der Produktion war auch Oi! auf Texte konzentriert, die eine perspektivlose Jugend beschrieben, in der Gewalt allgegenwärtig war. Sie richtete sich insbesondere gegen nicht-weiße. Ihnen begegnete Großbritannien nach Zerfall des Empires (in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts) mit angstgespeistem Rassismus, der nationalistische Parteien förderte. Diese erkannten das Potential der eliten- und fremdenfeindlichen weißen Arbeiter_innenkinder und vereinnahmten sie gezielt. Während Parteien wie die National Front an Zuwachs gewannen, erhielten die Skinheads eine politische Existenz. Reminiszenzen an die Kollaboration zwischen der AfD und Chris Ares liegen nah: Bis zu Ares Bruch mit der AfD11 besangen er und Prototyp NDS auf Wahlkampfveranstaltungen ihr »deutsches Blut« und die »Söhne Europas«.
Damals wie heute werden Politikverdrossenheit und diffuse Ängste über rassistische Narrative in rechtsextreme Ideologien überführt. Dabei stilisierte britischer Rechtsrock in den 1980er Jahren bereits die ›multi-racial society‹ zur existenziellen Bedrohung des ›white man on the run‹. Das ›White-Power‹-Motiv – die Umkehr des ›Black Power‹-Ausrufs der Schwarzen Bürger_innenrechtsbewegung – wurde von den US-amerikanischen White Surpremacists übernommen und ist bis heute ein identitätsstiftendes Element der extremen Rechten, das sie über nationalstaatliche Grenzen hinweg eint.
Heidentum und rechte Musik als Bedeutungsträger für Europas Rechte
Die Rolle neuheidnischer Bezüge für rechte Musik klärt ein Blick in ihre Anfänge. Rechtsrock-Bands der achtziger und neunziger Jahre luden ihren neonazistischen Message-Rock von Beginn an neuheidnisch auf, so etwa Ian Stuart von Skrewdriver, bekennender Neuheide, oder die deutsche Band Landser, deren Mitglieder »Odin statt Jesus« huldigten. Der Bezug auf den altnordischen Naturglauben stiftete ein kollektives Identifikationsangebot, das innerhalb Europas Gültigkeit behaupten konnte und gegen das – als jüdische ›Fremdreligion‹ diskreditierte – Christentum in Stellung gebracht wurde.
Die Vernetzung der rechtsextremen Szenen über die Grenzen der eigenen Nationalismen hinweg hatte durchaus Erfolg. So publizierte die offen neonazistische Band Skrewdriver aus London seit 1984 auch über das westdeutsche Plattenlabel Rock-O-Rama.12 Der lukrative Austausch über den Musikvertrieb förderte die Vernetzung des Milieus auf nie da gewesene Weise. Die Bands etablierten ein Motiv, das für eine intereuropäische Rechte anschlussfähig sein würde. Die ›pan-arische Internationale‹13 entfaltete sich auch im Zeichen sich angleichender Bedrohungsszenarien westlicher Industriegesellschaften im Zeitalter der Globalisierung.
Für die Internationalisierung des Nationalistischen waren Rückgriffe auf ›die‹ Germanen und Wikinger zentral, die völkische Narrative unterfütterten.14 Auf der ersten bei Rock-O-Rama vertriebenen Skrewdriver-LP hisst ein Wikinger sein Banner mit altnordischem Radkreuz – dem ›White-Power‹-Emblem. Die Übereinkunft beider Motive prägt die rechte Musikszene bis heute, denn die Schlussfolgerung lautete: »We’ve got to get together now, and wage our nation’s fights / If we don’t act quickly, we’re going to face the endless night […] / Europe awake«.15 Die altnordische Referenz ist mehr als ein Mittel der Verschleierung, indem etwa das Radkreuz anstelle eines Hakenkreuzes gesetzt wird. Sie fungierte als legitimatorischer ›Kitt‹ zwischen Nationen und Nationalismen. Zusammenhalt soll die gemeinsame Zugehörigkeit zur ›nordischen‹, weißen ›Rasse‹ stiften, die durch eine ihrerseits international agierende ›fremde‹ Macht dem Untergang geweiht sei.
