| von Louise Hillermann |
Im Zuge der oftmals rassistisch geführten Debatten um Migration und Flucht ist es unerlässlich, sich auch Veröffentlichungen von Wissenschaftler*innen kritisch anzunehmen. Während Studierende der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität versuchen, emanzipatorische Werte hochzuhalten, fällt das Buch eines Dozenten im Kontrast dazu negativ auf.
Rassismus ist gleichwohl eine evidenzlose Weltanschauung, wie auch eine schmerzhafte Realität, derer wir uns annehmen müssen. Während wir in Mitteleuropa ein fortschrittliches und vermutlich überpositives Selbstbild bezüglich Rassismus haben, bestehen die strukturellen Ungleichheiten in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik weiterhin fort. Besonders das Jahr 2015, in dem Millionen Menschen aus Syrien, Somalia und Afghanistan gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen, nicht zuletzt, weil ihr Leben akut bedroht war, scheint einschneidend, wenn wir uns die Entwicklung rassistischer und insbesondere muslimfeindlicher Debattenführung in Deutschland anschauen. Es muss die essenzielle Frage diskutiert werden, welche Rolle die Wissenschaftsgemeinde hinsichtlich der zunehmend muslimfeindlichen Debattenführung spielt. Wenn Wissenschaft das Kernanliegen hat, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, ist dabei auch die Frage, inwiefern Wissenschaft Ungerechtigkeit aufdecken und bis zu welchem Grad sie politisch sein darf. Nichtsdestotrotz sollten folgende Werte gesellschaftlich unbestreitbar sein: Jeder Mensch verdient Sicherheit und Schutz – also seine basalen, universellen und unbestreitbaren Menschenrechte.
Die Veröffentlichung „Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspoltik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg“ (2023) vom HU-Dozierenden Ruud Koopmans wird im Folgenden genauer unter die Lupe genommen. Koopmans arbeitet als Soziologe und Migrationsforscher am Institut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, weswegen gerade hier ein Augenmerk auf die Aufgabe und Integrität wissenschaftlicher Forschung gesetzt werden sollte.
In seinem Werk möchte er augenscheinlich darüber aufklären, welche Missstände es im deutschen und europäischen Asylsystem gibt. Diese seien unter anderem der unerwartet hohe Aufwand der Integration, die Spaltung Europas, und dass viele Hilfsbedürftige keine Chance erhalten, weil es nur „die Stärksten“ bis nach Europa schaffen. Sein Vorschlag basiert darauf, dass wir „mit einer Eindämmung der irregulären Einwanderung die Kontrolle zurückgewinnen können“ (Koopmans, 2023, S. 2).
Koopmans inszeniert sich als Humanist, der sichere Integrationsregeln und innere Sicherheit etablieren und Rechtspopulismus sowie die Spaltung Europas bekämpfen möchte. Dies wird zumindest im Abschnitt „Zum Buch“ direkt am Anfang des oben benannten Werks vermittelt. So behauptet Koopmans, dass sein politisch-programmatischer Vorschlag darauf abzielt, „[dass] die Asylpolitik kein lebensgefährliches Lotteriespiel bleibt“ (Koopmans, 2023, S. 2).
Bereits das Inhaltsverzeichnis scheint stark durch rechte Polemik aufgeladen: Die Kapitel tragen reißerische Namen wie „Verkannte Terrorgefahr“, „Mörder im Orient-Express“ und „Der Terror kommt nach Deutschland“. Direkt wird ein sehr starkes Bild von Terrorismus und Gewalt im Zusammenhang mit Geflüchteten inszeniert.
