| Von Tilman Bärwolff |
In den USA sehen viele Linke den Green New Deal als Ausweg aus der Klimakrise. In Europa ist noch wenig über ihn bekannt. Was hat es mit dem Konzept auf sich?
Der Gefahr der drohenden Klimakatastrophe und einer sich zuspitzenden Trennung von Arm und Reich steht die globale Linke aktuell ohne Antwort gegenüber. Abgesehen von einer akademisierten Kapitalismuskritik fehlen progressiven Strömungen europaweit, aber auch in großen Teilen der Welt konkrete Lösungsvorschläge, um rechtzeitig auf den Klimawandel zu reagieren und das Fundament für eine befreite Gesellschaft zu legen.
Wie ein Hoffnungsschimmer erschien daher vielen progressiven Aktivist_innen das durch die US-amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez popularisierte Konzept eines Green New Deal. In einer Resolution, die sie gemeinsam mit dem Senator Edward Markey zu Beginn des Jahres 2019 veröffentlichte, wird zu einer zehnjährigen Mobilisierung aufgerufen, in der die Ziele des Green New Deals erreicht werden sollen. Sowohl dem Namen nach als auch in ihrem Inhalt ist die Resolution an den New Deal unter Franklin D. Roosevelt angelehnt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in den USA durch massive Investitionen und den Aufbau eines Sozialstaates das Land zu wirtschaftlicher Prosperität führte. Ähnlich wie bei seinem geistigen Vater ist der Green New Deal allerdings kein festgezurrtes Paket. Vielmehr ist die hervorgebrachte Resolution als erster Schritt in einer zehnjährigen Phase des ökonomischen, sozialen und ökologischen Wandels zu verstehen.
Zu Beginn der Resolution machen die Verfasser_innen deutlich, welche Rolle die für einen überproportionalen Anteil an Treibhausgasemissionen verantwortlichen USA[1] für das globale Klima spielen und schlüsseln auf, was ein Ansteigen der durchschnittlichen globalen Temperatur um 2 Grad Celsius für die USA bedeuten würde: einen Verlust von 500 Milliarden Dollar in der jährlichen Wirtschaftsleistung im Jahr 2100, eine Massenimmigration aus Ländern, die noch härter vom Klimawandel betroffen sind, massive Waldbrände sowie das Risiko eines Schadens an der öffentlichen Infrastruktur der USA in Höhe von bis zu einer Trillion Dollar. Der Klimawandel wird damit als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten charakterisiert. Gleichzeitig erkennen die Verfasser_innen, dass die Veränderung des Klimas schon jetzt vor allem den ärmsten und schutzlosesten Teilen der US-amerikanischen Gesellschaft schadet. Denn klar ist: wenn Küstenregionen überschwemmt werden, Wälder abbrennen oder Stürme die Städte heimsuchen, sind es die Armen, die von diesen Auswirkungen des Klimawandels am stärksten betroffen sind. Um diesen verheerenden Konsequenzen im Zuge einer Lösung der Klimakrise entgegenzuwirken, schlagen Ocasio-Cortez und Markey eine massive Investition in die Infrastruktur und Industrie des Landes vor, mit welcher der Ausbau erneuerbarer Energien ermöglicht und die Schaffung von Millionen gut bezahlter Jobs vorangetrieben würde. Dabei sollen diejenigen industriellen Zweige bevorzugt werden, die emissionsarm und kollektiv arbeiten und lokal verankert sind.
In den USA stieß der Vorschlag eines Green New Deals eine breite Diskussion an und löste vor allem in aktivistischen Kreisen Begeisterung aus. Die Graswurzelorganisation Sunrise Movement, welche in den vergangenen Jahren mehrere Sit-Ins in den Büros ranghoher Politiker_innen der Demokratischen Partei durchführte, machte den Green New Deal bereits 2018 zur Basis ihrer politischen Arbeit.
Während sich im amerikanischen Kongress viele Abgeordnete der Demokratischen Partei hinter den Green New Deal stellen, wird ihm vor allem von der Parteispitze mit Skepsis bis Ablehnung begegnet. So bezeichnete die Sprecherin des House of Representatives und ranghohe Demokratin Nancy Pelosi im Juli 2019 dem Onlinemagazin Politico zufolge den Green New Deal als einen »green dream«, zu dem eine Reihe von Alternativen im Gespräch seien.