Diese Ideologie setzt sich im Rechtsrap fort: »Alles ist vergessen / Fremde Interessen / Wir müssen uns wehren / Schnell, sonst ist es zu spät / Denn unsere Gegner vernichten die ethnokulturelle Kontinuität / Wir stehen auf, l’Europe libérée!« rappt Patrick Uli Bass alias Komplott. Bass gelangte über neonazistische Gruppen und schließlich eine Burschenschaft zu den ›Identitären‹. Die Germania Marburg wirbt online mit der nächtlichen Fotografie einer Gruppe Männer mit Fackeln – in ihrer Mitte ein hölzernes Radkreuz. Darunter folgt ein längerer Text, in dem es heißt, man sei politisch nicht so festgelegt, auf die richtigen Werte komme es an. Die Codierung ist eindeutig für jene, die schon einmal ein Skrewdriver-Album in der Hand hatten – oder den richtigen Profilen auf Instagram folgen. Das ›White-Power‹-Emblem ziert dort als Silberkettchen den Hals neurechter Influencer_innen.
Ein exklusives, integratives und kriegerisches Identifikationsangebot für Europa
Wenn Chris Ares und Abzstrakkt in Söhne Europas 2020 singen: »Eingehüllt in strahlendes Licht / Durchbrechen wir die engen Mauern / Von Zwängen und Trauer / Mit brennender Aura […] / Ich channel die Kraft / Der in den vergangenen Zeiten gefallenen Krieger / Aus den heiligen Hallen«, um daraufhin in eine Aufzählung europäischer Städte zu verfallen, nutzen sie dieses Motiv im Sinne europäischer ›Identitätspolitik‹ – einem zentralen Strategieelement der neuen Rechten. Damit stößt diese in der nach 1945 bewusst institutionell ausgestalteten EU in ein identifikatorisches Vakuum. Dem institutionellen Europa steht die neue Rechte mit Ablehnung gegenüber. Ihr Europabild konstruiert einen völkischen Erbzusammenhang, der als ›natürlich‹ gesetzt ist. Es wird darin nicht eine Nation gegen die andere ausgespielt, sondern die ›Verwurzelten‹ den nicht in Europa ›Verwurzelten‹ entgegengesetzt: »Krieger kennen keinen Untergang / 1000 deiner Wurzellosen, gegen meine hundert Mann«.16 Historische und politische Gegensätze zwischen den einzelnen europäischen Nationen werden durch das Wiederaufleben-Lassen gemeinsamer antisemitischer und rassistischer Fremd- und Feind_innenbild-Traditionen nivelliert und um die Identifikation mit einem Europa der ›Verwurzelten‹ ergänzt.
Schon Skrewdriver huldigten in ihren Liedtexten britisch(-alliierten) und deutschen (Wehrmachts-)Soldaten zu gleichen Teilen – denn: »The Zionists own the media, and they’re known for telling lies / And I could see, that it could be, we fought on the wrong side.«17 Solche Zeilen sind Balsam für die weltanschaulichen Wunden des deutschen Nationalismus. Die geschichtsrevisionistische Fantasie fördert eine gemeinsame Feind_innenbild-Kultur und resultiert in der Forderung nach einer ›European Unity‹ von rechts; eingeschworen auf die Tradition wehrhafter ›europäischer‹ Kriegsstämme, die weit davon entfernt waren, ein gemeinsames Bewusstsein zu teilen.
Antisemitischer Verschwörungsglaube
Insbesondere in Deutschland liegt die Identifikation mit vorzeitlichen Kriegsstämmen Patriot_innen näher als die Besinnung auf etwa das letzte Jahrhundert ihrer Geschichte. Wenn die Rapper Chris Ares und Abztrakkt das Erbe des NS zugunsten eines esoterisch aufgeladenen, überzeitlichen Bundes als »Brut des Adlers / […] verwurzelt mit Mutter Gaia« überwinden wollen, ist diese Rhetorik tradiert. Denn der Antisemitismus diskreditiert das Judentum als ›nomadisch‹, die ›Wurzelrassenlehre‹ speiste seit dem 19. Jahrhundert die Idee von der Überlegenheit des ›Ariers‹, und die ›Blut-und-Boden‹-Ideologie, also der Glaube an den natürlichen Bund von ›Volk‹ und ›Raum‹, legitimierte die kriegerische Expansion des NS. In Anbetracht der eindeutigen Kontinuitäten mit der NS-Ideologie ist es wichtig, diese Muster als das zu dekonstruieren, was sie sind: sehr rechts und gar nicht neu.
