Publishing is cancelled – HUch #97

| Ronja Arndt |

Mit ihrem neusten Buch liefert Rebecca Kuang einen gewohnt geistreichen Roman ab. Im Gegensatz zu ihren vorherigen Werken werden Lesende jedoch nicht in eine magische Welt gezogen, sondern bekommen Einblicke in die Probleme der Verlagswelt – besonders in Hinblick auf Rassismus.

Identitätspolitik, Cancel Culture, Cultural Appropration – diese Schlagwörter kursieren in den letzten Jahren immer häufiger durch soziale wie andere Medien. Während Rechte empört aufschreien, werden die Konzepte in linken Kreisen heftig diskutiert. Diese Diskurse bleiben nicht nur auf Instagram, X (ehemals Twitter) und anderen Plattformen, sondern finden auch ihren Weg in die Popkultur.

Foto: Maximilian Schaaf

Der 2023 erschienene Roman „Yellowface“ stellt sich den besagten Themen im Bereich der Literatur sowie des zugehörigen Literaturmarkts zwischen Schreibenden, Fans, Kritiker_innen und Verlagen. Bei einem näheren Blick auf das Buch zeigt sich eine nicht undifferenzierte Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse bezüglich Rassismus und Kapitalismus. Mit „Yellowface“ wagt die Autorin Rebecca Kuang den Sprung in ein neues Genre. Während ihre Romane bislang im Bereich der Fantasy angesiedelt und von Magie beflügelt wurden, so handelt es sich bei dem Werk um eine ganz und gar in der realen Welt angesetzte Satire.

Der Plot ist auf den ersten Blick relativ simpel: June, weiß und wenig erfolgreich mit ihren Versuchen als Autorin erfolgreich zu sein, steht seit ihrer gemeinsamen Zeit am College in Kontakt mit ihrer dort gefundenen ‚frenemy‘1. Athena,  als asiatisch-amerikanische Schriftstellerin mehr als erfolgreich, lädt June nach einigen Cocktails zu sich ein – und verstirbt überraschend. June stiehlt kurzerhand das nahezu fertige Manuskript, das Athena ihr noch kurz vor ihrem überraschenden Tod zeigte und beginnt, es fertigzustellen. Es kommt zum sehnlichst erwarteten Durchbruch, zusammit mit einer Lawine an Ereignissen. June muss sich nun zurechtfinden in verschiedenen Diversity-Programmen der Verlagswelt, sieht sich dem Vorwurf der Cultural Appropration ausgesetzt und muss damit umgehen lernen, was es bedeutet, als Person des öffentlichen Lebens ‚gecancelt‘ zu werden. Mit bissigem Humor und rasantem Erzähltempo werden aktuelle politische Fragen gestellt und verhandelt. Darf eine weiße Frau über nicht-weiße Charaktere schreiben? Wo liegt das Interesse von Verlagen tatsächlich, wenn es um Diversity geht? Handelt es sich bei ‚Cancel Culture‘ und Identitätspolitik tatsächlich um emanzipatorische Politiken?

Wer sich bereits ein wenig mit Kuang als Person und ihren bereits erschienen Büchern, nämlich der „Poppy-War“-Triologie sowie „Babel“, beschäftigt hat, ist geneigt, eine linke Analyse der genannten Thematiken zu erwarten – und liegt damit keineswegs falsch. Kuang ist nicht nur dafür bekannt, dichte Theoriearbeit anhand von Theoretiker_innen wie Frantz Fanon, Edward Said oder auch Cedric J. Robinson im Hintergrund ihrer Romane zu verhandeln, sie engagiert sich auch  abseits ihres Schreibens politisch. So unterstützte sie im vergangenen Jahr etwa die Streikenden HarperCollins, also des Verlagshaus, in welchem bislang ihre eigenen Bücher erschienen sind.

Dies zeigt sich auch an verschiedenen Stellen in „Yellowface“, von denen einige exemplarisch hervorzuheben sind: Begonnen werden kann hierbei mit einer der offensichtlichsten, nämlich Junes Identität als weiße Frau und der daraus resultierenden Darstellung ihrer selbst als Opfer der Umstände. Während im weiß geprägten, liberalen bzw. westlichen Feminismus weiße Frauen sich seit jeher gerne als die am stärksten betroffenen Opfer des Patriarchats darstellen, lässt diese radikale Interpretation ihrer gesellschaftlichen Stellung oft nicht zu, dass sie zugleich auch als Täterinnen in Frage kommen. Ebenso verhält sich June, wobei anhand ihres Charakters deutlich wird, dass eine Identität als (weiße) Frau keineswegs ausschließt, dass sie eben nicht auch Täterin sein kann – was sich bereits zu Beginn der Handlung zeigt, als sie das Manuskript Athenas‘ stiehlt.