Das Kapitel Vier, „Verkannte Terrorgefahr“, sticht besonder hervor: Koopmans macht hier etwas, was man sonst nur aus Reden der Bundestagsfraktion der AfD kennt. Er beschreibt das Szenario des Bilal C., der aus Algerien stammt, und den Fall Abdelhamid Abaaoud. Letzterer war ein IS-Terrorist marokkanischer Herkunft, der Bilal C. von den Ideologien des IS überzeugt hatte. Die Geschichte gipfelt darin, dass ein weiterer Mann, den Abaaoud auf seiner Reise nach Europa kennengelernt hat, einen Amoklauf verursacht hat und Bilal C. in Deutschland nach kriminellen Aktivitäten ebenfalls festgenommen worden ist. Abaaoud ist der Attentäter, der später für die Attentate vom 13. November 2015 in Paris verantwortlich war. Auch, wenn es sich hierbei um ein terroristisches Attentat und ein durch und durch tragisches Ereignis handelt, sollte klar sein, dass dies keineswegs die humanitären, menschenrechtlichen Werte untergraben darf, die geflüchteten Menschen durch das Asylrecht garantiert werden sollten. Vereinzelte Fälle sprechen nicht für die Gesamtheit Flüchtender. Dieser Stereotyp, den Koopmans durch die Einbettung des islamistischen Terrors in die Asyldebatte nutzt, sorgt dafür, dass in unserer Gesellschaft ein falsches Sentiment gegen Menschen geschürt wird, die ihr Land verlassen mussten, weil ihr bloßes Überleben bedroht war.
In ebendiesem Kapitel relativiert Koopmans rechte Gewalt gegenüber Geflüchteten und spielt diese gegen islamistische und „linksextremistische“ Gewalt aus. Folgendes Zitat ist ein Beispiel für die Relativierung rechtsextremer Gewalt: „Schmierereien wie «Ausländer raus!» auf einer Asylunterkunft oder ein an Flüchtlinge gerichteter Ausruf «Geht doch zurück in euer eigenes Land!» sind Beispiele von Volksverhetzungsdelikten. Für die Betroffenen sind das bestimmt erschütternde Erfahrungen, aber «Gewalt», ein «Übergriff» oder «Angriff» auf Leib und Leben sind sie nicht. Das Gleiche gilt für das «Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen» (wie etwa einer Hakenkreuzschmiererei) oder Beleidigungen – zwei andere häufige Delikte unter den «Angriffen»“ (Koopmans, 2023, S. 127). In einem größeren politischen Rahmen – insbesondere in Zeiten rasant erstarkender rechtsradikaler politischer Kräfte – ist das inakzeptabel. Koopmans bezieht sich auf die Erfassungssystematik des Bundeskriminalamts zu rechter Gewalt gegen Geflüchtete und „argumentiert“, dass man bei gewissen Delikten doch gar nicht von „Gewalt“ oder „Angriffen“ sprechen könnte. Darüber hinaus verharmlost er direkte Angriffe auf Geflüchtete, wie beispielsweise durch diese anschließende Aussage: „Es gab aber auch fast 200 Brandstiftungen sowie Anschläge mit – meist nicht sehr wirkungsvollen – Sprengsätzen auf Flüchtlingsunterkünfte […].“ (Koopmans, 2023, S. 127). Oder auch folgender: „Neunzehn der körperlichen Angriffe sowie Brandstiftungen und Sprengstoffanschläge, bei denen eine Gefahr für Menschenleben bestand, wurden als Tötungsdelikte – Mord und Totschlag – eingestuft. Viele gingen aber glimpflich aus […].“ (Koopmans, 2023, S. 128). Koopmans erachtet es aber dennoch als wichtig genug zu erwähnen, dass scheinbar nicht nur Geflüchtete unter rechtsgerichteter Gewalt gegen Geflüchtete leiden, sondern es auch dazu kommt, dass manchmal auch Deutsche bzw. Nicht-Geflüchtete unter Opfern dieser Gewalt sind (Koopmans, 2023, S. 129). Eigentlich müsste diese Erkenntnis bedeuten, dass wir uns Rassismus noch mehr annehmen müssen, weil diese Opfer des Rassismus, wenn es auch „ungewollte Opfer“ sind, trotzdem Opfer des rassistischen Hass und Tötens der Täter_innen sind.
Auch versucht Koopmans darzustellen, warum Geflüchtete überproportional viele Straftaten begehen (Koopmans, 2023, S. 145). Dies ist ein ideales Beispiel dafür, dass seine Analysen nicht nur inhaltlich, sondern auch aus einer wissenschaftlich-methodischen Perspektive scharf zu kritisieren sind. So bereinigt er sein Modell zwar um die Faktoren Alter und Geschlecht, allerdings lässt er andere unabdingbare Variablen, die zur sogenannten Standarddemographie gehören, wie beispielsweise die Bildung und das Einkommen, aus seinem Modell aus. Inferenzstatistisch wäre es wissenschaftlich sauberer, das Modell auf diese Variablen ebenfalls zu kontrollieren. Weitere Variablen, die spezifisch im Fall von Geflüchteten unerlässlich wären, wie Gewalterfahrungen und Traumata, tauchen in seinem Modell ebenfalls nicht auf. Durch das Auslassen solcher wichtigen Daten, die für eine Ursachenforschung relevant wären, ist es einfach, zu Scheinargumenten zu gelangen.
