| von Tea Medar Collot |
„Alle, die mir helfen wollen, sind verzweifelt“, so beschreibt Zora ihre bisherigen Bemühungen, an der HU für Barrierefreiheit zu sorgen. Im Interview erzählt sie von fehlenden Verantwortlichkeiten, dem andauernden Kampf um Teilhabe, Kostenfragen und dem allzu gerne zitierten Denkmalschutz.
Aufgrund ihrer zentralen Lage und ihres hohen Ansehens könnte die Humboldt-Universität den Eindruck erwecken, um Zugänglichkeit besonders bemüht zu sein. Im Gespräch mit der HUch liefert die 24-jährige Zora jedoch eine ganz andere Einschätzung. Die Studentin sitzt aufgrund einer neuromuskulären Autoimmunerkrankung seit Anfang 2021 im Rollstuhl und zieht nach ihrem ersten Semester an der Universität eine ernüchternde Zwischenbilanz.
H: Zora, du studierst seit dem WiSe 22/23 Sozialwissenschaften an der HU – weshalb hast du dich für dieses Studienfach und warum gerade für die Humboldt-Universität entschieden?
Z: Ein großes Interesse an politischen Themen hatte ich schon immer. Nachdem ich mich bei der Schwerbehindertenbeauftragten der HU beraten ließ, war mir schnell klar, dass es dieses Studium sein soll. Und ich merke auch, dass ich gut darin bin. Mein alter Arbeitsplatz, das Krankenhaus, ist ein Ort, an dem verschiedenste Menschen mit verschiedenen Hintergründen, verschiedener ökonomischer Schichten, verschiedenen Alters zusammentreffen. Mir gefiel die Vorstellung, dass ich meinen alten Beruf als Kinderpflegerin nicht ‚wegwerfe‘, wenn ich ihn schon nicht mehr ausüben kann, sondern die Dinge, die ich dort erlebt habe, aus soziologischer Perspektive begreifen lerne.
Für die HU habe ich mich entschieden, weil ich sehr zentral wohne und zwei Mal die Woche ins Krankenhaus fahren muss. Kurze Wege sind dabei extrem wichtig – aktuell könnte ich sogar von Zuhause aus im Rollstuhl zur HU gelangen. So schaffe ich es alleine immer zur Uni, wenn ich muss, manchmal direkt vom Krankenhaus aus. Zudem studieren viele meiner Freund_innen hier, und da ich mit meiner Krankheit bereits genug am Hals habe, konnte ich die Hilfe bei der Einführung in zahlreiche Systeme wie Agnes und Moodle gut gebrauchen.
H: Dein Wunsch ist unter anderem, die Arbeit, die du vorher gemacht hast, auf einer soziologisch-theoretischen Ebene zu begreifen. Inwiefern ist das deiner Wahrnehmung nach an der HU realisierbar?
Z: Das ist das, was ich besonders tragisch finde: Die Studieninhalte machen mir viel Spaß und insgesamt entspricht alles meinen Erwartungen. Meine Dozent_innen sind zu 100% zufrieden mit meinen Leistungen und ermutigen mich auch alle, auf keinen Fall aufzugeben. Sie sagen, dass ich in dieses Studium gehöre. Darum ist es umso trauriger, wenn es mir als Frau im Rollstuhl einfach am räumlichen Zugang zum Studium mangelt, weil die Uni nicht ausreichend barrierefrei ist.
H: Am 11.06.2010 stellte der RefRat einen Antrag beim Studierendenparlament vor, der u.a. die „nachhaltige Vorsorge […] für die demokratische Teilhabe aller Studierender, und somit auch Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Krankheiten an Lehre und Studium“ forderte.12 Der Antrag wurde einstimmig beschlossen.3 Wie siehst du diesen Beschluss in der Realität umgesetzt und wo finden sich noch Barrieren, mit denen du dich im Uni-Alltag auseinandersetzen musst?
