| von Moritz Vogt |
Die Aufrüstung auf den Straßen beginnt: Der Automobilindustrie sei Dank gelangen die kühlen Blicke nun über grelle Scheinwerfer direkt in die Herzen Deutschlands.
Es ist ein leidiges Thema: Autos und ihre Fahrer_innen. Sowohl die Gruppe mit einem der stärksten Lobbybackings des ganzen Landes als auch die schwächsten Glieder, die sich jeden Tag von Sprit-Preisen, Fahrrad-Fahrer_innen und Klima-Klebern in ihrer Freiheit bedroht sehen. Ganz gleich, wie viele Airbags oder wie schwer das Gefährt: Man lebt in ständiger Gefahr, nie ist man sicher. Was, wenn man auf den Autobahnen eines Tages vielleicht nicht mehr die Kraft seiner Hundertschaften an teutonischen Pferden voll ausleben darf? Was, wenn das Parken in der Innenstadt bald mehr kostet, und man in die verhasste U-Bahn steigen muss? Allein die erahnbaren Bedrohungen sind mannigfaltig und allgegenwärtig. Das Auto ist die USA in der Zeit des Red-Scare: Der Boss, und doch jederzeit im Begriff kläglich unterzugehen. Diesen Stress sieht man den vierrädrigen Freunden an: Ihr Blick argwöhnt von den Haltelinien der Ampeln in den Gegenverkehr, die Scheinwerfer-Augen zu Schlitzen aus LEDs verzogen, eine Grimasse der Stärke, der Härte, der Isolation. In den Herzen unserer echten Golems ist es kalt geworden. Es herrscht Krieg auf den Straßen.
Das ist natürlich Unsinn. Egal, wie sehr „wir Deutschen“ das Auto als liebstes Ding vergöttern, oder als Henker der Lebensqualität in Ballungsräumen stilisieren, sie sind keine Wesen. Ihre Kühlergrills sind keine Münder, ihre Scheinwerfer keine Augen, und es besteht keine Möglichkeit für einen – zwar durchaus ausgeklügelten – Haufen Blech, diese auch noch nach „Emotion“ zu verändern. Das Auto ist am Ende ein Ding. Rein rechnerisch energetisch ineffizient, gefährlich, durchaus auch manchmal spaßig, aber eben ein Gegenstand. Jedoch – wie es Gegenstände doch oft genug an sich haben – ein von Menschen erschaffener. Menschen, die möglicherweise ganz genau wissen, dass wir eben doch Gesichter in ihren Fronten sehen. Menschen, die diese emotionale Assoziation vielleicht ganz bewusst erzeugen möchten. War der „Böse Blick“, wie er in den 2000ern noch – teils ironisch, teils ernst, teils verächtlich – genannt wurde, ein Produkt einfacher Tuner_innen und Autonarren, die ihren Opel Corsa optisch in die Richtung der Sportwagen-Idole rücken wollten, so ist er heute die Norm. Aber warum? Warum haben diese so stadtbildprägenden Gegenstände ihr Lächeln gegen eine angriffslustige Fratze getauscht? Und was könnte man daraus kulturell folgern?
Es hilft, sich zu den Anfängen dieses Designtrends zu orientieren. Denn Aggressivität in der Optik ist auch bei Personenkraftwagen im Endeffekt nichts komplett Neues. Renn- und damit auch Sportwagen waren schon immer „schnittig“, also flach, breit, spitz, um möglichst gut durch die so widerständige Luft zu schneiden, und damit die Gegner_innen im Motorsport hinter sich zu lassen. Ob da ein (pseudo-)psychologischer Aspekt von Einschüchterung, wie bei einer Kriegsbemalung, dazukommt, darüber mag man rätseln. Eines bleibt aber so oder so: Optische Feindseligkeit kommt aus dem Wettkampf. Wer ist schneller, wer besser, wer hat’s mehr drauf? Die Person mit dem krasseren Wagen. Und wenn nicht, dann sieht sie zumindest so aus, und zeigt es durch markante Linien auch allen. Dass dieses Denken irgendwann auch zu den ordinären Karren des normalverbrauchenden Ottos durchsickert, ist nur logisch, denn wer wäre in dieser Gesellschaft nicht gerne mehr, als er oder sie ist? Nur verrückt, dass es jetzt so allgegenwärtig ist. Selbst die sonst immer so sanft anmutenden Franzosen der Peugeots und Citroens, die sich jedes Vergleiches bisher vornehm enthielten, machen mit beim Maskenball. Warum, fragt man sich wieder? Den Grund haben wir noch nicht ganz erreicht.
