Arbeit als koloniales Verhältnis – HUch#94

| von Kofi Shakur |

Kolonialgeschichte wird oft zwischen Peripherie und Metropole verortet. Minu Haschemi Yekani zeigt eindrücklich, wie globale Beziehungen Rassendiskurse formten und welche Rolle Arbeit bei der Konfiguration von Rassismen zukam. Mithilfe eines globalgeschichtlichen Ansatzes kann der deutsche Kolonialismus im Rahmen eines europäischen Kolonialprojektes und gemeinsamer Aushandlungen von weiß und europäisch-sein verstanden werden.

Bild: Felix Deiters

In den letzten Jahren gibt es vermehrt Interesse daran, Kolonialgeschichte(n) neu zu schreiben, und Aspekte ihrer Verflechtungen und Abhängigkeiten, sowie die agency ihrer Opfer stärker mit einzubeziehen. In der bisherigen Kolonialgeschichtsschreibung geraten verschiedene Faktoren aus dem Blick, die Minu Haschemi Yekani exemplarisch für die Kolonialgeschichte Tansanias in ihrem 2020 erschienenen Buch Koloniale Arbeit“mit einem scharfen Blick für einzelne Details und Nuancen ausgearbeitet hat. Die Kolonisierung Afrikas versteht sie als gemeinsames europäisches Projekt, dessen spezifische Ausprägung sich jeweils erst im Laufe der Zeit herausbilden musste.1 Tansania gilt damit als deutsche Kolonie im Rahmen eines gemeinsamen europäischen Kolonisationsprojektes, in dem es aber beispielsweise auch immer wieder Bezüge zum Rassendiskurs in den USA, zu globalen Fragen von Migration und Arbeit und zum sich herausbildenden europäischen Diskurs über den Islam gab.

Dabei wendet Yekani sich dem inzwischen nicht mehr ganz neuen Ansatz der Global History zu und legt einen Fokus darauf, einzelne Akteur_innen und ihre – im wahrsten Sinne des Wortes – grenzüberschreitenden Handlungen zu verfolgen. Anstatt den Staat als hauptsächlichen Akteur zu betrachten, werden so individuelle Handlungsspielräume und ihre Bedeutung für die Entwicklung der praktischen Kolonialpolitik ausgeleuchtet. Hierbei wird deutlich, dass es nicht immer eine Übereinstimmung zwischen der Ideologie der Kolonialgesellschaften und der pragmatischen Gestaltung der kolonialen Herrschaft gab, sondern die kolonialen Ideologien sich auf der Suche nach Legitimität und Funktionalität zwangsläufig in einem Spannungsfeld bewegen mussten.

Eine weiterer Ansatz von Yekanis Studie ist, Rassismus nicht vorauszusetzen. Die Untersuchung seiner Genese vor dem jeweiligen historischen und sozioökonomischen Kontext in Beziehung zu anderen weltweit operierenden Rassendiskursen bildet ein zentrales Thema ihrer Arbeit. „Diese verschiedenen Schwerpunkte zusammen zu diskutieren ergänzt die geschichtswissenschaftliche Literatur zur Kolonialgeschichte Deutsch-Ostafrikas“,2 so Yekani. Denn diese Fragen seien bisher, wie auch für andere koloniale Kontexte, noch nicht oder nur separat behandelt worden. Eine weitere Ergänzung stelle der Autorin zufolge die eindeutige Verknüpfung von Rassismus und Arbeit dar. Damit findet schließlich eine Problemstellung Eingang in die aktuelle Diskussion der Kolonialgeschichte, an der sich Marios Nikolinakos 1973 mit seinem Buch Politische Ökonomie der Gastarbeiterfrage in der BRD sowie Peter Schmitt-Egner 1975 in Kolonialismus und Faschismus versucht haben: Rassismus aus der Zusammensetzung segregierter Arbeitsmärkte heraus zu verstehen. Letzterer begriff – in dem vielleicht einzigen deutschen Versuch einer marxistischen Interpretation des (kolonialen) Rassismus – die Entstehung der ‚Rassentheorien‘ als Effekt einer Rationalisierung. Während sich in Europa die ‚freie‘, also warenförmige Lohnarbeit durchsetzte, gab es in Übersee gleichzeitig Sklaverei und Zwangsarbeit. Durch die Kluft zwischen den beiden Schauplätzen werden die Kolonisierten nach Schmitt-Egner im wörtlichen Sinne ‚minderwertig‘, weil es ihre Bestimmung ist, unter dem Wert ihrer Arbeitskraft zu arbeiten.3

