Von Fabian Bennewitz
Die Organisationsfrage zu stellen ist keine bloße Denkübung – die Umstrukturierung der Hochschulen nach Bologna macht es notwendig, sie neu zu verhandeln.
Ausgangspunkt dieses Diskussionsbeitrags ist die ebenso banale wie grundlegende Feststellung, dass die Idee der unternehmerischen Hochschule in der Realität angekommen ist und vermutlich so bald nicht wieder aus ihr verschwinden wird. Dass emanzipatorische studentische Politik an deutschen Hochschulen so schwach ist wie seit 50 Jahren nicht, hängt direkt damit zusammen. Es soll in diesem Artikel nicht um die Frage gehen, warum und inwiefern die Hochschule als politisches Kampffeld von Bedeutung ist und bleibt – das wurde in vorigen Ausgaben der HUch bereits ausgiebig erörtert.1 Fortsetzung soll die Diskussion hier vielmehr durch eine Anwendung und Überprüfung des von Joshua Schultheis formulierten Anspruchs erfahren:
»(Linke) Hochschulpolitik ist kein Selbstzweck, sondern besitzt nur dann Legitimität, wenn sie den Anspruch ernst nimmt, über die Institution Universität hinaus zu wirken und wenn sie politische Teilsiege an der Uni nicht mit einer Verbesserung des Ganzen verwechselt.«2
An diesem Anspruch gemessen zeigt sich nämlich ein Misstand der studentischen Politik an den Berliner Hochschulen, da Klientelpolitik für Studierende einerseits, allgemeinpolitische Aktionen und Veranstaltungen ohne Hochschulbezug andererseits zumeist unvermittelt nebeneinander stehen. In Kombination mit einer Nichtanpassung der eigenen Organisationsstruktur an das Bachelor-Master-System ergibt sich daraus eine ernüchternde Ausgangslage für die hochschulpolitische Linke.
Zeitnot im Studium
Die Situation von Studierenden im Bachelor-Master-System ist in der Regel von einer Verdichtung des Studiums, erhöhtem Leistungsdruck und verknappten zeitlichen, inhaltlichen und physischen Freiräumen geprägt. Dazu kommt eine im Vergleich zum Diplomstudium eher kurzfristige Bleibeperspektive an der Hochschule, die durch Auslandssemester, Hochschulwechsel oder Abgang nach dem Bachelor zusätzlich unterbrochen und eingeschränkt wird. Und wenn man erstmal zwei Semester oder länger braucht, um sich an einer Uni wirklich zurechtzufinden und seine 50-seitige Studienordnung zu verstehen, ist es dann schon nicht mehr lang bis zur Bachelorarbeit und der daraufhin anstehenden Suche nach einem Praktikums-, Arbeits- oder Master-Studienplatz. Außerdem ist das Studium in der Regel von einem Übermaß an Prüfungen strukturiert, die in Zusammenspiel mit teilweise sehr strikten Modulsystemen und Leistungspunktevergaben eher das Gegenteil von Muße und Reflexion befördern. An der wichtigen Ressource Zeit mangelt es in der Folge nicht nur für das Studium, sondern auch für ein über die Grenzen der Lehrpläne hinausgehendes kritisches Hinterfragen der Verhältnisse sowohl an der Uni als auch in der Gesellschaft sowie dafür, sich praktisch in der Hochschulpolitik zu engagieren – z.B. auf Treffen zu gehen, Veranstaltungen und Aktionen zu planen und umzusetzen, Plakate zu entwerfen, usw. Die Hürde für (hochschul)politisches Engagement oder wenigstens eine Beteiligung an den laufenden Debatten ist dadurch noch ein Stückchen höher gerückt als ohnehin schon. Dazu kommt in Berlin wie in anderen deutschen Großstädten das Phänomen von immerzu steigenden Wohn- und Lebenshaltungskosten, die das Vorhandensein von Zeit und Kapazitäten für dergleichen Engagement nicht gerade begünstigen. An eine unrealistische Regelstudienzeit gekoppeltes Bafög oder auch finanzielle Unterstützung von Eltern, die aber häufig auch mit einer gewissen Erwartungshaltung verbunden ist, setzen den psychischen Leistungsdruck, den man an der Hochschule erfährt, in direkte materielle Zwänge um.