Darüber hinaus lässt sich an June (trotz ihrer nur bedingten Verlässlichkeit als Erzählerin), ein weiterer Kritikpunkt Kuangs finden. Dieser wiederum bezieht sich auf den Umgang von Verlagshäusern mit Diversity als Verkaufsstrategie. So wird im Laufe des Romans deutlich, dass das Team, welches Junes Buch in dem Prozess der Veröffentlichung betreut, race als verkaufsfördernden Faktor nutzen will. Dabei geht es selbstredend lediglich um Profit, und keinesfalls darum, für tatsächliche Sichtbarkeit zu sorgen. So ist dem Verlag klar, dass es sich bei June sicherlich nicht um eine von (anti-asiatischem) Rassismus betroffene Person handelt.

Kuangs überspitzte Darstellung der fiktiven Ereignisse hat dabei einen realen Hintergrund. Eine 2022 veröffentlichte Studie (entstanden in dem Zeitraum, in welchem auch „Yellowface“ geschrieben wurde), beschäftigt sich mit race als Faktor in der Verlagsindustrie. Die Ergebnisse sind leider – erwartenswerterweise – ernüchternd.  Die Forderungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit und gegen Rassismus, die 2020 während der Black-Lives-Matter-Proteste auch an Verlage richteten, haben lediglich zu mehr Diversity-Konzepten als Form von Marketingstrategie geführt. Die in Großbritannien gefundenen Ergebnisse lassen sich auch mit wenig Vorstellungsvermögen auf die USA, wo Kuang arbeitet und ihrer Roman spielt, übertragen: „Dieser Artikel drehte sich um die Frage: Wie macht die Verlagsbranche  Autor_innen of Color? Die kurze Antwort lautet, dass sie für ein weißes Publikum der Mittelschicht gemacht werden. Die zunehmende wirtschaftliche Bedeutung von Diversity kann zu einigen Chancen für Autor_innen of Color führen, aber nur, wenn sie den rassistischen Erwartungen weißer Verleger_innen und Einzelhändler_innen entsprechen. Und selbst wenn diese Erwartungen erfüllt werden, führt dies nicht unbedingt zu wirtschaftlichen Vorteilen. Vielmehr wird dadurch der Lohn für ihre Arbeit verringert [Übersetzung R.A.].”2 Ebenso verhält es sich in „Yellowface” mit dem Buch, das June veröffentlicht – kein Wunder, dass es sich um einen einschlagenden Erfolg im Mainstream handelt.

Foto: Maximlian Schaaf

Wenden wir uns von June als Protagonistin ab und widmen uns der eigentlichen Autorin Athena. Wenngleich sie bereits zu Beginn des Romans verstirbt, so lässt ihr metaphorischer Geist niemanden wirklich ruhen. An dieser Rolle zeigt sich die Schärfe von Kuangs Kritik, die stellenweise vom rasanten Erzähltempo verschluckt wird. Zwischen den sich überschlagenden Ereignissen und absurden Spitzen ist es stellenweise nicht so einfach, herauszulesen, wer nun auf welche Art kritisiert wird. Umso wichtiger, einen Moment innezuhalten und nach der zweiten Hauptfigur zu fragen. Denn Athena, wie beim sorgfältigen Lesen deutlich wird, war sicherlich keine tragische Heldin. Es wird mit jeder gelesenen Seite deutlicher, dass ihre Figur zugleich eine Kritik an reiner Repräsentationspolitik darstellt. Zwar gibt bzw. gab es mit ihr nun eine Schriftstellerin of Color ganz an der Spitze – das bedeudet(-e) aber weder, dass sie ihre Position genutzt hätte, um anderen Schreibenden of Color zu helfen, noch, dass sich dadurch das System geändert hätte. Dies stellt nicht nur eine relevante Kritik Kuangs dar, sondern zeigt auch ihr Talent, komplexe Charaktere zu schaffen. Athena ist kein Token, sondern eine eigene, vielschichtige Persönlichkeit, mit der man gleichzeitig nicht sympathisieren muss.

Neben den bereits genannten Punkten muss ein wichtiger Themenkomplex  zu „Yellowface“ noch analysiert werden: nämlich die sogenante ‚Cancel Culture‘. Immer wieder holt Kuang die nervenaufreibenden Dynamiken sozialer Medien hervor, begonnen bei Doom-Scrolling bishin zur Erfahrung, über diverse Plattformen ‚gecancelt‘ zu werden. Ohne an dieser Stelle zu viel von der Handlung zu spoilern, zeigt Kuang, dass sie auch hierbei eine differenzierte Position vertritt: ‚Canceln‘, wie es häufig mit Einzelpersonen geschieht, kann eine Strategie zum Mundtot-Machen verschiedener Personen sein. Aber das System ändert sich dadurch nicht – im Zweifelsfall rückt lediglich jemand nach, wenn der Call-Out es schafft, die eigenen Echoräume zu verlassen. An diesem Punkt kann auch mit der Autorin und Aktivistin adrienne maree brown ergänzt werden, dass Diskurse in den sozialen Medien oft dazu verleiten, verschiedene Formen von Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt auf die gleiche Ebene zu heben, bei denen eine sorgfältigere Differenzierung notwendig wäre. Zeitgleich ist die Versuchung groß, sich von der Dynamik hinreißen zu lassen und das süße Gefühl, selbst besser als andere zu sein, auszukosten. Dies bedeutet aber nicht, dass ein Call-Out nicht eine wichtige Funktion für soziale Veränderung einnehmen kann – jedoch ist dafür eben die Art und Weise, wie er umgesetzt wird, von großer Bedeutung3.

