| von Phu Nguyen |
Die Begriffe »Alman« und »Kartoffel« sind zur Zeit von allen Seiten zu hören. Dabei wird jedoch wenig beachtet, wie problematisch es ist, wenn sich weiß-deutsche Personen diese Identitäten aneignen.
Seitdem ich mich politisch organisiere, in weiß-dominierten Politgruppen aktiv bin und meinen politischen Schwerpunkt auf Antirassismus und Intersektionalität lege, treffe ich des öfteren auf weiße Personen, die den Begriff »Kartoffel« oder »Alman« als Selbstbezeichnung für sich verwenden. Aussagen wie »Unsere Gruppe ist schon sehr kartoffelig« oder »Ist es okay, wenn wir Kartoffeln euch bei eurer BIPoC[1] Veranstaltung unterstützen?« begegnen mir regelmäßig. Die Wörter höre ich also häufig – sowohl von BIPoCs, als auch von weißen Menschen. Was mir dabei jedoch besonders in Erinnerung bleibt, sind vor allem die Blicke der weißen Personen, die mich, nachdem einer der Begriffe gefallen ist, meist erwartungsvoll anschauen. Dies hinterlässt bei mir meist ein Gefühl des Unbehagens.
Ich hatte schon viele Unterhaltungen mit BIPoC-Freund_innen, in denen wir uns fragten, ob »Kartoffel« nicht das »K-Wort« für weiße Menschen sei: »K-Wort« deshalb, weil es so schien, als ob nur weiße Menschen den Begriff benutzen und sich aneignen dürften. In diesen Diskussionen ging es oft auch um mein Unbehagen mit der Bezeichnung. Was dieses Gefühl genau auslöst und was ich daran als verkehrt wahrnehme, konnte ich jedoch lange nicht benennen. Erst in einem Gespräch mit einer anderen PoC-Freundin wurde mir meine Kritik klarer. Wir sammelten »Merkmale einer weißen linken Zecke«, sprachen über die Verwendung des »Kartoffel«-Begriffs in diesen Kontexten und kamen zu folgendem Schluss: »Diese Personen nennen sich selbst Kartoffel, um sich weniger angegriffen zu fühlen!« Ich will an diese Diskussion anknüpfen und versuchen zu erklären, warum es leider ziemlich unsolidarisch und vor allem selbstgerecht ist, sich als weiße und deutsch sozialisierte Person eine Kartoffel-Identität anzueignen und damit einen Beitrag zum Diskurs um weiße Selbstbezeichnungen eröffnen, der bisher vor allem von weißen Personen ziemlich unüberlegt geführt wird.
Kolonialismus und rassistische Kontinuitäten
Der Kampf um die Existenzberechtigung marginalisierter Identitäten und die Befreiung von der Unterdrückung durch weiße existiert, seit es den Kolonialismus gibt – das heißt seit mindestens 500 Jahren. Unsere Widerstands- und Befreiungskämpfe gingen immer schon mit der weltweiten, von weißen verursachten und betriebenen Gewaltherrschaft einher. Diese Tatsache hat die weiß-deutsche Linke mittlerweile auch verstanden und versucht sich zu solidarisieren, wenn es sich beispielsweise um Klimagerechtigkeit oder um rassistische Politik auf europäischer Ebene handelt.
Doch der Kolonialismus zeigt sich nicht nur an den geraubten Gütern in deutschen Museen und der Zurschaustellung der Kultur von Schwarzen und Indigenen Menschen sowie People of Color, sondern auch im Sprachduktus über Antirassismus und dessen politischer Behandlung. Kolonial-rassistische Kontinuitäten ziehen sich auch in unserer Gegenwart noch durch Schulen, Sprache, Institutionen, Schönheitszuschreibungen, Politik, die eigenen Beziehungen und bis ins eigene Unbewusste. Vor diesem Hintergrund sind Reaktionen der deutschen Regierung und Gesellschaft auf Migration oft wenig überraschend: Der deutsche Migrationsdiskurs ist durchzogen von rassistischen Zuschreibungen wie »potentielle Vergewaltiger«, »Terroristen« und »Drogendealer« – um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber mit den Migrationswellen in der Geschichte der BRD, die verschiedene Diaspora-Identitäten und Narrative eröffneten, sind in Deutschland immer wieder auch neue antirassistische Debatten angestoßen worden. Durch diese Diskurse, in denen nun auch ab und an Betroffene zu Wort kommen, wurde und wird deutlich, wie viele verschiedene Generationen von Migrant_innen unter Rechtsextremismus, alltäglicher Ausgrenzung, rassistischer Polizeigewalt und Sanktionen durch Institutionen und Ämter leiden.