Alle diese negativen Voraussetzungen betreffen selbstverständlich auch diejenigen, die dahinterstehende neoliberale Logiken und Wertvorstellungen ablehnen und sich von dergleichen äußeren Zwängen möglichst frei machen wollen. Wir können noch so radikal über Universitäten und gesellschaftliche Verhältnisse nachdenken – Leistungsscheine müssen wir trotzdem ausfüllen und auch unsere Mieten nehmen keine Rücksicht auf unsere politischen Einstellungen.Selbstverständlich ist der Großteil der Studierendenschaft, wie Max Köhler schreibt, »keinesfalls genuin rebellisch«, sondern »passiv und konform und will nur möglichst schnell und erfolgreich seine Ausbildung absolvieren, um sich dann auf dem Arbeitsmarkt die Haut gerben zu lassen.«3 Dieses Phänomen ist zwar nicht neu, wird aber durch die verschärften Studienbedingungen noch potenziert. Nichtsdestotrotz ist aber an der Überzeugung festzuhalten, dass die Hochschulen gerade durch ihre internen Widersprüche hindurch Orte sind, an denen zumindest das Potenzial für kritische Reflexion und ein Erkämpfen von Freiräumen besteht, von denen im Endeffekt auch diejenigen etwas haben sollen, die sich nicht aktiv engagieren und die vielleicht nicht einmal die Notwendigkeit für politisches Handeln sehen.
Machtlosigkeit der Proteste
Das nachgelassene politische Interesse, Bewusstsein und Engagement zeigt sich an verschiedenen Stellen. Noch in der Übergangszeit von der alten Studienstruktur zum Bachelor-Master-System gab es die bundesweiten Bildungsproteste von 2009, die auch in Berlin sehr präsent waren. Auch diese waren trotz ihrer Größe nur noch ein Schatten vergangener Protestbewegungen und haben lediglich die Einführung von Studiengebühren verhindert – also negative Entwicklungen gebremst und verhindert, ohne sie aber umkehren und in eine progressive Richtung umlenken zu können. Schon damals zeichnete sich das Problem ab, dass langfristige Perspektiven und Forderungen nach einer grundlegend besseren Gesellschaft hinter den Parolen für mehr Geld für Bildung verschwanden oder zumindest weniger wahrgenommen wurden und entsprechend weniger wirkmächtig waren. Aktuell erscheint selbst eine Protestbewegung von der Größe des Bildungsstreiks 2009 eher unwahrscheinlich.
Das hat leider auch der Arbeitskampf samt Streik für eine Verbesserung des Tarifvertrags für studentische Beschäftigte (TV Stud) in den letzten zwei Jahren gezeigt. Zwar ist diesem Kampf einiges zugute zu halten, hat doch diese Initiative tatsächlich einen konkreten Erfolg in Form eines neuen Tarifvertrags erringen und das Thema der Arbeitsbedingungen an Hochschulen stärker zu Bewusstsein bringen können. Jedoch waren auch diese Proteste in Größe und Wirkung nur ein Schatten des historischen Streiks von 1986 und verliefen die meiste Zeit in geregelten, zahmen Bahnen. Gab es auch hier Akteure, die versucht haben, den Protest zu erweitern und zu radikalisieren, so überwog letztendlich leider doch die Anpassungsfähigkeit und Konfliktscheue vieler Studierender.
Außerdem bildet die wochenlange Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der HU Anfang 2017 einen wichtigen Bezugspunkt für die Beschäftigung mit linker Hochschulpolitik in Berlin. Mag auch die politisch motivierte Entlassung des kritischen Stadtsoziologen Andrej Holm den Anlass gegeben haben, so ging es unter dem Label #iswbesetzt schnell nicht mehr nur um die Causa Holm oder auch nur um Hochschulpolitik allein. Immerhin gab es damals – aufgrund des Anlasses (Holm war in verschiedenen Stadtteil- und Mieterinitiativen aktiv und vertritt eine kritische Haltung zur Berliner Stadtpolitik) naheliegende – Ansätze, sich aktiv auf Stadt- und Wohnungspolitik zu beziehen und dabei gemeinsame Positionen mit Mieterinitiativen und anderen außerhalb der Universität agierenden politischen Akteuren zu formulieren. Diese ansatzweise die Grenzen der Uni überschreitende Verknüpfung macht auch die Besetzung des ISW zu einem der positiveren hochschulpolitischen Ansatzpunkte der jüngeren Zeit – ihre Schattenseite besteht jedoch in ihrer Kurzlebigkeit sowie darin, dass es ihr nicht gelang, eine bleibende Struktur zu schaffen.
