Renaissance einer schlechten Idee – HUch #98

| Benjamin Kley & Bengt Rüstmeier |

Die Forderung nach der Wiedereinführung des Ordnungsrechts hat Konjunktur

Seit Anfang 2023 häuft sich im Zusammenhang mit Protesten und Besetzungen an Berliner Universitäten die Forderung nach harten Ordnungsmaßnahmen gegen die teilnehmenden Studierenden, darunter nicht zuletzt Exmatrikulationen. War diese Forderung zunächst nur von Rechten zu hören, ist sie im Zuge der politischen Auseinandersetzungen seit dem 7. Oktober in der Mitte des Diskurses angelangt.

Es forderte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) schon im Dezember: „Wo rechtlich möglich, darf die Exmatrikulation in besonders schweren Fällen nicht ausgeschlossen sein.“1 Was bei Stark-Watzinger noch zögerlich klang, forderten andere bestimmter. Die Initiative „Fridays for Israel“ zum Beispiel verlangte nach einem „klaren und unmissverständlichen Universitätsausschluss“ bei „jeder Form antisemitischer Taten und Äußerungen“.2

Vor dem Hintergrund eines brutalen Angriffs auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität (FU) Anfang Februar wurde die Debatte um das Ordnungsrecht konkreter und schärfer. Weil der mutmaßliche Angreifer ebenfalls Student der FU ist, fordern nun zahlreiche Stimmen seine umgehende Exmatrikulation.

Eine Exmatrikulation in diesem Fall ist nach geltender Rechtslage allerdings nicht möglich. Sie ist nur zulässig, wenn sie im Gesetz vorgesehen ist – und das ist seit 2021 nicht mehr der Fall. Adrian Grasse, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist nicht der Einzige, der nun fordert, das Ordnungsrecht über die Studierenden in Berlin wieder einzuführen;3 der Senat hat verlautbaren lassen, ein entsprechendes Gesetz im Abgeordnetenhaus einzubringen.4 Es lohnt sich daher ein näherer Blick sowohl auf die Konsequenzen dieser Idee als auch in die Geschichte des universitären Sanktionsapparates.

Exmatrikulationen sind Grundrechtseingriffe

Soll eine Studentin gegen ihren Willen exmatrikuliert werden, so ist das regelmäßig ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in das Ausbildungsgrundrecht der Studentin, jedenfalls eine tief einschneidende Maßnahme: Du darfst hier nicht weiterstudieren! Nicht selten mit existenzbedrohenden mittelbaren Auswirkungen – in Bezug auf BAföG-Leistungen, den Job, die Wohnsituation oder den Aufenthaltsstatus. Die Exmatrikulation darf daher nur in den Fällen angeordnet werden, die vom § 15 des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) explizit vorgesehen sind, beispielsweise im Fall des endgültigen Nichtbestehens eines Pflichtmoduls oder wenn die Rückmeldebeiträge nicht gezahlt wurden.

Noch bis 2021 dagegen war eine Exmatrikulation wegen „Ordnungsverstößen“ möglich. Obgleich kaum mehr angewandt, war diese Möglichkeit in § 16 BerlHG vorgesehen. Danach konnte die Universitätspräsidentin einen viertelparitätisch besetzten Ordnungsausschuss des Akademischen Senates einsetzen, der Ordnungsmaßnahmen verhängen konnte. Diese Maßnahmen reichten von der Androhung der Exmatrikulation über den Ausschluss von der Benutzung von Hochschuleinrichtungen oder von der Teilnahme an Lehrveranstaltungen bis hin zur Exmatrikulation.