Unter diesem Blickwinkel fragt Yekani danach, „wie sich Rassismus als soziale Technik im Prozess der Herrschaftsetablierung und unter Einbeziehung von global wirkenden Einflüssen nuanciert, formiert und auch verändert hat.“4 Der Blick auf das koloniale Arbeitsregime hinterfragt dabei auch die allzu rigorose Trennung von freier und unfreier Arbeit, und setzt sie stattdessen in eine dynamische Beziehung, die in Yekanis Fallstudien ein Ergebnis von Aushandlungsprozessen ist. Yekani beschreibt die Gegenüberstellung von freier und unfreier Arbeit als ‚historischen Irrtum‘. Denn aus „historischer Perspektive waren sowohl die Sklaverei als auch die Lohnarbeit mit dem Kapitalismus vereinbar, die Übergänge oftmals fließend.“ Eine vollständig getrennte Existenz der beiden Arbeitsformen ließe sich weder historisch noch räumlich belegen.5 Einerseits konnten Menschen aus ihrem eigenen Interesse heraus entscheiden, sich für begrenzte Zeit – oft, aber nicht ausschließlich mit Migration verbunden – in die Unfreiheit der Indentur zu begeben und waren dort schließlich Arbeitsbedingungen ausgesetzt, die ihren Verträgen offensichtlich widersprachen. Auf der anderen Seite musste selbst in den Metropolen Gewalt angewandt werden, um die Akzeptanz der ‚freien‘ Lohnarbeit zu besiegeln. Zuletzt gibt es auch biographisch betrachtet statt starren Verläufen oft dynamische Übergänge, in denen Handlungsspielräume sich verringern oder vergrößern können. Damit wird deutlich, dass Arbeit im kolonialen Kontext nicht individualisiert gedacht werden kann, sondern als immer eingebettet in die Entwicklung eines globalen Kapitalismus.

Um den transnationalen Charakter der kolonialen Arbeit zu verdeutlichen, beschäftigt sich Yekani zunächst mit der Praxis, asiatische Vertragsarbeiter_innen für die tansanischen Plantagen anzuwerben. Die schlechten Bedingungen auf den Plantagen der Deutschen, beim Straßenbau oder bei der Anstellung als Träger_in machten schnell ihre Runde unter der kolonisierten Bevölkerung. Zudem wollten viele ihre eigenen Felder, die zu Beginn noch die Grundlage der Versorgung der kolonialen Infrastruktur bildeten, nicht aufgeben.6 Die ‚eigenen‘ kolonialen Arbeitskräfte wurden damit als für die Ausübung der Arbeit noch nicht bereit eingeschätzt. Eine effiziente Ausführung der Arbeit war für die Erwirtschaftung von Profiten aber notwendig. Daher sollten ihnen asiatische Vertragsarbeiter_innen, von deren Beispiel man sich eine ‚zivilisierende‘ Wirkung versprach, den Weg zur genügsamen Produktivität weisen. „Sie galten als Mediatoren zwischen der Vergangenheit und der Zukunft der Arbeit.“ Die oft aus Indonesien oder China stammenden Arbeiter_innen, in Singapur angeworben, nahmen so eine vermittelnde Rolle zwischen der Kolonialmacht und den Afrikaner_innen ein, die auf lange Sicht sämtliche Plätze in der Plantagenarbeit übernehmen sollten.

Nicht nur in dem Diskurs über koloniale Arbeit, der in der Kolonialzeit vorherrschte, sondern auch in der historischen Forschung hat sich eine Vorstellung festgesetzt, die Vertragsarbeit auf besondere Weise mit dem ‚chinesischen Kuli‘ identifiziert.7 Hierbei wird allerdings außer Acht gelassen, dass diese Form der Arbeit nur einen verhältnismäßig geringen Teil der chinesischen Migration ausmacht.8 Dieses Bild half bei der Konstruktion eines nostalgic peasant, der ungelernt für die Verrichtung intensiver Arbeit angeworben, eher schlecht als Recht am Leben erhalten und nach Ablauf seines Vertrages meistens mittellos wieder zurückgeschickt wurde.9 So zwangen die Plantagenbesitzer sie etwa, einen Teil ihres Lohns für die Miete aufzubringen oder Waren des Grundbedarfs direkt bei ihnen zu kaufen. Oft wurden sie unter dem vereinbarte Lohn bezahlt. Hinzu kamen Prügelstrafen sowie ‚Schulden‘, die sie am Ende ihres Vertrages durch eine weitere Verpflichtung für ein Jahr abbezahlen mussten.10