Langlebigkeit der Organisation
Die von solcherart kurzweiligen Bewegungen und Ereignissen wachgerufenen Potentiale emanzipatorischer Hochschulpolitik aufzunehmen und am Leben zu erhalten sowie deren Erfahrungen weiterzugeben, wäre der Idee nach Aufgabe der permanenten Strukturen der Verfassten Studierendenschaft. Weg von den Protesten und hin zu der alltäglichen hochschulpolitischen Arbeit zeigt sich jedoch ein vielleicht noch traurigeres Bild. Denn die ASten in Berlin geraten unter immer stärkeren Rechtfertigungsdruck, was sich exemplarisch an den Angriffen auf den RefRat und die studentischen Strukturen an der HU ablesen lässt.4 Dass selbst dieser Frontalangriff zwar durchaus Empörung, aber bisherwenig wahrnehmbaren Protest hervorgebracht hat, gibt Anlass zur Sorge. In solche Verteidigungskämpfe verwickelt zu sein, macht es natürlich schwer, eine proaktive Rolle in der studentischen Politik an der Hochschule einzunehmen. Derart auf die vorgesehenen Bahnen studentischer Teilhabe an der Institution Hochschule eingeschränkt, dient klassisches hochschulpolitisches Engagement leider eher zur Legitimation der Politik der Universitäten, als dass es sie tatsächlich herausfordert. Mögen auch fast alle progressiven Vorschläge seitens der Studierendenschaft von den anderen, in den Gremien bevorteilten Statusgruppen übergangen werden, so erscheint der ganze Prozess Außenstehenden dennoch als legitim, insofern zumindest eine Person aus der größten Statusgruppe mit am Tisch saß. Als Erfolg muss es unter diesen Bedingungen schon angesehen werden, wenn es gelungen ist, die Unileitung an ihre eigenen rechtlichen Grundlagen zu erinnern, die sie ansonsten gerne mal ignoriert.
Angesichts der Kräfteverhältnisse in solchen Gremien ist es aussichtslos, darauf zu hoffen, dass sich die besseren Argumente von selbst durchsetzen werden. Ohne Rückenwind von wiederkehrenden Protesten oder gar Rückhalt in einer kontinuierlichen studentischen Bewegung wird der progressive Einfluss in diesen Gremien weiterhin marginal bleiben. Auf die Entstehung einer solchen Bewegung deuten gegenwärtig lediglich – aber immerhin – graduelle positive Verschiebungen hin. Wie Matthias Ubl über autonome Hochschulgruppen schreibt, »haben diese Einzelinitiativen zumindest in Berlin Zulauf. Die Veranstaltungen der kritischen Orientierungswochen sind immer extrem gut besucht. Es gelingt auch, auf Dauer Einzelne in die autonomen Unigruppen einzubinden.«5
Auch gibt es immer wieder vereinzelte Ansätze zu Archiven, Bibliotheken und Wikis, die helfen sollen, Wissen von und über Bewegungen zu erhalten und weiterzugeben. Ohne praktische Anbindung handelt es sich dabei jedoch um totes Wissen, welches schneller verloren geht als praktisches, weswegen solche Wissenssammlungen nur in Verbindung mit aktiven Gruppen ihr volles Potential entfalten können. Dass in der HUch regelmäßig auch ältere Texte neu abgedruckt werden, die immer noch Relevanz besitzen, zeigt, dass viel kritisches Wissen über die Hochschule vorhanden ist und manchmal nur geborgen werden muss. Und auch das studentische Vorlesungsverzeichnis von atopos6 kann dabei helfen, die theoretische Debatte am Leben zu erhalten. Dort werden Projekttutorien und ähnliche Formate gesammelt, bei denen Studierende selbstverwaltete Lehrveranstaltungen organisieren, dafür aber von der Uni bezahlt werden und sich die Teilnehmer*innen die Kurse anrechnen lassen können.
Die kritischen Orientierungswochen zu Beginn der Wintersemester sind ein weiterer guter Ansatz. Dabei fällt jedoch auf, dass sich die Veranstaltungen nur sehr begrenzt mit den Zuständen an der Universität auseinandersetzen und häufig eher eine Einführung in das breite Spektrum linker Themengebiete darstellen als eine tatsächliche kritische Orientierung an der Hochschule. Dem entspricht auch die Angewohnheit linkspolitischer Akteure innerhalb wie außerhalb der Uni, Kampagnen- und Themenhopping zu betreiben, anstatt die Bemühungen strategisch auf ein Gebiet zu konzentrieren. Für die nahe Zukunft schiene dabei das Thema Wohnen und Mieten in Berlin am vielversprechendsten zu sein, zumal sich in diesem Feld eigene Betroffenheit ohne Schwierigkeit mit grundlegender Kritik an kapitalistischen Zuständen verbinden lässt.