Wegen der Definition des Ordnungsverstoßes verwies das Berliner Hochschulgesetz auf den § 28 des Hochschulrahmengesetzes (HRG), der seinerseits schon Jahre vor der Berliner Gesetzesnovelle gestrichen wurde. In seiner Ursprungsfassung sah § 28 HRG vor, dass einem Studenten die Immatrikulation widerrufen werden konnte, wenn er „durch Anwendung von Gewalt oder durch Bedrohung mit Gewalt 1. den bestimmungsgemäßen Betrieb einer Hochschuleinrichtung oder die Durchführung einer Hochschulveranstaltung behindert oder 2. ein Hochschulmitglied von der Ausübung seiner Rechte und Pflichten abhält oder abzuhalten versucht“. Der Einschreibungs-Widerruf (sprich: die Exmatrikulation) sollte auch bei einer „Teilnahme“ an solchen Handlungen angewandt werden können.5

Wer nun die Wiedereinführung des Ordnungsrechts fordert, muss sich darüber im Klaren sein, wie weit sein Anwendungsbereich reicht. Wie sieht es zum Beispiel damit aus, wenn eine Vorlesung eines rechtsradikalen Professors blockiert, eine Sitzung des Akademischen Senates gesprengt oder das Büro der Präsidentin besetzt wird? Oder sogar nur ein Hörsaal besetzt wird? Vielleicht wird bei der Besetzung des Präsidentinnenbüros oder des Hörsaals auch noch die Tür verbarrikadiert? Oder wenn die Zufahrt zu einem Unigebäude in „zweiter Reihe“6 blockiert wird?

Stehen und fallen dürfte vieles – mal abgesehen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip – mit der Gewaltfrage. Nicht nur der Gewaltbegriff – nehmen wir mal den des Nötigungstatbestandes aus dem Strafgesetzbuch – ist aber weiter, als das, was im allgemeinen Sprachgebrauch als Gewalt gilt, auch dürfte häufiger die Tatsachenfrage umstritten sein. Was, wenn es zu einer Rangelei kommt, wenn sich zwei verschiedene politische Gruppen gegenseitig provozieren? Oder wenn das Universitätspräsidium den besetzten Hörsaal räumen lässt und es in diesem Zuge zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt?

Die Schwelle des Gewaltbegriffs dürfte im Hochschulrecht im Zweifel sogar niedriger sein als im Strafrecht, für das immerhin das Prinzip „nulla poena sine lege“ („keine Strafe ohne Gesetz“) aus Art. 103 Abs. 2 GG gilt. Wenn der Bundesgerichtshof bereits die Störung von Vorlesungen „durch Geschrei, Gebrüll, Pfeifen, Absingen von Liedern oder Gebrauch von Lärminstrumenten“ mit der Wirkung des Abbruchs dieser Vorlesung für strafbare Nötigungen7 hielt, so dürfte in solchen Fällen erst recht der entsprechende hochschulordnungsrechtliche Tatbestand eröffnet sein.

Wenn die Stimmung aufgeheizt ist, ist wenigstens der Vorwurf der Gewaltanwendung häufig nicht fern. Es liegt also durchaus nahe, dass nach einer Wiedereinführung des Ordnungsrechts der Tatbestand für Ordnungsmaßnahmen im Zusammenhang mit studentischen Protesten regelmäßig als erfüllt angesehen wird.

Die Streichung des Ordnungsrechts 2021 ist einer einfachen Idee gefolgt: Für die Verfolgung von Handlungen und Aussagen, die strafbar sind (zum Beispiel Nötigung, Beleidigung, Volksverhetzung), sind die Strafverfolgungsbehörden zuständig. Werden diese tätig, braucht es keine Sonderstrafgewalt der Universität. Umgekehrt rechtfertigt Verhalten, das nicht strafbar ist, auch regelmäßig keine Strafe durch die Universität, die dazu auch noch im Fall der Exmatrikulation besonders grundrechtseingreifend ist.

Die Befolgung dieser Idee ist schon vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Gewaltenteilung und des Doppelbestrafungsverbotes angebracht. Jedenfalls dann, wenn eine ordnungsrechtliche Maßnahme darauf abzielt, Studierende, die bereits von der Strafgerichtsbarkeit strafrechtlich verfolgt worden sind, mit einer Strafe zu belegen, gerät sie mit dem Verfassungsgedanken, dass nicht zweimal dieselbe Handlung bestraft werden darf, in Konflikt.8

