| Hanna Jetter |
Dozierende missbrauchen ihre Macht gegenüber Studierenden und die Uni sieht nicht nur tatenlos zu, sondern trägt zur Isolierung ihrer Studierenden bei. Hanna Jetter zeigt auf, wie Machthierachien genau das bewirken, und wie der jahrzehntelange und verschleierte Machtmissbrauch durch Andreas Kohring kein Einzelfall ist, sondern System hat.
Weiterlesen: DEM MACHTMISSBRAUCH DIE MACHT NEHMEN! – HUch #98
„Andreas Kohring ist ein Täter“1 – mit diesen Worten beginnt das Statement des anonymen Kollektivs, das einem Dozenten der HU öffentlich Machtmissbrauch, Gewalt und Diskriminierung vorwirft. Ein Paukenschlag an der HU. Menschen in Verantwortungspositionen zittern. Es hagelt Zeitungsberichte, studentische Vollversammlungen, Pressemitteilungen, Betroffenengespräche. Kohring wird erst freigestellt und dann gekündigt, ein Kündigungsschutzprozess endet mit einem juristischen Vergleich. Zeitgleich werden weitere Vorwürfe der sexualisierten Gewalt gegen Andreas Eckert publik. An der HU beginnt im Sommer 2023 ein Prozess der Öffentlichmachung und Aufarbeitung von Machtmissbrauch. Dieser Prozess ist noch lange nicht vollendet. So viel lässt sich vorwegnehmen: Das Thema Machtmissbrauch wird Hochschulen nicht loslassen, solange sich nicht strukturell etwas am extrem hierarchischen System Wissenschaft ändert.
Der folgende Text bietet einen kurzen Überblick darüber, was Machtmissbrauch ist und warum die HU und andere Hochschulen ein Problem mit Machtmissbrauch haben und so schnell auch nicht loswerden. Das Anliegen des Artikels ist es, ein wenig Licht in die rechtlichen Rahmenbedingungen bringen und vor allem aber transparent machen, wie ihr euch wehren könnt. Denn das ist möglich: Sowohl auf rechtlich-institutioneller als auch auf aktivistischer Ebene. Betroffenen soll Mut gemacht werden: Ihr seid nicht machtlos, auch wenn es oft so aussehen mag und sich Menschen in Verantwortungspositionen gerne auf ihre angebliche Handlungsunfähigkeit berufen. Vor allem aber seid ihr nicht allein. Es gibt Menschen, die euch glauben, und die euch helfen.
„Machtmissbrauch beruht auf dem Ausnutzen strukturell gefestigter, professoraler Privilegien von finanzieller Sicherheit, Entscheidungsgewalt und Wissenshierarchien. […] Eng verbunden ist Machtmissbrauch dabei mit verschiedenen Formen von Diskriminierung, weil Wissenschaft & Lehre immer noch von patriarchalen und weißen Perspektiven geprägt sind.“2 Machtmissbrauch bedeutet oft, dass Dozierende ihre Aufgaben nicht (sachgemäß) erfüllen oder ihre Kompetenzen weit überschreiten – und das in erschreckender Regelmäßigkeit und Unbelehrbarkeit. Wir, das heißt die AG Machtmissbrauch im RefRat, definieren Machtmissbrauch daher zunächst unabhängig von sonstigen Diskriminierungskategorien.
Aber: Auch eine angeblich noch so aufgeklärte, weltoffene Universität wie die Humboldt-Uni kann keinen Raum außerhalb von gesellschaftlichen Diskriminierungsverhältnissen bieten. Brennpunktartig fokussiert sich daher Machtmissbrauch oft auf Studierenden, die sowieso gesellschaftlich diskriminiert werden. Das zeigt sich zum Beispiel an transfeindlichen Kommentaren in Vorlesungen, rassistischen Vorurteilen in der Bewertung von Leistungen, der systematischen Erschwerung des Studiums für Studierende mit Kind oder Studierende mit chronischer Erkrankung oder eben an sexualisierter Belästigung und Gewalt gegen Studentinnen und weiblich gelesenen Studierenden. Diese Studierenden bekommen zwei Machtverhältnisse zu spüren – zur alltäglichen, gesamtgesellschaftlichen Diskriminierung kommt die systematische Verunmöglichung des Studiums hinzu. Ermöglicht wird das erst durch „Abhängigkeitsverhältnisse, Machtasymmetrien und strukturelle Diskriminierung“, die „Kennzeichen von Hochschulen sind“.3 Solange sich an diesem Rahmen nichts ändert, bildet die Uni weiterhin einen fruchtbaren Nährboden für Machtmissbrauch.