Z: Ich merke in meinem Alltag eigentlich überhaupt nichts davon: Ich komme bis heute kaum in meine Gebäude rein. Am Eingang des SoWi-Instituts ist beispielsweise eine Rampe angebracht worden, über die ich aber alleine schlecht gelange. Ich komme alleine auch nicht in die DOR26, weil überall kleine Schwellen sind – auch an barrierefreien Eingängen. Alle Türöffner befinden sich so nah am Eingang, dass sich die Türen in der Zeit, in der der Knopf im Rollstuhl gedrückt werden kann, wieder verschließen. Der Hof der zwar prinzipiell barrierefreien INV42 ist voll Bauarbeiten: Dort gibt es Lücken, in denen ich hängenbleibe.
Falls die Gebäude dann einmal zugänglich sind, befinden sich in den Hörsälen und Seminarräumen keine richtigen Tische. Ich sitze dort ganz vorne, komplett alleine, irgendwo an der Seite. Viele Professor_innen sind bemüht und kümmern sich darum, dass es einen Tisch gibt, an dem ich sitzen kann. Aber eigentlich müssten diese Tische, die es für Behinderte bereits geben sollte, auch höhenverstellbar sein. Es gibt nämlich keine normierte Rollstuhlgröße. Ich finde es wahnsinnig beschämend, da vorne zu sitzen und auf meinem Schoß mitschreiben zu müssen, nur weil die Infrastruktur das nicht vorsieht. Und ich könnte diese Liste noch sehr lange fortführen: Zum Beispiel bei der Mensa Süd, bei der wie bei so vielen anderen Gebäuden die Flügeltüren nicht alleine aufgehen.
H: In der Öffentlichkeit dürfen Rampen eine Steigung von sechs Prozent ja gar nicht übersteigen. Kannst du ungefähr einschätzen, wie steil diese Rampe am SoWi-Institut ist?
Z: Sechs Prozent sind ziemlich gering, diese Rampe ist um einiges steiler. Sie wurde kurzfristig über eine fünf Zentimeter hohe Türschwelle angebracht, um mir zu helfen. Natürlich ist so eine Lösung alles andere als ideal. Und es sagt bereits eine Menge aus, dass das vorher niemandem auffiel.
Da diese neue Rampe so steil ist, ist der Übergang zum Bordstein sehr abrupt. Alle, die einmal ein Fahrrad geschoben haben, wissen, dass bei einer Steile so ein Rad schnell hängenbleibt. Zudem liegt der Türknopf am höchsten Punkt: Wenn man die Rampe hochfährt und auf den Knopf drückt, dann rollt man, während die Türen sich öffnen, rückwärts wieder herunter. Dabei ist es mir schon passiert, dass sich mein elektrischer Rollstuhl auf die Hinterräder stellen musste, um mich vor Schlimmerem zu bewahren. Ich besitze diese Rückfallstütze – Menschen mit mechanischem Rollstuhl tun das nicht. Und weil diese Rollstuhlfahrer_innen mit eigenem Antrieb und dadurch mit mehr Schwung fahren, könnten sie einfach stürzen und gegebenenfalls auf ihrem Schädel landen. Selbst mit meinem elektrischen Rollstuhl bin ich schon mehrfach dort hängengeblieben.
Zudem hört es am SoWi-Institut nicht auf: Wenn ich beim Vorwärtsrollen über die Schwellen an der DOR26 einmal mit ein bisschen mehr Tempo gehabt hätte, wäre ich vornüber aus meinem Rollstuhl gefallen. Genauso in der UL6: Würde ich mit etwas mehr Schwung auf die kleine Stufe vor einem Hörsaal fahren – so schnell, wie Leute üblicherweise gehen, um die fünf km/h – würde das genauso bedeuten, vorne herauszufallen. Das sind alles erhebliche Sicherheitsrisiken.
H: Fällt dir dennoch ein Ort an der HU ein, der für dich einigermaßen zugänglich ist?
Z: Zumindest das Grimm-Zentrum funktioniert ganz gut, obwohl es auch dort Barrieren gibt. Aber diese sind immerhin so gestaltet, dass ich einigermaßen am Betrieb teilnehmen kann. Dafür sind die Gänge im Gebäude sehr eng, sodass ich auch mit meinem sehr schmalen Rollstuhl schlecht entlang passe. Dabei habe ich ja sogar den Rollstuhl gewechselt, um es der Uni leichter zu machen.