Die klar antisemitische Verortung der Neuen Rechten wird durch die Mobilisierung von Narrativen einer ›Vernichtung‹ der ›ethnokulturellen Kontinuität‹ eines vorchristlich18 gedachten Europas durch ›fremde Interessen‹ noch bestärkt: Nach der Verschwörungsideologie des Zionist Occupied Government (ZOG) wird die – europäisch gedachte – weiße ›Rasse‹ durch nichteuropäische, nicht-weiße Zuwanderung (und daraus folgender ›Rassenmischung‹) gezielt geschwächt. Das Bild ›des Juden‹ als Strippenzieher spiegelt sich bei Chris Ares im Bild der »eisernen Krake« wider, bei Komplott in dem der »staatenlosen Verbrecher«, die für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich gemacht werden. Das Narrativ systematisiert diffuse Bedrohungsgefühle und legitimiert einen nie vergessenen, europäischen Antisemitismus neu. Das Feindbild ZOG ist in verschieden-diffusen Erzählformen ein zentrales Erklärmuster der Corona-Leugner_innen.19
Immer die gleichen Bilder
In leitmotivischen, extremen Bedrohungsszenarien – etwa als ›Flüchtlingswelle‹ oder ›großem Austausch‹ – werden Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus im neurechten Rap kondensiert. Der Antagonismus von ›Gewalt‹ und ›Heil‹, dunkel und hell reflektiert die Polarität zwischen ›Fremdem‹ und ›Eigenem‹, ›Feind‹ und ›Freund‹. In der ›Ariosophie‹ befindet sich ›der Arier‹ als ›Lichtgestalt‹ in einem endzeitlichen Kampf gegen die Finsternis – eine Fackel in der Hand zu haben tut da Not. Wird Europa bei Skrewdriver angesichts einer »endless night« zu Kameradschaft aufgerufen, ist es bei Chris Ares ein aufziehendes »Gewitter«. Der Rapper schreibt »Texte in dunkelsten Nächten […] / sie scheinen, sie funkeln und brechen durch mit den Wolken bedeckten Himmel« und sein »germanisches Blut« werde ihn nicht zögern lassen, die bedrohte »Heimat« zu verteidigen. Ob Rechtsrock der achtziger Jahre oder Rechtsrap der Gegenwart: Die Bilder, die der rechtspolitischen Ausschmückung der Subkultur dienen, sind vielfach die Gleichen geblieben.
Was bleibt?
Auch wenn sich die neurechten Rapper_innen heute nicht mehr eindeutig in die Tradition des NS stellen, sind die ideologischen Kontinuitäten eindeutig. Dass sie nicht explizit artikuliert werden, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass die Neue Rechte die strategische Bedeutung des ›Unpolitischen‹ – gerade auf Social Media – in ihrem Sinne zu nutzen gelernt hat. Kai Naggert und NDS Records haben sich, so die Selbstaussage, von allen politischen Verbindungen getrennt. Auf Instagram teilt Naggert als Prototyp NDS dennoch Auszüge aus dem Parteiprogramm der AfD für die Bundestagswahl 2021 – mit Faust- und Deutschlandflaggen-Emoji gegen Minarette und Maskenpflicht.
Instagram, YouTube und Telegram haben die Rolle von Konzerten in den achtziger und neunziger Jahren ersetzt. Auf den neuen Plattformen bleibt die Musik der Motor der rechten Szene, ihrer Vernetzung und Finanzierung. Mit eigenem Tonstudio und Textilvertrieb fordern die Musiker_innen von NDS Records ihre Fans auf, Klicks zu generieren, Fan-Merch zu bestellen, sich auf Telegram zu connecten. Über das Crowdfunding-Portal Patreon, bei dem NDS »Musik und Unterhaltung« anbieten, erhalten Abonnent_innen für monatliche Geldbeträge Zugang zu immer kleineren, exklusiveren Telegram-Gruppen. Auf YouTube präsentieren sich NDS mit bösen Blicken und überdrehter Selbstironie erst hinterm MacBook, dann am Fliesentisch. Sie vereinen zeitgenössische Stilelemente mit Rückgriffen auf eine ›nordische‹ Identität – modisch mit Trainingsjacke und immer gut sichtbarer Vegvisir-Rune auf dem Handrücken, musikalisch mit Rap über ›Germanien‹, finanziell über Patreon.