Trotz bisheriger Ignoranz seitens der Parteispitze wird der Green New Deal im Vorwahlkampf der Demokratischen Partei für die kommende Präsidentschaftswahl heiß diskutiert. So veröffentlichten bereits mehrere der Kandidat_innen – darunter Bernie Sanders und Elizabeth Warren – fundierte Pläne davon, wie sie einen Green New Deal verwirklichen würden. Sanders Plan sticht dabei am deutlichsten heraus. So bewerteten Umweltorganisationen wie Greenpeace in einem vom Guardian zusammengestellten Ranking im September 2019 den demokratischen Sozialisten hinsichtlich seiner Klimapolitik sehr positiv, während seine Gegenkandidat_innen Warren und vor allem Joe Biden im selben Ranking leicht bis deutlich schlechter abschnitten. In vielen Medien wird Sanders bereits als der Klima-Kandidat gehandelt. Dieser Titel überrascht kaum, will Sanders doch 16,3 Billionen Dollar in seine Version des Green New Deal investieren, fünfmal mehr als Warren, die im Ranking knapp unter ihm steht. Auch übertrifft Sanders Plan den seiner Gegenkandidat_innen deutlich in seiner Radikalität. Um den Green New Deal zu finanzieren, schlägt Sanders vor, die fossile Brennstoffindustrie und umsatzstarke Unternehmen massiv zu besteuern, sowie die Militärausgaben herunterzufahren. Ziel soll es weiterhin sein, 20 Millionen Jobs zu schaffen.
Carl Beijer stellte im sozialistischen Jacobin Magazine einen weiteren Punkt heraus, der Bernie Sanders Deal von anderen unterscheidet: Während Sanders durch einen Klimafond Länder des Globalen Südens beim Wechsel auf erneuerbare Technologien unterstützen will, setzt Elizabeth Warren auf einen »economic patriotism«. Zwei Billionen Dollar, also knapp zwei Drittel der für ihre Version des Green New Deal angesetzten Investitionen sollen in »green research, manufacturing and exporting« fließen. Beijers sieht darin den geplanten Aufbau einer neuen Exportindustrie, mit der grüne Technologie an ärmere Länder für Profit verkauft werden solle.[2]
Wenn der Vorwahlkampf der Demokratischen Partei auch ein Klimawahlkampf ist, so ist doch fraglich, inwieweit ein_e potenzielle_r Präsident_in einen Green New Deal umsetzen könnte. Denn viele demokratische Abgeordnete im Kongress erhalten massive Spenden vonseiten der fossilen Brennstoffindustrie. So berichtete das Magazin Mother Jones im Februar 2019, dass 9 Demokraten, die von Nancy Pelosi für das Klimakomitee des House of Representatives bestimmt wurden, im Jahr 2018 insgesamt knapp 200.000 Dollar Spenden von Lobbygruppen aus der Gas-, Stromversorgungs- und Bergbaubranche erhielten.[3]
Ein Green New Deal für Europa
Während in den USA trotz aller Widrigkeiten zumindest ein konkreter Plan zur Überwindung der Klimakrise in der öffentlichen Diskussion steht, ist der Green New Deal in Deutschland und in vielen Teilens Europa bisher eher ein politisches Nischenprojekt. So wird innerhalb der Grünen schon länger über das Konzept diskutiert, eine programmatische Formulierung blieb bisher aber aus. Innerhalb der Linken brachte der Parteivorsitzende Bernd Riexinger kürzlich den Green New Deal auf einem Parteitag zur Sprache. Auch hier geht die Idee aber noch nicht über Worte hinaus. Lediglich die Kleinstpartei DiEM25 machte den Green New Deal bereits zur Europawahl 2019 zu einem Schwerpunkt ihrer Kampagne.
Tatsächlich ist das Konzept auf der Verwaltungsebene der Europäischen Union bekannter als in ihren Mitgliedsstaaten. Anfang Dezember schlug EU-Kommissionchefin Ursula von der Leyen einen »European Green Deal« vor, der unter anderem eine klimaneutrale Wirtschaft aller EU-Staaten bis 2050 und eine höhere CO2-Steuer einfordert. Obwohl einige Expert_innen den Deal für einen guten ersten Schritt hielten, ging er vielen – insbesondere im Vergleich zum US-amerikanischen Green New Deal – nicht weit genug. Denn die Unterschiede zu seinem Pendant hören beim Namen nicht auf. Gänzlich fehlt dem europäischen Deal die Anerkennung des Zusammengangs zwischen kapitalistischem Wachstum und Klimakrise. Weder soll die fossile Brennstoffindustrie zur Kasse gebeten werden, noch ist der Versuch eines Umbaus der Wirtschaft hin zu kollektiven und ressourcenschonenden Methoden vorgesehen. Vielmehr ist eine Industriepolitik vorgesehen, mit der – ähnlich dem Plan Elizabeth Warrens – Europa zum Marktführer für klimafreundliche Produkte werden soll, wie die Taz Anfang Dezember berichtete.[4]
Um der Klimakatastrophe auch in Europa rechtzeitig entgegenzutreten, versucht die internationale Initiative Green New Deal for Europe Von der Leyens Green Deal eine Alternative entgegenzusetzen. Die Kampagne, die von DiEM25 gegründet wurde, beschreibt zehn Säulen, auf denen ein Green New Deal in Europa ruhen müsste. Ihre Vorstellungen ähneln dabei denen von Ocasio-Cortez. So soll die Lösung der Klimakrise mit einer Demokratisierung staatlicher Strukturen sowie der Schaffung zahlreicher Jobs einhergehen. Auch ein offensiveres Vorgehen gegen das Kapital und die Abkehr vom Dogma des Wirtschaftswachstums wird gefordert. Die Macher_innen des Deals verstehen sich dabei als Keynesianer_innen, fordern also staatliche Eingriffe in die kapitalistische Wirtschaft, jedoch nicht die Überwindung derselben.