H: Spannenderweise erschien vor 13 Jahren ein Artikel im Tagesspiegel, der die mangelnde Barrierefreiheit am Grimm-Zentrum kritisierte.4 Damals verstießen sowohl die HU als auch der Senat wegen mangelhafter Prüfung der Baupläne gegen die Berliner Bauordnung, welche die DIN-Normen für Barrierefreies Bauen vorgibt. Nach Protesten der Studierenden hat sich in der Zwischenzeit wohl einiges getan. Warum mussten die Studierende erst protestieren, damit im Grimm-Zentrum etwas passiert?
Z: Wenn erst bei öffentlichem Druck über Barrierefreiheit nachgedacht wird, entsteht bei mir der Eindruck, dass der Humboldt-Universität der eigene Ruf wichtiger ist als die Studierenden. Mir wird das Gefühl vermittelt, eine Last zu sein. Im Sinne von: Da muss man sich jetzt halt mit beschäftigen, und man weiß eigentlich auch, dass etwas schief läuft – aber es wäre praktischer, wenn ich dann in zwei Semestern einfach ein Fernstudium mache. Dann müsste man sich jetzt auch nicht so sehr bemühen.
Ich habe das Gefühl, permanent gegen ein System kämpfen zu müssen, das mich eigentlich gar nicht teilhaben lassen möchte. Der Weg über die Öffentlichkeit oder über Proteste ist noch zusätzlich kräftezehrend. Ich muss an der Uni auch so schon sehr viele verschiedene Stellen aufsuchen und leiste so viel unentgeltliche Arbeit, um hier überhaupt studieren zu können. Dabei muss ich auch alle für mich relevanten Barrieren im Blick behalten, indem ich z.B. in den Semesterferien alle Räume aufsuche, die für mich im kommenden Semester wichtig sind. Ich fühle mich durch meine Tätigkeit immer mehr, als wäre ich die Schwerbehindertenbeauftragte für Rollstuhlfahrer_innen an der HU, und nicht wie eine Studentin. Das ist aber definitiv nicht mein Job.
H: Inwiefern geht das zusammen, dass die HU sich nach außen so inklusiv gibt und dir nach innen so viel Arbeit aufhalst?
Z: Inklusion ist Arbeit – und ich habe das Gefühl, dass es nicht unbedingt die Bereitschaft gibt, diese Arbeit zu leisten. Obwohl ich mir bei der HU auch denke, dass sie sich nach außen total inklusiv gibt, und sich politisch positioniert, wie z.B. zum Ukrainekrieg. Dann erwarte ich aber, dass sie sich das ‚Politische‘ nicht nur auf die Fahne schreibt, sondern auch umsetzt. Und dass die Uni in der Hinsicht nicht einfach wie ein Unternehmen geführt wird – mit Inklusivität als Marketingstrategie.
H: Wie ist, im Vergleich dazu, deine Beziehung zu Kommiliton_innen, Dozent_innen und Mitarbeitenden an der Universität?
Z: Die Menschen am Institut und an der Uni sind größtenteils sehr solidarisch. Ich kann mich darauf verlassen, dass sie mich im Alltag unterstützen und mir beispielsweise helfen, die Eingänge zu benutzen. Die Bereitschaft ist da. Aber die ist vor allem da, weil jede_r sieht, dass die Uni nicht barrierefrei ist.
Unangenehm finde ich hingegen, dass ich für viele anscheinend die erste Person mit einer sichtbaren Behinderung bin, mit der sie interagieren. Und ich frage mich, wie das sein kann, dass mir ständig gesagt wird: „Sie sind Pionierin hier!“, da ich wohl die Erste am SoWi-Institut bin, die dort mit Rollstuhl studiert. Viele scheinen keine richtige Vorstellung von Behinderungen haben. Die denken dann einfach, ich sei querschnittsgelähmt, als gäbe es keine anderen Behinderungen. Trotz allem bin ich für die überwiegende Solidarität natürlich total dankbar. So hätten wir beispielsweise ohne das Engagement meines Studienberaters nicht durchgesetzt, dass ich einen Nachteilsausgleich für das ganze Studium bekomme.