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1 Vgl. Alice Echtermann, Arne Steinberg, Celsa Diaz, Clemens Kommerell, Till Eckert : Kein Filter für Rechts. Wie die rechte Szene Instagram benutzt, um junge Menschen zu rekrutieren., Correctiv Online, 9. Oktober 2020. Online unter: https://correctiv.org/top-stories/2020/10/09/kein-filter-fuer-rechts-instagram-rechtsextremismus-subkulturen-lifestyle-rap-merchandise-geld/
2 Nicht Advanced Chemistry (Fremd im eigenen Land, 1992) erklommen schließlich als ersten die deutschen Charts, sondern der weiße Ulk-Hip-Hop der Fantastischen Vier (Die Da!?!, 1992). Kofi Yakpo von Advanced Chemistry bezeichnete »die Art und Weise, wie die Verwandlung von Hip-Hop zu Popmusik in Deutschland stattgefunden hat« per se als Ausdruck »struktureller Gewalt«.
3 ›Vorpolitische‹ Räume des alltäglichen (subkulturellen) Lebens von rechts zu besetzen, ist ein zentrales Strategieelement neu-rechter Metapolitik mit dem Ziel einer ›kulturelle Revolution‹ von rechts.
4 Chris Ares’ Ausstieg ging 2020 mit einer Sperrung auf beiden Plattformen einher.
5 Wir verlinken hier explizit nicht auf Videos der Rechtsrapper, um über unsere Seite keine weiteren Klicks zu generieren.
6 Norbert Frei, Franke Maubach, Christina Morina und Maik Tändler in ihrem Überblick über die deutsche extreme Rechte seit 1945: Zur rechten Zeit. Wider die Rückkehr des Nationalismus, Ullstein, 2019.
7 Vgl. Sebastian Friedrich : Sommerinterview mit Jörg Meuthen: So besser nicht, NDR Online,21. Juli 2020. Online unter: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Sommerinterview-Meuthen-So-besser-nicht,sommerinterviewmeuthen100.html
8 Angelehnt an das antifaschistische Rock Against Racism 1976.
9 Zu den Skinheads zählten auch apolitische und linke Gruppen. Nach Deutschland kam das Phänomen von Beginn an mit einer stärkeren rechtspolitischen Ausrichtung. Hiesige Gruppen orientierten sich an den aus den Medien bekannten Extrembeispielen aus dem UK und der radikalen Musik von Gruppen wie Skrewdriver.
10 Oi! wurzelt in jamaikanischem Ska, Reggae und linkem Punk.
11 Anlass dafür war Chris Ares‘ Gründung eines eigenen rechtsextremen ›Dorfs‹ in Sachsen.
12 1984 debütierten bei demselben Label auch die Böhsen Onkelz mit Der nette Mann.
13 Thomas Grumke: Die transnationale Infrastruktur der extremistischen Rechten, Springer, 2006.
14 Dabei ist anzumerken, dass weder die eine noch die andere historische Sammelbezeichnung ein ›Volk‹ beschreibt; beide zerfielen in diverse Stämme ohne gemeinsames Selbstbewusstsein.
15 »Wir müssen zusammenkommen um die Kämpfe unserer Nationen zu führen / Wenn wir nicht schnell handeln, wird die endlose Nacht einbrechen … / Europa erwache« (Skrewdriver, 1984).
16 Chris Ares, Krieger, 2020.
17 »Den Zionisten gehören die Medien und sie sind dafür bekannt, Lügen zu erzählen / Und ich kann mir vorstellen, dass wir auf der falschen Seite gekämpft haben.« (Skrewdriver, 1984).
18 Das Christentum ist für Naturgläubige bzw. Neuheiden als ›Fremdreligion‹ und jüdisches Herrschaftselement gesetzt. Europas Rechte bemüht sich seit Jahren, diesen Widerspruch zugunsten einer breiteren Anschlussfähigkeit aufzuheben, indem sie das Christentum als europäisches Kulturgut hochhält, das als solches mit der ›Natur‹ ausgesöhnt ist.
19 Vgl. Martin Bernstein : So judenfeindlich sind die Anti-Corona-Demos, Süddeutsche Zeitung Online, 14. Januar 2021. Online unter: https://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen-antisemitismus-corona-demos-qanon-verfassungsschutz-1.5173333