In Anbetracht des beschriebenen neoliberalen Zeitregimes an der Uni ist es gegenwärtig jedoch am wichtigsten, sich bezüglich der langfristigen Perspektive der eigenen Strukturen Gedanken zu machen. Auch wenn das nicht gleich bedeuten muss, eine Gewerkschaft zu gründen, so lohnt es sich doch, sich die Worte zu Herzen zu nehmen, die Joshua Schultheis in Bezug auf das Projekt unter_bau – die Basisgewerkschaft an der Uni Frankfurt – gefunden hat:
»In dieser ganz und gar nicht revolutionären Zeit ist sich auch unter_bau der schlechten Aussichten seines Kampfes bewusst und setzt auf den Aufbau von Strukturen, die bleiben, statt auf blinden Aktionismus, auf einen langfristig angelegten Prozess der Transformation, statt auf die spontane Revolution.«7
An den Berliner Hochschulen herrscht dagegen üblicherweise eher eine Abneigung gegenüber festgeschriebenen Regeln und festen Posten vor. Diese entspringt einer prinzipiell löblichen antiautoritären Haltung und dem Wunsch, möglichst hierarchiefrei zusammenzuarbeiten, hat jedoch in der Praxis oft problematische Auswirkungen, wie sie Jo Freeman in ihrem Text Die Tyrannei der Strukturlosigkeit von 1970 analysiert hat, welcher in der vorigen Ausgabe der HUch neu übersetzt und abgedruckt worden ist. Insbesondere in Anbetracht dessen, dass die Zeit im Studium immer knapper wird und die Universität mehr und mehr zu einer Durchgangsstation verkommt, sollten wir uns auf festere Organisationsstrukturen besinnen. Denn je stringenter etwa ein Plenum organisiert ist, desto weniger Zeit kostet es. Außerdem brauchen strukturlose Gruppen generell länger, um Erfahrungen und Kompetenzen weiterzugeben. Wenn nun aber die einzelnen Personen aufgrund des Bachelor-Master-Systems kürzere Zeiträume an der Uni verbringen als zuvor, erhöht das die Gefahr, dass ihre Erfahrungen mit ihnen aus den Gruppenzusammenhängen verschwinden, bevor sie ganz an die nächste Generation politisch aktiver Studis weitergegeben werden konnten. Festere Strukturen mit geregelten Einarbeitungsvorgängen sind hingegen sehr viel effektiver dabei, einmal erarbeitetes Wissen langfristig in den Gruppen und Organisationen zu halten. Was Techniken zur Vorbeugung von Kaderbildung und Bürokratisierung angeht, sei neben der Tyrannei der Strukturlosigkeit auch auf den Beitrag von David Miller in demselben Heft verwiesen.8 Sich in diesen Hinsichten inhaltlich, strategisch und organisatorisch neu auszurichten, ist absolut notwendig, wenn die hochschulpolitische Linke nicht dem Leistungsdruck von Bologna erliegen und komplett in der Bedeutungslosigkeit verschwinden will.
1 Ich beziehe mich hierbei vor allem auf die beiden Texte Warum Hochschulpolitik von Joshua Schultheis und Politik, Konflikt und Poesie von Matthias Ubl, beide in der HUch #87.
2 Joshua Schultheis: Warum Hochschulpolitik, in: HUch #87, S. 1.
3 Max Köhler: Bis hierher und nicht weiter – kleine Geschichte des Berliner Tarifvertrags für studentische Beschäftigte, in: FU70: Gegendarstellungen, S. 129. Dabei handelt es sich um eine Überarbeitung seines gleichnamigen Artikels in der HUch #83.
4 Vgl. Juliane Ziegler: ›Genderwahn‹, ›Linksextreme‹ und die AfD, in: HUch #88, S. 5-7.
5 Matthias Ubl: Politik, Konflikt und Poesie, in: HUch #87, S. 6.
6 https://atopos.eu
7 Joshua Schultheis: Unter_bau oder der Optimismus, in: HUch #86, S. 7.
8 Vgl. David Miller: Was tun für die Bewegung der Zukunft?, in: HUch #88, S. 9-11.