H: In der Beratung für Lehre und Studium des RefRats häufen sich immer wieder Fälle, in denen Nachteilsausgleiche aufgrund von Kleinigkeiten nicht anerkannt werden und Studierende sogar dagegen vorgehen müssen. Dass dein Studienberater sich da so durchsetzen konnte, klingt nach einem riesigen Kraftakt. Wie funktioniert das sonst mit dem Nachteilsausgleich?
Z: Man muss für jede einzelne Prüfung ein neues Attest einreichen – da ist der Grad der Behinderung komplett egal, der bei mir 80 beträgt.5 Mein Arzt könnte denen immer das Gleiche schicken, daran ändert sich nichts. Mit dem Nachteilsausgleich bekomme ich längere Prüfungszeiten, dazu muss ich ihn normalerweise mindestens sechs Wochen vorher beim Prüfungsbüro beantragen. Aber offenbar ist so etwas wie meine Situation mit unheilbarer, chronischer Krankheit überhaupt nicht vorgesehen. Es ist so absurd, weil ich offensichtlich schwer behindert bin, von Sprache über Muskelkraft bis zum Schreiben. Und dass es für mich schwierig war, einen dauerhaften Nachteilsausgleich zu bekommen, finde ich erschreckend. Man hat das Gefühl, unterstellt zu bekommen, einen ungerechtfertigten Vorteil für sich einziehen zu wollen. Dabei geht es doch nur um gleiche Teilhabe. Dazu weiß ich gar nicht, wie viele Leute diesen Attest in die Hände kriegen, wenn ich jedes Mal einen Neuen einreiche.
H: Wie würdest du sagen wirken sich diese ganzen Barrieren, vom Nachteilsausgleich bis zu den Gebäuden, auf deine akademische Leistung aus?
Z: Bisher habe ich es geschafft, meine Leistungen nicht zu stark darunter leiden zu lassen. Das hat allerdings seinen Preis: meine Freizeit und mein Wohlbefinden bis hin zu meiner Gesundheit. An der Uni leidet all das darunter, obwohl ich mich beispielsweise in meinem Zuhause überhaupt nicht behindert fühle. Meine Wohnung ist barrierefrei und ich brauche weder Assistenz- noch Pflegekraft. Auch in meiner Freizeit merke ich meine Behinderung selten. Aber an der Uni… Hier fühle ich mich wahnsinnig behindert und automatisch kränker. Das hat einen starken Einfluss auf mich, wie stark ich mir hier meiner Behinderung bewusst bin.
H: Was macht dein Engagement im Kampf gegen die Barrieren mit deiner Gesundheit?
Z: Mit meinen Erkrankungen ist es so, dass ich mich viel ausruhen muss, weil meine Muskeln nur begrenzt versorgt werden. Nach meiner Infusionstherapie, die einmal die Woche stattfindet, brauche ich Ruhe, da ich durch Immunsuppressiva täglich eine Art Mini-Chemotherapie zu mir nehme. In der Vergangenheit war es trotzdem oft so, dass ich am Tag danach wieder an die Uni gefahren bin, um Gespräche über Barrierefreiheit zu führen. Bei Autoimmunerkrankungen sollte man Stress eigentlich vermeiden, da dieser Schübe auslösen kann. Alles, was ich hier für eine gleiche Teilhabe am Studium tun muss, geht also zu Lasten meiner Gesundheit.
H: Das heißt, was die Universität nicht hinbekommt, darfst du mit deiner Gesundheit ausbaden?
Z: Leider, ja. Aufgrund der kurzen Wegzeiten und der flexiblen Gestaltung meines Stundenplans hatte ich die Hoffnung, es würde einfacher. Dabei habe ich die Arbeit, die ich hier verrichten muss, nicht eingeplant. Meine Gesundheit leidet nicht unter dem Studium, sondern unter dem Umgang mit Barrieren und den Termine, die ich einplanen muss, um gegen diese zu kämpfen. Zudem bin ich bei solchen Terminen immer auf andere Menschen angewiesen. Zwar bin ich dankbar für alle, die mich unterstützen, aber ich wäre gerne einfach unabhängig. Irgendwann nervt es auch, immer „Bitte“ und „Danke“ zu sagen.
