Von Joana Splieth
Helden gibt es in jeder Art und Form. Abenteuer warten überall. Gemeinsam seid ihr stark.
In der Online-Spielwelt von World of Warcraft sollen diese Sätze Wirklichkeit werden. Wie von der Werbung versprochen, will man direkt eintauchen, den eigenen Avatar erstellen, sie* nach dem individuellen Gusto ankleiden und dann losleben. Die Welten erkunden, von Level zu Level aufsteigen, dabei tolle Items sammeln, andere Spieler*innen kennenlernen, zusehen, wie sich die eigenen Skills verbessern, und am Ende auf Monate, wenn nicht Jahre an Spiel- bzw. Lebensgeschichte als Blood Elf Priest zurückblicken. In dieser neuen Welt soll nichts aus der ursprünglichen Realität eine Rolle spielen: Vergnügen statt Arbeit, Freund*innen auf der ganzen Welt, Erfolg und Fun.
Der Plot Twist ist voraussehbar: Statt der Utopie einer einladenden Gesellschaft, in der die totale Happiness auf dem Programm steht, ist oft das Gegenteil der Fall. Viel zu häufig übertragen sich soziale und ökonomische Probleme in die virtuellen Räume – die Regeln und Strukturen der »realen« Welt sind nicht plötzlich außer Kraft gesetzt.
Selbst als mächtiger Priest einer Gilde zwingt einen die Ökonomie von WoW so z.B. zum Goldfarmen. Zur Zusammenstellung der eigenen Ausrüstung aus unzähligen und teilweise für das Spiel dringend notwendigen Items – wie dem Gürtel aus lebendigem Stahl – benötigt der Avatar Kapital und damit Gold – die Ingame-Währung des Spiels. Die vielleicht ursprünglich hoch motivierten Gnome, Pandaren und Blutelfen sind dadurch regelmäßig dazu angehalten, in stundenlanger nervenaufreibender Arbeit Kräuter oder Wolken zu sammeln bzw. zu farmen. Zwangsläufig entsteht hier ein Bedürfnis, den Prozess abzukürzen, weswegen manche Bewohner*innen von WoW damit beginnen, Gold außerhalb des Spiels auf Online-Plattformen an Spieler*innen weiterzuverkaufen, die weder Zeit noch Geduld haben, stundenlang Arctic Clouds zusammenzutragen. Zeitgleich zu dieser Entwicklung findet ein »Offshoring« des Goldfarmens in andere Länder mit niedrigeren Strompreisen und billigeren Arbeitskräften statt. Kapitalistische Mechanismen verknüpfen sich hier mit den neuen Märkten digitaler Welten. Zusätzlich schwappen Ängste und Stereotypisierungen, die den Logiken der globalen kapitalistischen Wirtschaftsordnung entstammen, in die Spielwelt über. So besagt ein Gerücht, dass vor allem chinesische Goldfarmen den Offshore-Markt von WoW-Gold beherrschen. Durch halbwissenschaftliche Artikel und akademische Zitierzirkel perpetuiert und legitimiert sich diese Annahme, welche die Vorurteile in der WoW-Welt Azeroth gegenüber »chinesischen Goldfarmer*innen« nur weiter manifestiert. Ihnen wird u.a. vorgeworfen, das Spielvergnügen der anderen Spieler*innen durch ihre Arbeit zu mindern. Immer wieder kommt es daher im Spiel zu rassistischen Kommentaren und Übergriffen gegenüber chinesischen Spieler*innen, die des Goldfarmens verdächtigt werden. Dass ca. 22% der Fun-Spieler*innen den arbeitenden Goldfarmer*innen ihre Produkte abnehmen und damit Teil des ökonomischen Phänomens sind, wird mehrheitlich gekonnt ignoriert. So reproduzieren sich diskriminierende und ökonomische Verhältnisse der realen Welt in den neuen, vermeintlich unbelasteten und freien virtuellen Räumen.
Selbstverständlich lassen auch monopolistisch motivierte Ausschlussmechanismen der Spielehersteller*innen nicht lange auf sich warten: In Zusammenarbeit mit Paypal und anderen Internetdiensten wie Ebay, geht Blizzard (die Entwicklungsfirma von WoW) seit geraumer Zeit gezielt juristisch gegen Goldfarmer*innen vor. Es geht dabei vor allem um die Frage, wer die Welt von WoW ökonomisch verwerten darf. Hier bedient sich die Firma der stereotypischen Vorurteile und Abneigungen gegenüber »chinesischen Goldfarmer*innen« als Legitimation, um ihren eigenen Profit zu sichern bzw. auszuweiten. Denn die Firma schließt nicht nur konsequent Goldfarmer*innen aus und verbietet automatisierte Bots zum Farmen, sondern bietet stattdessen seit einiger Zeit die von ihr selbst kontrollierte und ins Spiel integrierte Möglichkeit an, Echtgeld per Token in WoW-Gold umzutauschen.