Selbstbezeichnungen als Befreiung
Vor dem Hintergrund dieses Leidens zeigt sich, warum Identitäten wie BIPoC wichtige Selbstbezeichnungen sind. Dies hat weniger mit Abgrenzung von einer weißen Gesellschaft zu tun, sondern mehr und primär mit einem Kampfbegriff, der sich gegen ein weißes und neo-koloniales Narrativ und gegen Spaltungsversuche durch Rassismus stellt – und das aktiv. Um sich überhaupt eine solche Identität aneignen zu können und zu dürfen, hat es jahrelange antirassistische kollektive Arbeit zum Beispiel im Kontext der Segregationsgesetze in den USA gebraucht. Es waren und sind Schwarze Menschen, die diese Bezeichnungen geprägt, etabliert und in den öffentlichen Diskurs getragen haben, um gegen koloniale Kontinuitäten und die Gewaltstrukturen von weißer Vorherrschaft und Unterdrückung zu kämpfen.
Um dies noch einmal deutlicher zu erklären: Was Rassismus mit uns als Gesellschaft macht, ist, dass er uns alle voneinander trennt und dazu beiträgt, uns in zwei entgegengesetzte Positionen zu bringen: eine der Herrschaft und eine des Unterdrücktwerdens. Dies wird zum Beispiel auch durch rassistische Zuschreibungen und Beleidigungen verfestigt: das N-Wort, das K-Wort, das Z-Wort und das F-Wort sind dabei Variationen der gleichen rassistischen Sprache. Privilegierte Positionen werden oft bis gar nicht benannt, da sie die Norm sind – und die Norm ist unsichtbar.
Doch wie alle Unterdrückungsformen funktioniert und existiert Rassismus nicht ohne die dominante weiße Position. »Bio-deutsch«, »Kartoffel«, »Alman« und »weiß« sind alles Begriffe, die dazu dienen, diese unsichtbare und gewaltsame Position zu benennen und ihre Konstruktion zu kritisieren. Sie sind dabei jedoch keinesfalls rassistische Beleidigungen, weil sie nicht aus einer strukturellen Machtposition heraus gesetzt werden, die unterdrückt und Menschen ausbeutet. Es sind Begriffe, die von BIPoC-Personen aus ihrer unterdrückten Perspektive heraus für die Bezeichnung weißer Menschen verwendet werden, um die Unterdrückung sprachlich sichtbar zu machen.
Entsprechend problematisch ist es, wenn weiße Menschen sich diese Begriffe aneignen. Denn sie versuchen damit die Umdeutung – in Form einer Entkräftung – von Begriffen, die nichts mit irgendeiner Form von Befreiung zu tun hat, und üben damit doppelte Gewalt aus: Sie nehmen BIPoC die Deutungshoheit über Begriffe, die im antirassistischenBefreiungskampf Bedeutung annehmen, und sie beanspruchen die Selbstermächtigung der Aneignung für sich, obwohl sie sich bereits in der mächtigeren Position befinden.
Wie wichtig die Prozesse der Aneignung hingegen für BIPoC sind, zeigt sich darin, dass Rassismus die Gesellschaft nicht nur hierarchisiert, sondern uns gemeinsam mit dem Kapitalismus und anderen Unterdrückungssystemen auch von uns selber trennt und damit einsam macht. Sich individuell einer Identität und einer Positionierung zu bekennen – sie sich anzueignen – ist daher ein langer, schmerzvoller aber auch befreiender Prozess, mit welchem sich BIPoC ihr ganzes Leben beschäftigen müssen. Während weiße Menschen, strukturell gesehen, meistens selbst entscheiden können, wer sie sein wollen, ohne Angst durch das Leben gehen und einen Aktivismus betreiben können, der für sie oft um ein Vielfaches ungefährlicher ist als für BIPoC, kämpfen viele (Post)Migrant_innen mit schwerwiegenden, alltäglichen Hindernissen. Der jahrelange Schmerz, die ständigen grenzüberschreitenden Gewalterfahrungen und die täglichen Mikroaggressionen führen zu Burnout und haben starke psychische Folgen.
Mich hat es befreit, mich zu anfangs als PoC, dann als Teil der BIPoC-Community, dann als Woman of Color, dann als asiatisch-deutsche Person und schlussendlich als asian zu bezeichnen und mich von Beleidigungen wie »Schl*tzauge« und »F**dschi« und Zuschreibungen wie süß, höflich, fleißig, unterwürfig, introvertiert und schüchtern zu entkoppeln. Für mich war es enorm wichtig, zu lernen und zu erkennen, dass Ich ganz allein entscheide, Wer und Was ich in dieser Welt bin.
Dadurch ist es mir möglich geworden, zu Teilen von mir zurückzukehren, die ich durch den erfahrenen Rassismus sehr tief verdrängen und von mir abgrenzen musste. Es ist eine Befreiung, die ich mir selbst zugestehe, um mich den alltäglichen Gewalterfahrungen, denen ich so oft machtlos unterworfen bin, zu entziehen. Gleichzeitig heißt meine Selbstbezeichnung auch, dass ich mich mit Menschen solidarisiere, die ähnliche Lebensrealitäten, Identitätskrisen und Perspektiven teilen. Indem wir uns über unsere Selbstbezeichnungen zusammenfinden, realisieren wir einen Empowerment-Ansatz, der aus früheren Generationen von Kämpfen Schwarzer, Indigener und People of Color stammt: Die sogenannten »BIPoC Safer Spaces«, sprich Schutzräume, in welchen marginalisierte Menschen ihre Erfahrungen in einer Mehrheitsgesellschaft untereinander teilen und Community Building betreiben können. In BIPoC-Räumen können wir gesehen werden, einander begegnen, gemeinsam heilen und widerständig werden. Wenn ich also sage: »Ich bin asian und finde mich im BIPoC-Begriff und dessen Community wieder«, dann zeige ich damit, dass meine Existenz politisch ist.