Es stellt sich mit „Yellowface“ die Frage, was denn nun geschehen soll. Die besprochenen Probleme sind offensichtlich: Letztendlich handelt es sich bei der Verlagsindustrie auch nur um einen weiteren Marktzweig des Kapitalismus. Kuang bleibt uns an dieser Stelle Antworten schuldig, und hierin liegt dann doch eine der Schwächen des Romans: Es fehlt eine stärkere Einbindung in gesamtgesellschaftlichen und damit auch kapitalistischen Verhältnisse. Beispielsweise wird der Faktor der Klasse im Zusammenhang mit Rassismus in dem Roman stark vernachlässigt und stellenweise wirkt es so, als habe Kuang den Roman eher für sich selbst, zur Verarbeitung ihrer eigenen Erfahrungen, als für ein Publikum geschrieben. Lesende mögen zurückbleiben mit einem interessanten und wichtigen Einblick – und sich danach allerdings fragen, was denn nun getan werden sollte.

Wer nach „Yellowface“ die nächsten Schritte gehen will, sollte einen Blick in „Violent Phenomena“ werfen. In dieser ebenfalls neuen Publikation aus dem Jahre 2022 werden vielfältige Essays von Übersetzenden versammelt. Diese beschäftigen sich mit Fragen rund um Übersetzungen, Übersetzende, Rassismus, aber auch Ableismus und Klasse. Wie bereits in der Einleitung des Sammelbandes festgestellt wird, so handelt es sich auch beim Schaffen von Literatur um (Lohn-)Arbeit, und ist damit in die gesellschaftlichen, kapitalistischen Verhältnisse eingebunden. Infolgedessen geht es also nicht lediglich darum, wer wie repräsentiert wird (die Grenzen dessen zeigen sich bei Kuang am Charakter Athena), sondern auch, wie die gesamte Industrie Teil eines größeren Komplexes ist: nämlich eines profitorientierten, marktwirtschaftlichen Systems. Die Herausgebenden ziehen daraus einen treffenden Schluss: “Individuelle Bemühungen und Erfahrungen sind zwar wichtig, aber wirkliche Veränderungen, grundlegende Veränderungen, finden auf struktureller Ebene statt, und um diese zu verändern, müssen wir sie zunächst klar sehen. Unterdrückerische Systeme müssen eher abgebaut als verhandelt werden, damit neue Möglichkeiten entstehen, damit wir uns überhaupt etwas anderes vorstellen können [Übersetzung R.A.].”4 In diesem Sinne kann eine literarische Auseinandersetzung, wie Kuang sie bietet, hilfreiche Einblicke und kritische Ansätze bieten. Eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert jedoch weitaus mehr, nämlich den benannten Wandel der kapitalistischen Verhältnisse.

Trotz dieser Leerstelle in Kuangs Analyse in „Yellowface“ und den kleineren Kritikpunkten ist festzuhalten, dass Rebecca Kuang erneut ein komplexes, kritisches und gleichermaßen unterhaltsames Buch geschaffen hat. Mit rasantem Tempo jagen Lesende durch die Verlagswelt, wobei die satirischen Aspekte keineswegs über eine Realität, die man sich oftmals nicht mehr ausdenken könnte, hinwegtäuschen – sondern sie vielmehr erst wirklich greifbar machen.

1 „Eine Person in Ihrem Leben (in der Regel ein Freund eines Freundes oder ein Arbeitskollege), mit der Sie gut auskommen und deren Gesellschaft Sie insgesamt genießen, die Sie aber bei jeder Gelegenheit mit meist zweideutigen Komplimenten oder Sticheleien niedermacht. Sie sind immer dafür, dass Sie gut sind, aber eben nicht besser als sie. Normalerweise kommt das von einer gewissen Eifersucht auf irgendeinen oder alle Aspekte deines Lebens.“ https://www.urbandictionary.com/define.php?term=Frenemy

2 Saha, Anamik/Van Lente (2022): The Limits of Diversity: How Publishing Industries Make Race. In: International Journal of Communication 16(2022), 1804–1822 .

3 Vgl. brown, adrienne maree (2020): We Will Not Cancel Us. And Other Dreams Of Transformative Justice. Chico: ak press.

4 Bhanot, Kavite/ Tiang, Jeremy (2022): Introduction. In: Bhanot, Kavite/ Tiang (Hg.): Violent Phenomena. 21 Essays on Translation. Ohne Ort: Tilted Axis Press, S. 7-14.