Es drängen sich die Fragen auf: Wem steht der Anspruch zu, diese Welten zu gestalten? Wer macht die Regeln? Wer wird ausgeschlossen bzw. wer darf mitreden? Weniger die Bewohner*innen als die Spielefirmen, soviel ist klar. Denn die Online-Welten sind eben nicht nur Vergnügen, Freunde und Erfolg, sondern Teil einer umfassenden Gaming-Industrie und damit eines riesigen Kapitalkomplexes, der in den USA jährlich zweistellige Milliardenbeträge erwirtschaftet. Überzeugende Pläne, Online-Welten wie WoW zu demokratisieren, mehr Mitspracherecht für alle an der Gestaltung des Spiels einzufordern und benachteiligte Minderheiten zu schützen, gibt es nicht. Möchte man Kritik ausüben, kann man zwar die Firma kontaktieren oder sich im WoW-Forum auslassen, konkrete Folgen ergeben sich daraus jedoch meistens nicht. Es bleibt als einzige radikale Kritik nur die Möglichkeit, aus dem Spiel auszutreten und nach anderen Online-Welten zu suchen, die einem bessere Versprechen machen.
Think it. Build it. Play it.
Das Startup Chimaera ist der Versuch, einen solchen Ort zu schaffen. Die erste Developer-Plattform von Blockchain Games könnte als zukünftiges Sammelbecken für WoW-Aussteiger*innen funktionieren. Im Gegensatz zum Heldentum und Fun-Image von WoW gibt sich Chimaera mit seinem Internetauftritt allerdings eher verrucht und widerständig. Der Versuch ist klar: Cyberpunk. Vor einer rot-schwarzen urbanen Dystopie steht ein starker, weiblicher Androide, der sich mutig der düsteren Stadtszenerie entgegenstellt – das heldenhafte Startup gegen die Großmacht der finsteren Spielefirmen. Nervenkitzel pur.
Als widerständig wird verkauft, dass die Entwicklung von Spielen durch die Blockchain-Technologie nicht mehr auf zentrale Server und die damit einhergehende kostenintensive Infrastruktur angewiesen ist. Stattdessen soll durch die dezentrale Speicherung von Datensätzen eine von den großen Online-Gamingfirmen unabhängige Spieleentwicklung möglich sein. Entwickler*innen, die gleichzeitig auch Spieler*innen sein können, ist so die Möglichkeit gegeben, selbst Verantwortung für die von ihnen bewohnten und erschaffenen Welten zu übernehmen. Eine vorherrschende Instanz – wie eine Spielefirma, die das Game so gestaltet, dass es ihrer eigenen Profitmaximierung dient und nicht den Spieler*innen – soll es so nicht geben können. Der damit erzeugte neue Space im Internet nennt sich dann DAU: Dezentralised Autonomous Universe. Denn hier geht es nicht mehr nur um eine etwa auf den Kontinent Azeroth beschränkte Online-Welt, sondern um eine Pluralität sich selbst verwaltender und vernetzender Spiele.
Aber natürlich wird nicht alles von allen geteilt. Eigentumsrechte an Accounts und Items gehören den Spieler*innen selbst und werden durch die Legitimationsverfahren der Blockchain garantiert. Währungen können individuell etabliert werden und sollen anschließend mit der Chimaera-Währung Chi kompatibel sein. Atomic-Trading ist der Begriff, mit dem die Sicherung von transparentem Handel mit virtuellen Assets bezeichnet wird. Durch einen Algorithmus soll gewährleistet werden, dass Eigentümer*innen, die mit ihrem digitalen Eigentum handeln wollen, nicht mehr auf eine dritte vermittelnde Instanz bei Ihren An- und Verkäufen vertrauen müssen. Die libertäre Blockchain-Ideologie verspricht so die Selbstermächtigung der Nutzer*innen. Anarchokapitalismus und kalifornische Ideologie. Finanziert wird das Vorhaben jedoch weiterhin durch Nutzungsgebühren und Kommissionen für Crowdfunding. Man ahnt, dass hier nicht in erster Linie eine Ermächtigung der Spieler*innen, sondern eine Kapitalisierung des von anderen Online-Games frustrierten Bedürfnisses nach Mitsprache versucht wird. Die Plattform wirkt zudem mit ihrem Fokus auf virtuellen Handel eher wie ein Mittel zur Absicherung von Spekulationen in digitale Objekte. Sozialen Problemen wie Exklusion, Ausbeutung, Rassismus und Harrassment wird keine Beachtung geschenkt. Die naiv-libertäre Idee, dass sich alle anderen Probleme lösen werden, wenn erst das Eigentum und der Handel gesichert und transparent sind, ist hier Prinzip.
Wer sich nach digitalen Welten im Internet umschaut, in ihnen eine spannende Zufluchtsstätte oder teils sogar das Aufbegehren gegen die Strukturen der »realen« Welt sieht, muss also vorerst enttäuscht bleiben. Denn der versprochene Fun und das renitente Abenteuer entpuppen sich in ökonomischer und viel zu oft auch in sozialer Hinsicht als allzu real: So wie offline erwarten uns auch online Communities, die sich gesellschaftlichen Problemen gegenüber blind zeigen und stattdessen den technologischen Fortschritt als Lösung für alles ansehen, oder Technokapitalistische Privatwelten.