Dass mit dem Ordnungsrecht auch die Grundrechte der von den „Störungen“ betroffenen Hochschulmitgliedern geschützt werden sollen – in der Regel die Lehrfreiheit der Professor*innen oder das Ausbildungsgrundrecht anderer Studierender –, liegt auf der Hand, zumindest soweit man diejenigen Kommentator*innen ausblendet, denen es nie genug Strafen sein können. Geschützt werden können sie jedoch allein durch präventive Maßnahmen; angebracht ist ein rechtsstaatliches Verfahren. Genau das sieht jedoch schon der bestehende § 16 Abs. 2 BerlHG vor. Gegen Störer*innen können nach einer entsprechenden Gefahrenprognose befristete Maßnahmen getroffen werden, beispielsweise ein Hausverbot oder das Verbot, bestimmte Vorlesungen zu besuchen.

Unzulässig ist bloß, eine solche Maßnahme mit dem vorrangigen Ziel der Bestrafung anzuwenden. So auch das Verwaltungsgericht Berlin: „Das Hausverbot [nach § 16 Abs. 2 BerlHG] ist keine repressive Maßnahme zur Sanktionierung vergangenen Fehlverhaltens, sondern dient dazu, vergleichbare Störungen in der Zukunft zu unterbinden.“9

Wenn die schwarz-rote Koalition in Berlin nun ein Ordnungsrecht nach nordrhein-westfälischem Vorbild einführt,10 dann ist dazu zunächst zweierlei festzustellen.

Erstens: Der Senatsentwurf bietet – ähnlich wie § 51a Abs. 1 Nr. 2 des NRW-Hochschulgesetzes – einen Extra-Tatbestand, mit dem die Exmatrikulation von Studierenden, die wegen Straftaten zulasten anderer Hochschulmitglieder strafrechtlich verurteilt wurden, ermöglicht werden soll. Bei einer solchen Verurteilung soll eine Exmatrikulation sogar auch ohne vorherige Androhung anordenbar sein.11 Dieser strafrechtlich begründete Tatbestand dürfte die Reichweite des klassischen, alten Berliner Ordnungsrechts nicht wesentlich erweitern. Insbesondere wird auch weiterhin eine Grundrechtsabwägung vorzunehmen sein, deren Ergebnis regelmäßig darauf hinauslaufen muss, dass das Ausbildungsgrundrecht der von der ordnungsrechtlichen Maßnahme betroffenen Person überwiegt.

Zweitens: Wie im Disziplinarrecht wird für das ordnungsrechtliche Verfahren das Strafverfahren abzuwarten sein. Das ordnungsrechtliche Verfahren selbst beansprucht ebenfalls seine Zeit. Als Mittel, um zügig auf Bedrohungen gegen Hochschulmitglieder reagieren zu können, erweist sich das Ordnungsrecht folglich als ungeeignet.

Wohl deshalb macht sich CDU-Mann Grasse die Hoffnung, einen rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsatz bei der Verhängung von Ordnungsmaßnahmen zu überspringen. Nach seiner Vorstellung soll nicht mehr zwischen Anklagebehörde – Präsidium – und Gericht – Ordnungsausschuss – getrennt werden. Stattdessen soll das das Präsidium als Anklagebehörde und Gericht zugleich fungieren. 12

Das Ordnungsrecht als mittelalterliches Relikt

Dass Strafverfolgungsbehörden auch an Universitäten für die Verfolgung von Straftaten zuständig sind, ist nicht immer so gewesen. Das mit der Änderung von Landeshochschulgesetzen ab Ende der 1960er Jahre bestehende Ordnungsrecht war Relikt des Disziplinarrecht an den Universitäten. Mit dem Disziplinarrecht konnten Studierende bestraft werden, die „Sitte und Ehre des akademischen Lebens verletzt“ und ihren Professoren „nicht die schuldige Achtung erwiesen“ haben.13