H: Vorhin sprachst du an, dass sich die Uni dieses Problems und der Barrieren eigentlich bewusst sein sollte. Woran scheitert es, diese zu bekämpfen?
Z: Einmal daran, dass es so ein kleinstaatliches System gibt: Wenn ich eine Barriere entdecke, dann ist das von Institut zu Institut komplett unterschiedlich, wer eigentlich verantwortlich ist und wo ich mich hinwenden soll. Bei den Mensen ist das sogar das Studierendenwerk, das nicht einmal zur Uni gehört. Hier wäre eine Abteilung notwendig, die für Barrierefreiheit an der Uni zuständig ist, damit das dann baulich geprüft und sich darum gekümmert wird. Aber so eine zentralisierte Struktur fehlt völlig. Die einzelnen Anfragen an zahllose Institute gehen häufig im E-Mail-Andrang unter und dann verschwindet man einfach. So fühlt sich auch niemand wirklich verantwortlich.
Wenn jemand aber Präsident_in einer Universität ist, dann trägt die Person eigentlich auch Verantwortung für den Laden und kann nicht immer alles auf die Dekanate der Institute abschieben, die zwar auf den Geldtöpfen sitzen, aber für die Struktur auch nichts können. Die Präsidentin wird gewählt, Verantwortung dafür zu übernehmen, was an der Uni passiert. Und damit auch dafür, wenn gewisse Dinge fehlen.
H: Du meintest, du wirst am SoWi-Institut von Professor_innen oft als ‚Pionierin‘ bezeichnet. 2010 sagte Katrin Kienel, ehemalig aktiv in der studentischen Sozialberatung, im Tagesspiegel: „Hier werden Menschen mit Behinderung immer noch als zu duldende Sonderfälle betrachtet.“6 Wie würdest du diese Aussage für die heutige Situation an der HU einordnen?
Z: Im Bezug auf meine Erfahrungen mit der Universität hat sich da kaum etwas geändert. Ich fühle mich immer als Sonderling und Präzedenzfall. Und wenn ich mich mal nicht als Störfaktor empfinde, dann wird es eben merkwürdig positiv aufgeladen. Diese Abnormalität, die einem zugeschrieben wird, ist omnipräsent. In meiner Orientierungswoche fand auf dem Hof ein Frühstück statt und ich konnte als einzige_r Student_in nicht teilnehmen, weil ich diesen nicht berollen konnte. Da saß ich dann im Rollstuhl davor und andere haben mir etwas herausgebracht. Dazu kommen alle Situationen, in denen man eigentlich erst einmal zur Ruhe kommen muss im Angesicht von struktureller Diskriminierung. Zum Beispiel kann man oft die Vorlesungen anfangs gar nicht richtig verfolgen, weil man vorher mit dem Rollstuhl irgendwo hängengeblieben ist und sich so gedemütigt fühlt.
H: Der RefRat bietet ja auch eine Enthinderungsberatung an: Bist du dort mit der beratenden Person in Kontakt getreten und wenn ja, wie wurdest du unterstützt?
Z: Die beratende Person war extrem hilfsbereit, hat aber auch klar gesagt, dass sie selbst nichts veranlassen und keinen Umbau initiieren kann. Es scheitert an der Uni. Die Person konnte mir dennoch moralische Unterstützung anbieten, da sie auch im Rollstuhl sitzt, und meinte, dass es besonders wichtig ist, dass Menschen wie sie und ich an der Uni bleiben, um diese Strukturen zu füllen. Gerade, wenn ich frustriert bin, wende ich mich an sie, weil sie das als Betroffene ganz anders nachvollziehen kann. Es ist so schade, dass die Menschen, die genau wissen, wie es ist, schwerbehindert zu sein – dazu gehört auch die Schwerbehindertenbeauftragte – keine Kompetenzen zugesprochen bekommen. Diejenigen, die diese eigentlich hätten, kriegen keine Möglichkeit, etwas zu verändern.