Ein weiteres Beispiel dafür, wie er aus einer methodischen Perspektive wesentliche inferenzstatistische Faktoren zugunsten seiner Argumentation ignoriert, findet sich in seiner Argumentation, wie Gewalt gegen Geflüchtete durch Geflüchtete höher sei, als Gewalt gegen Geflüchtete durch Deutsche. Er argumentiert anhand von Zahlen – allerdings wird hierbei beispielsweise nicht berücksichtigt, wie stark segregiert Geflüchtete leben. Dieser zentrale Zusammenhang wird ignoriert. Diese verzerrten empirischen Grundlagen nutzt Koopmans dann erneut, um den Rassismus in Deutschland zu relativieren: „Trotz der empirisch feststellbaren viel größeren Häufigkeit anderer Täter-Opfer-Muster wird bei Tötungsdelikten gegen Flüchtlinge, bei denen der Täter zunächst unbekannt ist, öfter vorschnell gemutmaßt, dass die Tat einen rassistischen Hintergrund haben müsse.“ (Koopmans, 2023, S. 156)
Ein weiterer Punkt, den Koopmans in seinem Buch populär macht, ist die Ansicht, ukrainische Geflüchtete würden gerechterweise privilegierter behandelt als Flüchtende, die im Zuge der Migrationswelle von 2014/2015 nach Deutschland kamen. Er deutet an, dass es sich bei diesem Phänomen ebenfalls nicht um Rassismus handeln könne (Koopmans, 2023, S. 184). Dass die unterschiedliche Behandlung beider Gruppen generell besteht, ist offensichtlich. Man erinnere sich an Momente in Talkshows, in denen Moderator_innen nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs in schockiertem Ton feststellen mussten, dass es nun wieder einen Krieg in Europa gibt. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Öffentlichkeit die Flüchtenden vor dem Ukrainekrieg vollkommen anders wahrnahm und somit nicht die gleiche Debatte um eine „Flüchtlingskrise“ ausbrach.
Dass es nun eine Ungleichbehandlung migrantisierter Menschen zugunsten ukrainischer Geflüchteter gibt, versucht Koopmans überhaupt nicht zu leugnen. Im Gegenteil: Er benennt das eindeutig so, und es entsteht der Eindruck, dies passiere „natürlich“ und berechtigterweise. In Kapitel 6 seines Buches beschreibt er, Flüchtende aus der Ukraine seien „anders“, weil uns die Ukraine sowohl geographisch als auch kulturell näher sei (Koopmans, 2023, S. 184). Die entgegengesetzte Betrachtungsweise, dass Rassismus sich bloß noch potenziert, wenn sich eine geflohene Bevölkerungsgruppe „schwerer integrieren“ lässt, dass das diese Bevölkerungsgruppe noch vulnerabler macht, und dass ein inklusives, menschenwürdiges Klima somit umso wichtiger wird, scheint für Koopmans nicht in Frage zu kommen. In diesem Kontext macht Koopmans beinahe deterministische Aussagen und es entsteht der Eindruck, Rassismus wäre lediglich die logische Konsequenz von kulturellen Unterschieden.
Zudem muss ein weiterer wichtiger Punkt gemacht werden. Auch wenn Koopmans vereinzelt vielleicht richtig liegt, wie zum Beispiel, wenn er schreibt, dass es problematisch ist, wenn junge, wohlhabende Männer unter den Flüchtenden überrepräsentiert sind, fehlt trotzdem eine sinngemäße Überleitung zu seiner Forderung einer Verschärfung der EU- und Asylpolitik. Flucht ist von sozioökonomischen und patriarchalen Machtstrukturen geprägt. Das Konkludieren restriktiver Politik, die er als notwendig ansieht, wird aber nicht vertieft. Es bleibt unklar, wieso wir nun unsere Asylpolitik auf Drittstaaten auslagern sollen, anstatt soziale wie ökonomische Ungleichheit und patriarchale Missstände zu problematisieren.