Das Disziplinarrecht seinerseits war Relikt der akademischen Gerichtsbarkeit, die ihrerseits schon im Mittelalter und später in der Neuzeit an den noch als eigener Rechtsraum verstandenen Universitäten bestand. Die Strafgewalt wurde durch den Rektor, einen Universitätsrichter und/oder den Senat ausgeübt. Strafen konnten unter anderem Geldstrafe, Haft im Karzer oder eben die Exmatrikulation sein. Zwar wurde die akademische Gerichtsbarkeit als Sondergerichtsbarkeit mit der Einführung des Gerichtsverfassungsgesetzes 1877 abgeschafft. Die Disziplinargewalt über die Studierenden blieb jedoch zunächst weiter bestehen.14

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Disziplinarrecht genutzt, um politisch unliebsame Personen aus dem Hochschulstudium auszuschließen. Am 22. Juni 1933 veranlasste der neu eingesetzte preußische Ministerialdirektor Georg Gerullis den Entwurf eines Erlasses, der den Ausschluss der Kommunist*innen aus den Hochschulen ermöglichen sollte.15 Den daraus resultierenden Erlass IU Nr. 2189016 kritisierte die Berliner Universität als nicht weitreichend genug, da sie unter anderem einen hitlerkritischen Studenten der Zentrumspartei exmatrikulieren wollte. Der verschärfte Erlass ermöglichte die Exmatrikulation aller Studierenden, die sich nach Einschätzung der Hochschulen kommunistisch, marxistisch (sozialdemokratisch) oder „antinational“ betätigt hatten und wurde im gesamten Reichsgebiet weitestgehend wortgleich übernommen.18 Die Berliner Universität entfernte, nachdem sie die Verschärfung des Erlasses durchgesetzt hatte, 124 Studierende aus politischen Gründen.19 Das entsprach etwas mehr als eineinhalb Prozent ihrer Studierenden.

Die 1935 vom Reichserziehungsministerium (REM) erlassene „Strafordnung für Studenten, Hörer und studentische Vereinigungen an deutschen Hochschulen“ vereinheitlichte schließlich das Disziplinarrecht. Sie verlangte von Studierenden „erhöhte Bereitschaft im Dienste für Volk und Staat“. Diese wurden ganz im Sinne der „Volksgemeinschaft“-Ideologie als Glieder einer „Hochschulgemeinschaft“ betrachtet.20

Im weiteren Verlauf der NS-Herrschaft wurden mehrfach Studierende von Hochschulen entfernt, die sich kritisch gegenüber den Nationalsozialisten äußerten, so zum Beispiel wegen der Äußerung, dass die Verfolgung der Juden aufgegeben werden müsse oder aufgrund der Äußerung, sich „nicht auf die nationalsozialistische Staatsform umstellen“ zu können.21 Oft waren andere Studierende als Denunziant*innen Auslöser für diese Disziplinarverfahren. Die Nationalsozialist*innen unter ihnen agierten dabei Hand in Hand mit den Universitätsleitungen. So formulierte Rektor Wilhelm Krüger 1937 in seinem Rektoratsbericht: „Ein Student, der es nicht für nötig hält, sich in die Reihen der politischen Soldaten Adolf Hitlers einzugliedern, soll künftig nicht mehr wert sein, an der Universität Berlin zu studieren.“22

Auch nach 1945 übten die Hochschulen weiter die Disziplinargewalt über die Studierenden aus. Erst im Zuge der 1968er Revolte änderten sich die Hochschulen grundlegend, und das Disziplinarrecht wurde ab 1970 mit Inkrafttreten des Hochschulrahmengesetzes und Änderungen der Hochschulgesetze auf Landesebene durch das Ordnungsrecht abgelöst. Mit dieser Ersetzung erfolgte zwar eine Liberalisierung, zugleich sollte es aber eine Handhabe gegen die studentischen Proteste schaffen. Ziel, damals wie heute: Der reibungslose Ablauf des wissenschaftlichen Betriebs.

„Das alte Disziplinarrecht war prinzipiell individuell ausgerichtet, das Ordnungsrecht hingegen richtet sich hauptsächlich gegen solidarische Handlungen, die teilweise sogar durch formal-demokratische Beschlüsse der Studentenvollversammlung abgesichert sind“, konstatieren Reiner Geulen und Gerhard Stuby in der „Kritischen Justiz“.23 Man kann das auch so formulieren: Das Ordnungsrecht richtete sich im Wesentlichen gegen eine Politisierung der Universität.