Zwischen Kritik und Hoffnung
An diesem Punkt setzen viele Kritiker_innen eines Green New Deal an. So argumentierte Shamus Cooke im Onlinemagazin Counterpunch, dass Unterstützer_innen des Green New Deal die antagonistische Rolle des Staates gegenüber Arbeiter_innen und seine Verquickung mit kapitalistischen Interessen unterschätzen würden. Würde der Deal nämlich durch einen kapitalistischen Staat implementiert, wäre die Konsequenz eine Aufrechterhaltung des Kapitalismus. Die Möglichkeit des Übergangs in eine alternative Wirtschaftsweise sieht er nur in einem sozialistischen Green New Deal gegeben, bei dem die den Klimawandel verursachenden Unternehmen und Banken in öffentliche Einrichtungen überführt und der bisherige undemokratische Staat durch einen neuen ersetzt würde.[5] Auch Tomasz Konicz sieht in seinem Artikel für die Zeitung analyse & kritik im Green New Deal lediglich eine »sozialdemokratische Hoffnung auf eine neue Etappe des Kapitalismus«. Er argumentiert zudem, dass sich für den Kapitalismus Investitionen in die Branche der Green Economy schlicht nicht lohnen würden, da aufgrund des aktuellen hyperproduktiven Stadiums des Kapitalismus die gewünschten Beschäftigungseffekte nicht eintreten würden. Die Hoffnung darauf, dass der Green New Deal die Menschheit vor dem Klimawandel bewahren und die Wirtschaft in gleicher Weise stimulieren könnte, wie es seinerzeit mit dem New Deal gelang, wäre somit utopisch.[6]
Trotz aller berechtigten Kritik sind die bisherigen
Modelle eines Green New Deal zumindest konkrete und populäre Vorschläge, wie
der aktuelle status quo im Ansatz überwunden werden kann. Das ist bereits mehr,
als die radikale Linke in den letzten Jahren erreicht hat. Nachdem Bewegungen
wie Fridays for Future oder Ende Gelände die Gefahr des Klimawandels in die
Öffentlichkeit trugen, sind Gesetzesvorhaben wie der Green New Deal nun erste konkrete
Folgen aktivistischer Mobilisierung. Inwiefern er tatsächlich die Erde vor der
Klimakatastrophe retten kann, wird die Zukunft zeigen. Eine radikale Linke
würde gut daran tun, an die vorgeschlagenen Ideen anzuknüpfen, um sie dann um
einen dezidierten Antikapitalismus zu ergänzen. Denn die Zeit drängt. Und
ohnehin ist klar: Ohne eine bewohnbare Erde ist jeder Versuch einer gerechteren
Gesellschaft zum Scheitern verurteilt.
[1] »[…] the United States has historically been responsible for a disproportionate amount of greenhouse gas emissions, having emitted 20 percent of global greenhouse gas emissions through 2014«; Alexandra Ocasio-Cortez: Resolution – Recognizing the Duty of the Federal Government to create a Green New Deal, 116th Congress, First Session.
[2] Carl Beijers: The Sanders Plan Can Work. Warren’s Can’t., online unter: https://www.jacobinmag.com/.
[3] Paul Blumenthal, Alexander C. Kaufman: House Climate Panel Democrats got nearly $200,000 in Fossil Fuel Industry Donations, online unter: https://www.motherjones.com/.
[4] Eric Bonse: Von der Leyens Green New Deal – Nicht alle an Bord, online unter: https://taz.de/.
[5] Shamus Cooke: Will A Green New Deal Save the Climate, or Save Capitalism?, online unter: https://www.counterpunch.org/.
[6] Tomasz Konicz: Kann ein Green New Deal den Klimawandel aufhalten?, online unter: https://www.akweb.de/.