Den Anfang im Rennsport kann man noch als beinahe unumgänglich und fast natürlich ansehen. Wirklich um sich gegriffen hat diese Krankheit der automobilen Visagen ab einem bestimmten Punkt: September 2006. Was geschah zu dieser Zeit? Audi stellte seinen neuesten – man könnte auch sagen seinen ersten echten – Sportwagen vor: Den Audi R8. Baugleich mit dem VW-Konzernbruder Lamborghini Gallardo – einem waschechten „Supercar“ also – war er ein Schritt für den deutschen Hersteller, seinen Namen international mit etwas anderem in Verbindung zu bringen, als etwas luxuriöser ausgestatteten Volkswagen-Modellen. In der Branche nennt man diese Praxis ein sogenanntes „Halo Car“. „Halo“ vom englischen Wort für Heiligenschein, und Heiligenschein, weil dieses „Halo Car“ ganz anders als das sonstige Firmenrepertoire ist: Luxuriöser, schneller, auffälliger, und so weiter. Audi war mit diesem Schritt an sich auch nicht der erste und nicht der letzte Hersteller. Das Design jedenfalls ist markant: Falkenartige Augen, Pupillen aus Projektorscheinwerfern, steile Brauen aus LED-Schwingen. Inspiriert ist dieses Aussehen vom drei Jahre vorher erschienenen Konzept des „Le Mans Quattro“ – die Rennstrecke lässt wieder grüßen. Der Clou des R8 ist aber nicht einfach, dass er so aussah, denn viele Sportwagen sahen und sehen so aus. Es ist der Fakt, dass Audi, ein gewissermaßen gewöhnlicher Hersteller, an diesem Modell den gesamten Rest seiner Modellpalette designtechnisch ausrichten würde. Das war bei den „Halo Cars“ früherer Zeiten meist anders, und wenn es doch so war, dann sah der Designpate nicht so grimmig aus. Das ist es, was den R8 so besonders macht, und weshalb man ihn durchaus als Vorboten des kommenden Wettrüstens sehen kann. Bald sollten A3, A4, A6, und alle anderen kleineren Geschwister dem leuchtenden Beispiel des R8 folgen, und ebenfalls verschlagen durch die Welt linsen. Aufwertung der gesamten Flotte am großen Bruder war die Intention. Doch heute können wir sehen, dass es unbeabsichtige Konsequenzen nach sich zog.
Und die anderen Hersteller? Die folgten brav nach. Einige langsam, einige wiederum sehr schnell. Die von Marketingabteilungen „markant“ genannten „Gesichtszüge“ erfreuten sich jedenfalls großer Beliebtheit, was in dieser Welt kein Wunder ist. Denn man sieht dieses Phänomen der Aufrüstung überall wiederholt, in der Automobilwelt und auch im Rest der Gesellschaft. In einer Zeit nach der globalen Bankenkrise – in die der offizielle Verkaufsstart des R8 fiel – wurden Menschen eben nicht durch schwere Zeiten zusammengeschweißt, wie man es als naiver junger Mensch vielleicht denken – oder zumindest hoffen – würde. Nein, der Gedanke der Konkurrenz verließ die Köpfe nicht, wenn, dann wurde er überhaupt nur verstärkt. Ein aggressiv anmutendes paar Scheinwerfer auf der Gegenfahrbahn? Da muss man dagegenhalten! Und so wurde aus dem Alleinstellungsmerkmal eines Audis allmählich Normalität.
Vergleichbar ist das mit den so unpassend genannten „Sports Utility Vehicles“ (kurz: SUVs) genannten Autobahnbombern, die weder besonders sportlich oder praktisch, dafür doppelt so viel Vehikel wie nötig sind. Anfangs zog vielleicht das Argument „mehr Unfallsicherheit“ – aber das war schon immer eine Sicherheit auf Kosten anderer, kleinerer Verkehrsteilnehmer. Jetzt, wo ein großer Teil Gerätschaften mit einem Leergewicht von zwei Tonnen und mehr über den Asphalt bewegt, ist auch dieser Vorteil passé. Die Kosten tragen dann alle anderen. Die Fußgänger_innen und Radfahrer:innen werden bei Unfällen noch schwerer verletzt, und auch Straßen werden aufgrund der hohen Achslast noch mehr in Mitleidenschaft gezogen. Die schlechtere Rundumsicht aus den Schießscharten ähnlichen Fenstern führt zu noch mehr Unfällen, höhere Motorisierung aufgrund des metallenen Übergewichts sorgt für zu schnelles Fahren und die hohe Sitzposition zu Überschätzung der eigenen Fähigkeiten. Und zu allem Überfluss wird dabei noch mehr Sprit verfahren, noch mehr Gummi verbraucht, werden noch mehr Bremsen abgefahren, und noch mehr Metall geschmolzen. Währenddessen schauen alle auch noch um einiges finsterer drein. Kurzum: Die typischen Kollateralschäden einer Aufrüstung. Denn, Nicht vergessen: Wir befinden uns im Krieg.
Was also tun? An der Aufrüstung teilnehmen, wie es unsere so blutlüsterne Gesellschaft nahelegt? Sollen wir uns Herzenskälte und Isolation hinter Sicherheitsverglasung im meterhohen SUV-Turm hingeben? Zu ebenso aggressiven Mitteln greifen, und als Tarnbomb-Radler_innen zum Gegenangriff übergehen? Nein. Wie bei jeder eskalierenden Gewaltspirale hilft nur Besinnung und strenge Enthaltung. Fahrt Renault Twingo und strahlt durch grinsende Kulleraugen-Scheinwerfer radikale Freude aus. Lasst die Fenster herunter und spielt Gute-Laune-Musik, lächelt den entnervten Drängler_innen auf der Autobahn durch den Rückspiegel an und lasst euch nicht hetzen, fahrt unter dem Tempolimit. Lasst euch nicht den Tag verderben, nur weil andere in stumpfsinniges Starren verfallen sind, bewahrt einen kühlen Kopf. Oder: Entzieht euch dem automobilen Wahnsinn. Fahrt Rad, steigt in die Bahn oder lauft ganz einfach. Sicherlich einfacher in der Stadt als auf dem Land, aber irgendwo muss man anfangen. Frei nach dem Spruch: Stell dir vor, es ist Straßenkrieg, und keiner fährt hin. Wäre das nicht schön?