Als Form von Disziplinarrecht wurde gleichwohl auch das neue Ordnungsrecht klassifiziert. So jedenfalls das Bundesverfassungsgericht, das 1970 über die Vereinbarkeit des neugefassten baden-württembergischen Hochschulgesetzes mit Bundesrecht zu entscheiden hatte. Dass sich das Gesetz darauf beschränke, „die Beeinträchtigung der Wahrnehmung der Aufgaben der Universität sowie die Verletzung der Universitätsordnung durch deren Mitglieder zu ahnden, und auf eine weitere Inpflichtnahme der Universitätsangehörigen, auch außerhalb dieses Bereiches besondere ‚Standespflichten‘ zu wahren, verzichtet, nimmt ihm nicht den Charakter eines Disziplinarrechts“, so das Gericht.24

Disziplinierung studentischen Protests

Nun will der Berliner Senat ein solches Disziplinarrecht – das Ordnungsrecht – wieder einführen. Historisch vor allem ein Instrument autoritärer Repression, ist es heute rechtlich wohl kaum geeignet, damit auf die Vorfälle an den Hochschulen zu reagieren. Es gibt aber noch einen weiteren Grund, die Wiedereinführung als schlechte Idee zu bezeichnen: Sie läuft grundlegend der Natur und Aufgabe der Universitäten in der Gesellschaft zuwider.

Im Fall des angegriffenen Studenten der Freien Universität mag es sicherlich das Bedürfnis geben, eine Rückkehr des Angreifers an die Uni zu verhindern (ob das Ordnungsrecht das vor Abschluss dessen Studiums vermocht hätte, wenn es zum Tatzeitpunkt gegolten hätte, ist zu bezweifeln). Ist diese Form der Disziplinierung allerdings erst einmal wieder eingeführt, gilt sie für alle, auch für die vielen Proteste, die seit Jahren zur demokratischen Protestkultur an den Hochschulen gehören, für Klimaschutz, bessere Studien- oder Arbeitsbedingungen.

Die Erfahrungen studentischer Proteste der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zeigen auch: Je nachdem, wie wohlwollend gerade das Hochschulpräsidium ist, wird es nicht bei Exmatrikulationsandrohungen wegen menschenfeindlicher Aussagen oder Handlungen bleiben. Die Tür ist dann nämlich auch dafür geöffnet, gegen „Fridays for Future“, die 2019 eine Sitzung des Akademischen Senates der HU gesprengt haben, gegen einen „Bildungsstreik“, der wie 2009 das Präsidentinnenbüro der HU besetzt hat, oder gegen Studierende, die wie an der Universität Hamburg 2020 die Vorlesung des AfD-Gründers Lucke gestört haben, vorzugehen. Und schon eine Androhung der Exmatrikulation kann ja disziplinierende Wirkung zeigen: Da lässt man dann eben das nächste Mal die Teilnahme an so einer Aktion sein.

Sich auf dem Rechtsweg gegen eine ordnungsrechtliche Maßnahme wehren zu können, ist am Ende auch von den finanziellen Mitteln der betroffenen Studierenden abhängig, die das Prozesskostenrisiko zu tragen haben. Die Partizipation am hochschulpolitischen Meinungskampf muss man sich eben leisten können.

Abschreckung vor Protesten an Hochschulen wird also die logische Konsequenz sein. Genau das gesteht auch Adrian Grasse ein. Die Berliner Zeitung zitiert ihn: „Wenn es dieses Instrument gibt, glaube ich, dass es eine abschreckende und disziplinierende Wirkung haben würde.“25

Das Ordnungsrecht richtet sich gegen eine Politisierung der Universität. Dabei sind es eben diese, die in Zeiten harter politischer Konflikte eine besondere Verantwortung haben. Gerade weil sie eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Gesellschaft sind, sind sie Orte des demokratischen Meinungskampfes. Es ist völlig klar, dass in einer politisierten Universität auch Meinungen vorgetragen werden, die für die jeweils eigene Seite unerträglich scheinen. Genauso ist klar, dass eine demokratische Protestkultur an der Universität mit der Reibungslosigkeit ihres Betriebsablaufes im Widerspruch steht. Wer die Politisierung der Universität verhindern will, kämpft letztlich für ihre Entdemokratisierung.