In vielen Fällen, die in der Beratung im RefRat ankommen, wiederholt sich ein Muster: Die Täter*innen haben Positionen inne, in denen niemand an ihnen vorbeikommt – zum Beispiel sind sie die einzigen Lehrpersonen, die bestimmte Module anbieten, oder Vorsitzende in wichtigen Kommissionen wie dem Prüfungsausschuss. Oft gibt es eine lange Geschichte verschiedenster Beschwerden und Konfliktlösungsversuche. Gleichzeitig hat keine der angestrebten Lösungen langfristig und zufriedenstellend funktioniert. Es sei angemerkt, dass diese Konfliktlösungsversuche oft einfach nur Pseudo-Lösungen sind und nichts am größeren institutionellen Rahmen ändern, sondern im Gegenteil fast aktionistisch das Gewissen von Menschen in Verantwortungspositionen beruhigen, ohne wirklich das Bedürfnis von Opfer sexualisierter Gewalt in den Vordergrund zu stellen. Es überrascht nicht, dass Täter*innen an der HU wie auch sonst fast überall keine Angst vor Konsequenzen haben müssen. Trotzdem lassen sich Gründe ausmachen, warum Täter*innen besonders an Universitäten nichts zu befürchten haben.
„Die Dozentin sitzt im Prüfungsausschuss und hat gedroht, dass sie am längeren Hebel sitzen würde, uns durch unser gesamtes Studium verfolgen wird und wir schon sehen werden.“4
In § 3 Abs. 1 der Richtlinie für ein respektvolles Miteinander an der HU steht zwar: „Die HU schützt all ihre hauptberuflich und nebenberuflich Tätigen, ihre Studierenden sowie ihre Gäste vor Diskriminierung, Mobbing, Stalking sowie sexualisierter Belästigung und Gewalt. Sie ahndet Verstöße gegen diesen Grundsatz.“5
Um einen Verstoß anständig zu ahnden, müssen jedoch zunächst zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die betroffene Person oder der*die Zeug*in muss den Mut besitzen, den Vorfall an die zuständige Stelle zu melden. Anschließend muss die zuständige Stelle den Fall konsequent verfolgen und die Möglichkeit haben, Konsequenzen zu ziehen, die den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht werden. Hier tun sich vielfältige Probleme auf, die im Endeffekt dazu führen, dass Fälle von Machtmissbrauch bisher fast immer ohne betroffenengerechte Konsequenzen bleiben. Zunächst muss der Übergriff auch als solcher wahrgenommen werden. Besonders im Klima einer „aufgeklärten“ Universität werden verhängnisvolle Machtstrukturen nur selten thematisiert. Das führt dazu, dass Personen in Machtpositionen vorschnell in Schutz genommen werden. Argumentiert wird hier unter anderem mit der Lehrfreiheit. Studis kennen oft ihre Rechte nicht gut genug und vertrauen zunächst darauf, dass das, was Profs tun, schon richtig sein wird – ein gesundes Misstrauen ist hier jedoch immer angebracht.
Die Person muss dann den Mut finden, über den Übergriff zu sprechen. Das ist schon im engsten Freund*innenkreis oft nicht leicht. Sehr viel schwerer wird es jedoch in einem so hierarchischen und für die Betroffenen meist zentralen Umfeld wie der Uni. Hier spielt nun nicht nur Scham eine Rolle, sondern auch die sehr reelle Angst vor Sanktionierung. Wer seinen Prof kritisieren oder melden möchte und gleichzeitig über Noten, Netzwerk, gar Lohnabhängigkeit und akademische Karriere von ihm abhängig ist, der überlegt sich doppelt und dreifach, einen Vorfall zu melden.