Deswegen möchte ich nochmal ganz deutlich hervorheben, dass weder die Schwerbehindertenbeauftragte der Uni noch andere Angestellten das Problem sind. Das Problem ist ein Strukturelles. Alle Menschen, die mir helfen wollen, sind verzweifelt und genauso wütend und frustriert wie ich. Dazu ist es ein Witz, dass es nur eine einzige Schwerbehindertenbeauftragte an der ganzen Uni gibt – für 40.000 Studierende. Da wird von oben auch gar nicht differenziert, wie heterogen Behinderungen sind, oder dass z.B. neurodivergente Personen ganz andere Sachen benötigen als ich. Das zeichnet ein falsches Bild der Gesellschaft und den multiplen Formen von Behinderung. Gerade in Hinblick auf die deutsche Geschichte finde ich es um so wichtiger, dass die staatlichen Institutionen sich besonders in der Verantwortung sehen, Inklusionsprozesse umzusetzen. Ich habe nicht das Gefühl, dass das der Fall ist.
H: Warum sollte die Uni kein Interesse daran haben, das zu ändern und für mehr Diversität zu sorgen?
Z: Vielleicht ergibt sich für sie ein finanzieller Nutzen – die Homogenität an der Uni geht ja mit einem gewissen Level an Wohlstand einher. Vor allem Akademiker_innenkinder brauchen weniger staatliche Ressourcen und haben mehr Mittel als Kinder aus armen Familien, oder aus einfachen Arbeiter_innenfamilien.
H: Inwiefern siehst du da einen Zusammenhang zwischen Krankheit, Behinderung und sozio-ökonomischer Herkunft?
Z: Ich habe ja in der Kindermedizin gearbeitet und dort häufen sich oft gewisse Erkrankungen oder Verletzungen, z.B. passieren Unfälle viel häufiger in Wohnungen, in denen Menschen auf beengtem Raum wohnen. Wenn dort fünf Kinder um einen Tisch rennen, passiert es öfter, dass eine Teekanne umfällt und sich ein Kind verbrüht, als wenn sie genug Platz zum Spielen hätten. Das hängt ja alles zusammen. Ich habe das Glück, dass ich sozio-ökonomisch gut aufgestellt bin: Wäre ich das nicht, hätte ich mit meiner Behinderung richtig große Probleme. Alleine von meinem Krankengeld hätten mein Freund und ich unsere Miete damals nicht bezahlen können.
H: Rechtlich ist Denkmalschutz auch ein großes Thema für die HU. Wie stehst du zu der Behauptung, dass vieles nicht umgebaut werden kann aufgrund des Denkmalschutzes?
Z: Ich finde das ehrlich gesagt schwierig zu glauben. Beispielsweise nehme ich an verschiedenen kulturellen Veranstaltungen teil oder schaue mir gerne Ausstellungen an. Die staatlichen Museen, die hier ja fast alle um die Ecke sind, also das Bode-Museum, das Pergamonmuseum, oder auch das Naturkundemuseum, stellen für mich kein Problem dar. Selbst der Dom hat einen funktionierenden, barrierefreien Eingang. An Kulturangeboten in denkmalgeschützten Gebäuden mangelt es nicht. Nur an der Universität wird das Thema merkwürdigerweise zu einem Problem. Und selbst, wenn der Denkmalschutz eine Hürde ist, bin ich der Auffassung, dass hier Menschen vor Gebäude gehen. Auch ohne Schwerbehinderung, wenn man sich ein Bein bricht, für Schwangere oder ältere Menschen: für all diese Personengruppen ist es ein Problem, wenn die Uni nicht barrierearm gestaltet ist. Die Uni und die Stadt sind doch für diejenigen, die sie nutzen. Denkmalschutz ist dann immer das Totschlagargument und ich kann darauf nicht so viel entgegnen, da ich mich nicht so gut auskenne. Aber es ist nicht meine Aufgabe, mir zu überlegen, wie man Denkmalschutz und Barrierefreiheit miteinander kombiniert, sondern die der Uni.