Dem kolonialen Schulwesen wird bei Yekani besondere Bedeutung zuteil, denn es wird im Sinne der Erziehung zur Arbeit betrachtet. Hier zeichnet Yekani zunächst den Konflikt der christlichen Missionsschulen und den prinzipiell konfessionslosen Regierungsschulen ab. Letztere hatten die Ausbildung von Kolonialbeamten als Zweck; Positionen, für die man sich besonders auf die muslimische arabische und Swahili-Elite stützte. Entsprechend boten die Regierungsschulen zeitweilig Koranunterricht an, was eine heftige Debatte über die Stellung des Christentums bzw. des Islams auslöste. Das Verhältnis der verschiedenen Kolonialmächte dem Islam gegenüber war ambivalent und gerade im Kontext Tansanias von rassistischen Vorstellungen geprägt. Über verschiedene rassistische Diskurse fand eine Hierarchisierung innerhalb der Religion statt, in welcher der ‚afrikanische‘ Islam die unterste Position einnahm.

In Bezug auf die Frage der Erziehung zur Arbeit waren die Religionen insofern relevant, als sie einen Anreiz darstellten, die Schulen zu füllen. Deren Zweck war von pragmatischen Gesichtspunkten geprägt: „Die besondere Herausforderung“, schreibt Yekani, „bestand aus Sicht der Kolonisierenden also darin, genau die richtige Dosis an Wissen zu vermitteln, über das sie die komplette Kontrolle behalten wollten.“11 Neben einer rudimentären Ausbildung, die zum Schreiben von Dokumenten auf Deutsch, jedoch nicht zu deren Verständnis befähigen sollte, befand sich auch praktische Arbeit auf dem Stundenplan – was auf Swahili mit ‚Kazi ya Schule‘ und ‚Kazi ya Mission‘ – Arbeit für die Schule bzw. die Mission – entsprechend adaptiert wurde und sich auch in Lohnforderungen ausdrückte. Die Schüler_innen waren nämlich nicht bereit, die Arbeit, zu der sie angehalten waren, kostenlos zu verrichten.12

Abschließend betrachtet Yekani die Rolle der Migration des europäischen Prekariats, dessen Existenz das koloniale Projekt zu unterwandern drohte. Nicht alle, die in die Kolonie kamen, konnten ihren Lebensunterhalt dauerhaft sichern, manche kamen bereits mittellos an. Da das tropische Klima allgemein als ungeeignet für eine großflächige europäische Besiedlung galt und körperliche Arbeit im Großen und Ganzen den Afrikaner_innen vorbehalten bleiben sollte, stellten mittellose Deutsche ein Problem für die Kolonialverwaltung dar. Bemerkenswert dabei ist auch hier die Rolle, die Arbeit bei ihrer Vermittlung von race spielt.

Mit Blick auf Barbados, wo nach Abschaffung der Sklaverei ein Großteil weißer Arbeiter ehemalige Sklavenarbeiten übernommen hatte, woraufhin sie innerhalb der Gesellschaft als black men in white skins – zum einen deklassiert, aber auch aus der national-bestimmten weißen Gemeinschaft ausgeschlossen – galten, schreibt Yekani: „Das Beispiel der Karibik unterstreicht den Umstand, dass Prestige und die gemeinhin mit weißer Hautfarbe verbundenen Privilegien ein Produkt eines sozialen Verhältnis waren, das in einem engen Zusammenhang mit der Arbeitsordnung, mit ‚Reichtum, Macht und Status […]“13 stand. Hier findet sich die Schlussfolgerung wieder, die auch Frantz Fanon für die Erscheinung der kolonialen Klassenstruktur gezogen hat: „You are rich because you are white, you are white because you are rich“14. Im Spannungsfeld dieser Bilder schreibt Yekani, galten deutsche Proletarier „in der frühen Kolonialpropaganda noch als nationale Hoffnungsträger“, gerieten aber durch ihre Klassenzugehörigkeit bald in Widerspruch zu dem Vorhaben, „die deutschen Kolonien nicht nur zu einem zweiten, sondern zu einem ‚besseren‘ Deutschland werden zu lassen.“15 Der Siedler sollte als „‚Kulturpionier’ – vorzugsweise mit einer passenden Frau an seiner Seite – den bürgerlichen Wertekanon repräsentieren. Dazu gehörten Eigenschaften wie Individualismus, Kampfbereitschaft, Aufstiegs- und Leistungswille genauso wie Privateigentum und Kapitalkraft.“16 Da viele der in die Kolonie migrierten weißen Deutschen dieses Bild aus ökonomischen Gründen nicht erfüllen konnten, stieg der Druck, zumindest hinsichtlich race eine Vormachtstellung zu erringen.