„In unseren Vorlesungen gibt es auch Rassismus. Ich hätte gerne mehr etwas gesagt, aber ich habe mich aufgrund der Machtsituation nicht getraut.“6
Des Weiteren braucht es eine zuständige Stelle, von der Betroffene wissen, der sie vertrauen, und die dann tatsächliche Handlungsmöglichkeiten hat. An der HU werden eine Vielzahl von Personen als verantwortlich benannt.7 Oft fehlt es an Wissen über rechtliche Handlungsmöglichkeiten; so müssen beispielsweise Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte erstaunlicherweise keinerlei Fortbildungen zum Umgang mit Betroffenen machen und werden auch innerhalb der HU nicht zu Themen wie Machtmissbrauch geschult. Es kommt darüber hinaus zu einer Verantwortungsdiffusion: Fälle werden von Stelle zu Stelle weitergereicht, bis die Betroffenen die Energie verlieren und sich die Fälle in den Akten verlieren. Es bräuchte eine zentrale, geschulte Stelle, die auch andere Diskriminierungsformen als die gegen Frauen im Blick behält.
Für Betroffenenvertretungen fehlt es zudem an der Möglichkeit, selbst Konsequenzen einzuleiten. Ob die Meldung eine tatsächliche Besserung der Situation bewirkt, hängt bisher recht zufällig von Wissen, Motivation und gutem Willen der angesprochenen Stelle an.8 Wenn Menschen in der Beratung des RefRat landen, haben sie oft schon einige schlechte Erfahrungen mit anderen Beratungsstellen gemacht. Studis erleben also nicht nur eine signifikante Verletzung ihrer Identität und Integrität9, sondern werden darin von der Universität isoliert und ohnmächtig zurückgelassen. Dies geschieht seit Jahrzehnten im Wissen der verantwortlichen Stellen.
„Viele meiner Freundinnen haben sich bei mir über Sexismus beschwert. Allerdings hat niemand von ihnen das gemeldet, weil die Probleme allgemein bekannt sind, aber trotzdem bislang nichts passiert ist. Dadurch haben sie sich machtlos gefühlt.“10
Im Fall Kohring waren Übergriffe seit den 90ern bekannt. Auch die zentrale Frauenbeauftragte wusste seit 2010 von den Übergriffen. Es hat über zwei Jahrzehnte gedauert, bis echte Konsequenzen folgten. Das Vertrauen von Studis in Ansprechstellen muss in den kommenden Jahren hart zurückerarbeitet werden. Gleichzeitig muss in der Debatte um Machtmissbrauch unbedingt anerkannt werden, dass nicht einzelne Ansprechpersonen Schuld tragen, sondern immer diese Täter*innen sowie das System, das ihnen die Möglichkeit bietet und sie im Folgenden schützt. So wichtig es auch ist, Betroffene gezielt anzusprechen: Für wirksame Prävention braucht es unbedingt auch die Ansprache von Menschen in Machtpositionen.
Wie aber können Studis vorgehen? Am wichtigsten ist es zunächst, alles Mögliche zu dokumentieren. Ein Gedächtnisprotokoll ist hier oft hilfreich, Screenshots können ebenfalls weiterhelfen. Von belastenden Lehrveranstaltungen oder Sprechstunden lassen sich auch Audioaufnahmen machen. Auch wenn ihr keine weiteren Schritte gegen Täter*innen gehen wollt, ist es zur Verringerung der Dunkelziffer hilfreich, wenn ihr euch mit euren Erfahrungen bei uns meldet und eure Erfahrungen (auch anonymisiert) mit uns teilt. Nur so gehen die Erfahrungen von Generationen Studierender nicht verloren, wenn sie die Uni verlassen. Wenn gewünscht, können wir außerdem beraten und gegebenenfalls zusammen Schritte planen.
Auf rechtlich-institutionellem Weg lassen sich vor allem arbeitsrechtliche Konsequenzen einfordern. Dies sind z.B. Weisungen oder Er- und Abmahnungen, Druck muss hier auf die jeweiligen Vorgesetzten ausgeübt werden. Ein Verstoß gegen eine Weisung kann die Grundlage für eine Kündigung darstellen. Bei verbeamteten Profs gestalten sich die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten grundsätzlich ein wenig enger als im Arbeitsrecht.
Wenn die jeweiligen Vorgesetzten der Personen ihre Fürsorgepflichten nicht wahrnehmen und auf Beschwerden nicht eingehen, lässt sich auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde schreiben oder die Ombudsstelle des Landesantidiskriminierungsgesetzes Berlin (LADG Bln) aktivieren. Hierzu kann sich antidiskriminierungsrechtliche Beratung im Studentischen Sozialberatungssystem eingeholt werden. 11
Der rechtlich-institutionelle Rahmen ist aber nur ein möglicher Handlungsrahmen. Recht ist doch oft eher Unterdrückungsinstrument als Mittel zur Emanzipation. Aus Protest- und Bewegungsgeschichte lässt sich lernen, dass kreativer, unbequemer Protest oft am wirksamsten ist.