Ein weiteres Totschlagargument ist dann das Geld: Das ist insofern widersprüchlich, als dass hier Sachen gebaut werden, die gar keinen Sinn ergeben. Sowohl die Türöffner, die an Stellen geklatscht werden, an die man nicht richtig rankommt, als auch eine Rampe wie am SoWi-Institut sind rausgeschmissenes Geld. Und dann wird mir gesagt, dass Gebäude teuer sind. Das erschließt sich mir nicht.
H: Dann möchte ich abschließend noch einmal konkret nachfragen: Was würdest du der HU als öffentlicher Institution – und somit auch allen Verantwortlichen – zum Vorwurf machen?
Z: Ich muss Sachen tun, die meine Gesundheit beeinträchtigen, um an dieser Uni studieren zu können. Das empfinde ich als explizit diskriminierend, weswegen ich auch Beschwerde beim Landesamt für Diskriminierung eingereicht habe. Und ich greife damit Menschen in Machtpositionen an – das sind Dinge, die ich als junge Frau eigentlich gar nicht machen möchte, mich in meiner Situation aber gezwungen fühle zu tun. Durch meine Arbeit hoffe ich aber bewirken zu können, dass sich etwas verändert, und dass dieser Prozess zu einer bunteren, inklusiveren Uni führt, an der Studierende, die hier im Rollstuhl studieren möchten, nicht unter den gleichen Hindernissen leiden müssen. Dass mehr Menschen, die mit verschiedensten Beeinträchtigungen herkommen, akzeptiert und inkludiert werden.
H: Natürlich wäre es schöner, wenn du dir die ganzen Strapazen gar nicht antun müsstest. Aber gerade der Kampf um Veränderung an der ganzen Uni erscheint mir als einer, den du auf jeden Fall weiterführen möchtest.
Z: Das ist es auch, was ist mir Hoffnung gibt. Dass ich es schaffen kann, bis zum Ende meines Studiums die Barrierefreiheit im SoWi-Institut durchzusetzen. Ich möchte für meine Rechte kämpfen, aber auch dafür, dass sich an anderen Instituten niemand in der gleichen Situation befinden muss. Man kennt ja diese Prospekte mit Fotos von Studierenden, die Universitäten gerne benutzen, um mit der eigenen Diversität zu werben. In solche würde man mich bei Gelegenheit vermutlich auch 20 Mal reinklatschen. Es ist eine erleichternde Vorstellung, dass man diese ‚Repräsentantin‘ vielleicht irgendwann nicht mehr sein muss.
H: Wir drücken die Daumen, dass Lehre und Studium in der Zukunft allen Menschen mit körperlichen wie nicht-körperlichen Behinderungen barrierefrei zugänglich sein werden. Vielen Dank für das Gespräch und viel Kraft für die Zukunft!
1 Siehe Antrag, online unter: https://vertretungen.hu-berlin.de/de/stupa/sitzungen/2010/06-11/3_refrat_barrierefrei.pdf [Letzter Zugriff: 02.03.2023 15:34]
2 Im Antrag ausgeführt als Rechtsgrundlagen sind dabei der Artikel drei des Grundgesetzes, §4 Absatz 1 und 7 des Berliner Hochschulgesetzes, das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und §4 des Behindertengleichstellungsgesetzes.
3 Siehe Sitzungsprotokoll, online unter: https://vertretungen.hu-berlin.de/de/stupa/sitzungen/2010/06-11/3_protokoll_stupa_11_06_10.pdf [Letzter Zugriff: 02.03.2023 15:53]
4 Vgl. Margarete Stokowski, Bibliothek mit Barrieren, 15.03.2010. Online unter: https://www.tagesspiegel.de/wissen/bibliothek-mit-barrieren-6505930.html [Letzter Zugriff: 02.03.2023, 14:13]
5 Der Grad der Behinderung (GdB) wird auf Antrag vergeben und auf einer Skala von 20 – 100 bemessen, wobei 100 den schwersten Grad vorgibt. Ab einem GdB von 50 gilt man als schwerbehindert und hat Anspruch auf Leistungen, die die gleichberechtigte Teilnahme garantieren sollen.
6 Zitiert nach Stokowski, Bibliothek mit Barrieren, 2010. [Letzter Zugriff: 02.03.2023, 14:13]