Solche Forschungen, die unter anderem mit einer verzerrten Datengrundlage arbeiten, begünstigen die Förderung rassistischer Ideologien. Ebendiese Bücher wurden sogar schon von Rechtspopulisten wie Thilo Sarrazin, dem Niederländer Geert Wilders und der ehemaligen AfD-Chefin Frauke Petry immer wieder zitiert (Bax, 2016). Eine Abgrenzung des Autors fehlt völlig.
Koopmans war zudem Vorsitzender des Kuratoriums des Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung. Ferner ist er Direktor für die Abteilung Migration, Integration und Transnationalisierung beim WZB. Er ist öffentlichkeitswirksam tätig, vertritt beispielsweise in Talkshows seine radikalen und wissenschaftlich unsauber herausgearbeiteten Thesen. In der Öffentlichkeit fordert er schon lange eine restriktivere Asylpolitik und, wie es voraussichtlich auch verabschiedet wird, die Antragstellung nach Asyl von von Flucht bedrohten Personen in Drittstaaten (Hart aber fair, 2023). Entsprechend ist es kein Fehlschluss zu konstatieren, dass er eine gesellschaftlich einflussreiche Stellung innehat, und ihm innerhalb sozialer Diskurse Gehör verschafft wird. Bei ihm handelt es nicht um eine willkürliche Person mit rechts-alternativen Ansichten. Es entsteht der Eindruck , dass er sehr strategisch und gezielt mit dem Einfluss, den er innehat, arbeitet.
Wichtig herauszustellen und aus wissenschaftlicher Perspektive zu kritisieren ist, dass es teilweise uneindeutig bleibt, ob er an wichtigen Stellen empirische oder normative Aussagen trifft. An vielen Stellen fragt man sich nach der Grundlage, auf der gewisse Aussagen fußen. In der Hinsicht darf man sich durchaus die Frage stellen, inwiefern Koopmans als Dozierender wissenschaftliche Inhalte vermittelt oder ob er damit nicht auch unter einem (pseudo-)wissenschaftlichen Deckmantel politischen Lobbyismus betreiben könnte. Wie die angeführten Aussagen anzeigen, könnten seine Publikationen einer Abschottungspolitik den Nährboden bieten.
Zuletzt dürfen wir nicht vergessen, dass geflüchtete Menschen zumeist selbst nicht einmal freiwillig in Deutschland leben möchten, von äußeren Umständen aber dazu gezwungen wurden. Durch Beiträge zu den gesellschaftspolitischen Debatten wie die von Koopmans werden Ressentiments geschürt und eine Integration erschwert. Gerade aus einer eurozentrischen Perspektive wird häufig unter den Tisch gekehrt, wie viele Gebiete im Nahen Osten oder in (Nord-)Afrika durch die Politik einiger Staaten des globalen Nordens destabilisiert wurden. Afghanistan war beispielsweise ein relativ freies Land, welches zunächst von der Sovietunion und folgend von den USA wie westeuropäischen Staaten besetzt wurde. Mit dem Abzug der Truppen wurde das Land dem völligen Chaos und der Herrschaft der Taliban und der Scharia überlassen. Das ist der Zusammenhang, den wir im Blick und auf das Schärfste verurteilen müssen: Staaten mit imperialistischen Interessen verwüsten und zerstören quasi gesamte Kontinente, und Menschen, die fliehen, werden vor der Festung Europa stehengelassen. Sie erfrieren in Wäldern an der polnischen oder belarussischen Grenze, landen in inhumanen Gefängnissen in Drittstaaten, ertrinken im Mittelmeer, oder sterben in der Sahara auf der Strecke vom Innern Afrikas zur Mittelmeerküste. Statt kritische Wissenschaft zu betreiben, schüren Wissenschaftler an deutschen Universitäten darauffolgend dann lieber Sentiments gegen ebendiese Opfer einer gewaltvollen, imperialistischen Politik.
Literaturverzeichnis
Bax, D. (4. 10 2016). Streit an der Humboldt-Universität. Der Parallelforscher. taz.
Hart aber fair. (15. 8 2023). Neue Härte: Kommt die Wende in der Asylpolitik?
Koopmans, R. (2023). Die Asyl-Lotterie. Eine Bilanz der Flüchtlingspolitik von 2015 bis zum Ukraine-Krieg. C.H.Beck.