Von Olga Hohmann
Im Starbucks-Universum gelten andere Gesetze: die Jahreszeiten richten sich nach dem Kaffee und die Dimensionen von Ware, Kunst und Protest treten in ungeahnte Konstellationen.
Der Starbucks-Konzern, der diesseits des Atlantiks als eine seelenlose Ladenkette für mediokren und dabei überteuerten Kaffee gilt, besitzt in den USA ganz im Gegenteil einen klassischen, fast schon altehrwürdigen Charakter: Das in den 70ern gegründete Unternehmen ist eine Einrichtung mit für die Vereinigten Staaten vergleichsweise langer Tradition und erfüllt, ähnlich dem Wiener Kaffeehaus oder der italienischen Espressobar, eine identitätsstiftende Funktion für die jeweiligen Nachbarschaften. Jede amerikanische neighborhood hat ihre eigene Starbucks-Filiale, in der Angehörige verschiedenster sozialer Zusammenhänge die gleichen, von dunkelbraun bis beige variierenden Getränke zu sich nehmen. Ebenso wie die Espressobars in Italien, sind solche Starbucks-Filialen nicht nur in den Metropolen, sondern gerade auch in Klein- und Kleinststädten zu finden, in denen sie mithin kulturelle Zentren darstellen. Ich erinnere mich an einen Roadtrip durch die kalifornische Mojave-Wüste, bei dem plötzlich mitten in der ockerfarbenen Steppe, einer Fatamorgana gleich, ein kleines Starbucks-Häuschen auftauchte – neben der Tankstelle das einzige Geschäft weit und breit. Es wirkte in dieser Umgebung ebenso artifiziell wie die in der Nähe von Marfa, Texas permanent installierte Skulptur des Künstler-Duos Elmgreen and Dragset, bei der es sich um eine imbissbudengroße, mitten im Nirgendwo der Wüste errichtete Prada-Filiale handelt. Wobei sich allerdings der paradoxale Effekt – im Falle der Prada-Installation Ergebnis künstlerischer Erwägungen – im Falle des Mojave-Starbucks ganz zufällig als Nebenprodukt der blindwütigen Landnahme eines Unternehmens mit monopolistischen Ambitionen einstellt.
Die größte Überraschung an diesem exponierten Starbucks-Würfel war für mich jedoch die Tatsache, dass der Cappuccino Grande, den ich dort erwarb, genau die gleiche Materialität aufwies wie jeder andere Cappuccino Grande, den ich bis dahin getrunken hatte – er hatte die selbe hellbraune Farbe, den selben hellbraunen Geschmack und auch der Milchschaum hatte die selbe feste, aber wolkige Textur. Mir wurde bewusst, dass diese Zuverlässigkeit des Starbucks-Erlebnisses zu jedem Zeitpunkt Millionen von KonsumentInnen auf der ganzen Welt miteinander verbindet.
Einerseits löst also die milchig-braune Integrität des Starbucks-Kaffees die Zeitzonen der Welt in eine momentane Gleichzeitigkeit auf, andererseits scheint es dem Konzern jedoch ein besonderes Anliegen zu sein, die Einteilungen der Zeit nach seinen eigenen Vorstellungen zu gestalten. Zu jeder Jahreszeit und jedem Feiertag gibt es das passende Getränk: Iced Matcha Latte für den Sommer und für die Adventszeit verschiedene nach Zimt und Lebkuchen schmeckende Special Editions (mit Toffee Nut oder Waffel Topping). In einem Fall macht es sogar den Anschein, als ob Starbucks eine eigene Jahreszeit kreiert habe: Um Thanksgiving herum strömen jedes Jahr Menschenmassen in die Filialen, um einen der beliebten Pumpkin Spice Lattes zu ergattern. Die ›Pumpkin Spice Latte Season‹ dauert nur wenige Wochen und Fans auf der ganzen Welt warten jedes Jahr ungeduldig auf ihren Beginn, den sie ebensowenig beschleunigen können wie die Blüte im Frühling, und bedauern schließlich ihren Abschluss, den sie ebensowenig aufhalten können wie den Laubfall im Spätherbst.
Dabei geht es vielen KäuferInnen nicht nur um das Getränk selbst, sondern auch um seine Verpackung: Zusätzlich zu den verschiedenen Milch-Variationen gibt es auch die dazugehörigen, thematisch bedruckten To-Go-Becher. Diese bunten Pappzylinder sind nicht nur an den bestimmten Seasons orientiert, auch variieren ihre Motive von Jahr zu Jahr: Einmal ist die Christmas-Edition zum Beispiel mit dem Gesicht von ›Rudolph, the Red-Nosed Reindeer‹ versehen, im darauffolgenden Jahr mit glitzernden Weihnachtskugeln verziert und in einem wieder anderen dezent und stilvoll in dunkelgrün gehalten. Diese Becher sind, da nur für kurze Zeiträume erhältlich, bei SammlerInnen sehr beliebt, wobei besondere Limited Editions, wie etwa die Valentines Day Edition, auf Ebay zum Teil dreistellige Beträge erzielen.
Im Jahr 2017 entschied sich Starbucks unerwartet gegen eine Weihnachts-Variante der Pappbecher – ob aus marketingstrategischen Erwägungen oder aus Gründen fehlender Inspiration ist nicht bekannt. Zur Folge hatte dies lautstarken Unmut der sammelwütigen AmerikanerInnen: So wurde im Internet vielfach zum Boykott des Unternehmens aufgerufen. Neben der Strategie des Boykotts wehrten sich die SammlerInnen außerdem, indem sie anstelle eines Namens, der obligatorischer Weise von den MitarbeiterInnen auf dem Pappbecher notiert wird, verschiedene Flüche aussprachen: Statt ›Michael‹ oder ›Matt‹ stand nun ›Son of a bitch‹ oder ›Fuck yourself‹ auf den Bechern. Doch diese wurden nun plötzlich ebenfalls zu Sammlerstücken – und zwar zu wesentlich wertvolleren, als die von Starbucks konzipierten Jahreszeiten-Becher selbst es waren: Ein verfluchter ›No Christmas Edition‹-Cup wurde für den zehnfachen Preis eines ›Rudolph, the Red-Nosed Reindeer‹-Cups bei Ebay inseriert.
Es lässt sich daran nicht nur die Kommodifizierung eines Gegenstandes beobachten, der ursprünglich lediglich als Behälter der eigentlich zu verkaufenden Ware gedacht war – außerdem muss man wohl feststellen, dass diese Kommodifizierung nicht etwa von oben verordnet, sondern aktiv von den KonsumentInnen eingefordert wird. Und das mit einer solchen Bestimmtheit, dass sie den Akt der Inwertsetzung im Falle seines Ausbleibens in die eigenen Hände nehmen und sogar wirkungsvoller umsetzen, als es das Unternehmen selbst je könnte. An der Fähigkeit der Menschen, die Geschäfte der Gesellschaft in Eigenregie zu führen, kann vor diesem Hintergrund kaum noch gezweifelt werden. Inwiefern sich diese ihre Kräfte momentan an die richtigen Zwecke knüpfen, lässt sich allerdings diskutieren.