Daher: Bildet Banden und werdet kreativ. Unterstützt euch gegenseitig und vor allem Betroffene. Brecht Isolation auf. Wenn die Person (zunächst) nicht von der HU wegzubekommen ist, bleibt immer noch die Möglichkeit der Schadensbegrenzung. Hier kann versucht werden, die Person aus ihrer alleinigen, mächtigen Stellung oder auch aus Gremien herauszubekommen. Dazu lässt es sich gut mit hochschulpolitisch aktiven Menschen wie z. B. den Fachschaften zusammenarbeiten. Auch Outcalling kann wirksam sein – das kann institutsintern passieren oder öffentlich. Medialer Druck kann Menschen in Verantwortungspositionen zum Handeln zwingen. Wenn wir uns beispielsweise vorstellen, dass ein übergriffiger Professor und seine Lehrveranstaltungen kollektiv bestreikt oder blockiert werden, so käme (zumindest in nicht-beamtenrechtlichen Arbeitsverhältnissen) für die Unileitung eine sogenannte Druckkündigung infrage, da sie Schaden von der Universität abwenden muss. Nur organisierte Studierendenschaften sind starke Studierendenschaften, die sich selbst schützen können. Genau deswegen ist es so wichtig, in der Hochschulpolitik beständig auf den Rückbau von Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen hinzuwirken: Denn so sieht langfristige und verantwortungsvolle Prävention von Machtmissbrauch aus.
Wer an der HU Verantwortung trägt und sich hinter angeblicher Handlungsfähigkeit versteckt oder absichtlich Konsequenzen verschleppt, auf den lässt sich kein Vertrauen bauen. Die HU muss die Aufarbeitung von Machtmissbrauch nach den Jahrzehnten des Schweigens endlich als oberste Priorität setzen, Betroffenen endlich glauben und echte Konsequenzen ziehen. Die Uni ist für Studierende da, nicht für ihre Profs – wir sind viele, und wir nehmen uns unsere Uni zurück.
- https://de.indymedia.org/node/291714 (zuletzt abgerufen: 27.06.2024), siehe auch HUch-Redaktion und RefRat: https://www.refrat.de/huch/2024/03/keine-uni-fuer-taeter/ (zuletzt abgerufen: 27.06.2024).
- Definition: RefRat HU Berlin, entnommen dem Informationsplakat zum Thema Machtmissbrauch, abholbar Ziegelstr. 4.
- Pantelmann, Blackmore: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext (2023), S. 3.
- Aus einer anonymen Umfrage zu Machtmissbrauch, RefRat November 2023
- Richtlinie des Präsidenten sowie Dienstvereinbarung zwischen dem Präsidenten und dem Gesamtpersonalrat für ein respektvolles Miteinander an der Humboldt-Universität zu Berlin, Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 117/2014, online abrufbar: https://gremien.hu-berlin.de/de/amb/2014/117/117_2014_RL%20und%20DV%20respektvolles%20Miteinander_DRUCK.pdf (zuletzt abgerufen 11.05.2024) Richtlinie des Präsidenten sowie Dienstvereinbarung zwischen dem Präsidenten und dem Gesamtpersonalrat für ein respektvolles Miteinander an der Humboldt-Universität zu Berlin, Amtliches Mitteilungsblatt Nr. 117/2014, online abrufbar: https://gremien.hu-berlin.de/de/amb/2014/117/117_2014_RL%20und%20DV%20respektvolles%20Miteinander_DRUCK.pdf (zuletzt abgerufen 11.05.2024).
- Aus einer anonymen Umfrage zu Machtmissbrauch, RefRat November 2023.
- Unter anderem: Die jeweiligen Vorgesetzten, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten, die Präsidentin und die Dekan*innen, der RefRat und das angegliederte Beratungssystem.
- Zur schwierigen Rolle von Gleichstellungsakteur*innen s. auch Wälty/Pantelmann in: Pantelmann/Blackmore: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext (2023), S. 32.
- Pantelmann/Blackmore: Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext (2023), S. 4.
- Aus einer anonymen Umfrage zu Machtmissbrauch, RefRat November 2023.
- Mehr Informationen auf der Website der Allgemeinen Rechtsberatung beim SSBS: https://www.refrat.de/beratung.recht.html.