Konsequenterweise mussten Europäer_innen in der Kolonie die Gemeinschaft mit ihresgleichen suchen, um sich mittels einer vermeintlich gemeinsamen weißen Kultur vor dem Risiko abzuschirmen, in einem ökonomisch vermittelten Sinne auch hinsichtlich race herabzusinken.17 Eine besondere Rolle als Hüterinnen der deutschen Lebensart und Kultur kam dabei den Frauen zu, die in eigens gegründeten Kolonialvereinen für ihren Einsatz ausgebildet wurden. Die Frauenkolonialschulen scheiterten letztlich ebenfalls an dem Widerspruch zwischen dem ideologischen Status und den Ansprüchen an und von bürgerlichen Frauen und der Notwendigkeit bescheidener proletarischer Dienstbarkeit.18

An diesen Beispielen wird deutlich, wie Arbeit und ihre spezifischen Eigenschaften in Verbindung mit ideologischen Elementen wie Kultur und Religion bei der Strukturierung der Klassengesellschaft in kolonialen Gesellschaften gewirkt haben. Dabei war keines dieser Elemente statisch, sondern unterlag spezifisch lokalen Ausprägungen, die jedoch immer wieder über Grenzen hinweg mit transnationalen Diskursen und anderen lokal ausgeprägten Praktiken in Bezug gesetzt wurden. Arbeit ist also nicht einfach innerhalb einer national isolierten Wirtschafts- oder Sozialgeschichte zu betrachten, sondern immer eingebettet in transnationale Netzwerke, die gerade im Kapitalismus die geographische Verteilung von Ausbeutung regulieren. Arbeit und diese transnationalen Netzwerke ihrer Vermittlung und Bewertung müssen zudem als maßgeblich für die Herausbildung von Kategorien wie race und die geschlechts- und race-spezifische Konnotation bestimmter Arbeitsformen verstanden werden. Erst mit einer solchen Perspektive können die Dynamiken der Etablierung und Aufrechterhaltung (vor)kapitalistischer und (vor)kolonialer Unterdrückungsmechanismen historisch nachgezeichnet werden. Yekanis Buch tut genau das und ist damit eine Bereicherung für die Auseinandersetzung mit afrikanischer und globaler Geschichte und lässt hoffen, dass auch die Geschichte der anderen deutschen Kolonien mit dem gleichen Reichtum an Detailverliebtheit erneut untersucht wird.

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1 Minu Haschemi Yekani: Koloniale Arbeit. Tansania (1885–1914), Campus, 2019, S. 18

2 Ebd.: S. 23

3 Peter Schmitt-Egner: „Wertgesetz und Rassismus“, in: Gesellschaft. Beiträge zur Marxschen Theorie, Nr.8/9, Suhrkamp, 1976, S.350-404, zitiert nach Mark Terkessidis: Die Banalität des Rassismus, transcript, 2004, S. 78.

4 Yekani 2019, S. 24.

5 Ebd.: S. 30.

6 Ebd.: S. 51-59.

7 Der Begriff ‚Kuli‘ wird mit einer ethnisierten Dimension der Indenturarbeit assoziiert, mit der klare rassistische Zuschreibungen einhergehen. Der Begriff leitet sich in seiner spezifischen Verwendung aus den Sprachen Tamil und Gujarati ab: „Im Tamil beschreibt kūli nicht etwa einen Personenstand, sondern eine spezifische Form der Entlohnung für Knechte. Der Gujarati-Begriff Kuli hingegen betitelte eine stigmatisierte Gruppe“ (Yekani 2019, S. 71) Im englischen coolie, aus dem der deutsche Begriff sich ableitet, finden sowohl die niedrige Bezahlung als auch die rassistische Konnotation ihren Nachklang.

8 Ebd.: S. 50.

9 Ebd. S. 74.

10 Ebd. S. 91-94.

11 Ebd.: S. 141.

12 Ebd.: S. 142-145.

13 Ebd.: S. 207.

14 Frantz Fanon: The Wretched of the Earth, Grove Press, 1991, S. 39.

15 Yekani 2019, S. 208.

16 Ebd.: S. 210.

17 Ebd.: S. 213.

18 Ebd.: S. 234-235.