Die Autoren sind Mitglieder des Konzils und des Studierendenparlamentes der Humboldt-Universität.

  1. Jan Alexander Casper, Hörsaal-Besetzung „zeitweise geduldet“, weil Uni Raum zum „offenen Austausch“ sah, Die Welt (online) v. 18.12.2023.
  2. https://www.fridaysforisrael.com/, abgerufen am 19.1.2024.
  3. Elmar Schütze / Niklas Liebetrau, Nach Angriff auf Juden: Wie Grüne und Linke dafür sorgten, dass der Schläger nicht von der FU fliegen kann, Berliner Zeitung v. 6.2.2024.
  4. Exmatrikulation zügig regeln, Berliner Zeitung v. 21.2.2024, S. 1.
  5. BGBl. 1976 I, 187 ff. (192).
  6. Nach der sogenannten Zweite-Reihe-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Tatbestandsmerkmal „Gewalt“ des § 240 StGB (Nötigung) auch dann erfüllt, wenn Teilnehmer*innen einer Sitzblockade Autos blockieren, sodass sich auch in zweiter Reihe Autos stauen, für die durch die erste Reihe Autos eine physische Barriere entsteht (BGHSt 41, 182 (185 f.); 41, 231 (241); dazu auch BVerfG, Beschl. v. 7.3.2011 – 1 BvR 388/05 = NJW 2011, 3020 ff.)
  7. BGH, Beschl. v. 8.10.1981 – 3 StR 449/450/81 (LG Heidelberg) = NJW 1982, 189.
  8. So auch Jürgen Baumann, Disziplinarrecht – autoritäres Instrument oder notwendiges Element der Hochschulautonomie?, DÖV 1970, 257 ff.
  9. VG Berlin, Beschl. v. 28.5.2021 – 3 L 170/21, Rn. 23 (juris).
  10. Tilmann Warnecke, Exmatrikulation für Gewalttäter? Senatorin will bis Ostern neues Hochschulgesetz in Berlin vorlegen, Tagesspiegel v. 19.2.2024.
  11. Christian Latz / Tilmann Warnecke, Gesetzesänderung, Tagesspiegel v. 5.3.2024, S. B20.
  12. Latz / Warnecke a. a. O.
  13. So Reiner Geulen / Gerhard Stuby, „Ordnung als Repression“, KJ 1969, 125 ff. (128) unter Verweis auf die so formulierten Generalklauseln in Disziplinarordnungen.
  14. Zum Überblick: Martin Rath, Wegen Ruhestörung im Universitätsgefängnis, Legal Tribune Online v. 6.8.2023.
  15. GStAPK Rep. 76 Va Sekt. 1 Tit. XII Nr. 42 Bd. 1.
  16. Erlass IU Nr. 21890, in: GStAPK Rep. 76 Va Sekt. 1 Tit. XII Nr. 42 Bd. 1 Bl. 367.
  17. Aktenvermerk J. Haupt, 22.7.1933, in: GStAPK Rep. 76 Va Sekt. 1 Tit. XII Nr. 42 Bd. 1 Bl. 388.
  18. Erlass IU Nr. 22525, in: GStAPK Rep. 76 Va Sekt. 1 Tit. XII Nr. 42 Bd. 1 Bl. 389.
  19. Michael Grüttner, Studenten im Dritten Reich, 1995, S. 504, Tab. 31.
  20. Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung I (1935), 140 ff. (141).
  21. Michael Grüttner a. a. O. S. 211 f.
  22. Helmut Heiber, Universität unterm Hakenkreuz. Teil II: Die Kapitulation der Hohen Schulen, Bd. 2, 1994, S. 435.
  23. Geulen / Stuby a. a. O. S. 129.
  24. BVerfGE 29, 125 ff., Rn. 74 (juris).
  25. Schütze / Liebetrau a. a. O.