Drehen wir den Spieß mal um?!
Viele privilegierte und auch linke privilegierte Menschen kritisieren identitätspolitische Arbeit und werfen den Akteur_innen und marginalisierten Personen Abgrenzung und reaktionäre politische Positionen vor. Oft geht dies mit dem Argument einher, dass diese Form von Arbeit für gemeinsame Kämpfe hinderlich sei. Im Zuge dieser Kritik kommt es jedoch oft dazu, dass marginalisierte, BIPoC, (post)migrantische und FLINT*[2] Personen, die identitätspolitisch aktiv sind, aus weißen linken Räumen ausgeschlossen werden. Ich frage mich dann häufig: Sind dies nun »Almans only« oder »Kartoffel only« Räume, die weiße Deutsche empowern sollen? Denn manchmal kommt es mir so vor, als würden weiß-deutsche Menschen unreflektiert und unbewusst genau diese Räume schaffen, weil sie sich von BIPoC-Safer Spaces angegriffen und ausgeschlossen fühlen.
Etwas Ähnliches passiert, wenn weiße Personen hören oder lesen, wie BIPoC-Personen Wörter wie weiß, »bio-deutsch«, »Kartoffel« und »Alman« verwenden: Sie werden verlegen, rot, unsicher, schweigen, schauen weg und warten, bis der unangenehme Moment vorbei ist. Diese Mechanismen zeigen, dass weiße Menschen sehr ungern von ihrer privilegierten Bestimmungsposition ablassen: Kontrolle und Macht über den Rassismus-Diskurs und über die eigene weiße Identität soll zurückgewonnen werden. Es ist nämlich komisch für weiße privilegierte Menschen, wenn sie auf ihre privilegierte Positionen »reduziert werden«. Das Aufbauen einer weißen Kartoffel-Identität funktioniert hier also als unbewusster Abwehrmechanismus. Beispiele hierfür sind Momente, in denen weiße Menschen auf BIPoC treffen und versuchen, die Kartoffel-Bezeichnungen von BIPoCs zu entschärfen, indem sie selbst Witze über Almans vorwegnehmen oder sich untereinanderAlman-Memes hin- und herschicken, um mit »reflektierten« Insiderwitzen ihr eigenes Unbehagen zu bewältigen – sodass es sich beinahe wie Community Building anfühlt.
Dies ist jedoch mehr als fatal, weil mit einem »Alman«- und »Kartoffel«-Sein immer auch ein weißes Deutsch-Sein gemeint ist, dem sich die bezeichneten Personen nicht ironisch entziehen sollten. Denn weiß sein in Deutschland bedeutet in jedem Fall rassistisch sozialisiert worden zu sein – von Überbleibseln nationalsozialistischer Ideologie bis hin zum allgegenwärtigen Anti-Migrations-Diskurs. Deutsch-Sein als Identität – selbst als Kartoffel-Identität – klingt für mich daher unreflektiert, reaktionär und rechts. Und um hier noch einmal einen wichtigen Punkt zu betonen: Auch die weiße Linke, die vermeintlich einen antirassistischen Anspruch an sich stellt und sich klar gegen Faschist_innen und Neurechte positionieren möchte, darf von dieser Kritik nicht verschont bleiben.
Solidarität auf Augenhöhe lernen
Die weiße Linke ist also nicht weniger frei von der Reproduktion rassistischer Kontinutitäten, als es die Mehrheitsgesellschaft ist. Dass hinter dem Reflektieren von Privilegien mehr steckt, als zu Black Lives Matter–Demos zu gehen und anzuerkennen, dass es keinen Rassismus gegenüber weißen gibt, sollte mittlerweile Konsens sein. Deshalb müsste die weiße Linke auch verstehen, dass die Selbstbezeichnung als »Kartoffel« oder »Alman« einen nicht automatisch zu einer verbündeten Person macht. Denn dahinter steckt die Einbildung, man könne dadurch mit BIPoCs und (Post)Migrant_innen auf einer Augenhöhe reden und stehen, weil man sich ja schließlich darüber bewusst sei, eine Kartoffel oder ein Alman zu sein.
Weiße Menschen nehmen damit aber marginalisierten Personen erneut die Deutungshoheit über Bezeichnungen im antirassistischen Diskurs: Sie nehmen ihnen die Macht, selbst zu bestimmen, wie sie den Kampf gegen Rassismus führen wollen – und sie verschleiern ihre eigene Position als Unterdrücker_innen. Dabei sollten sie lernen, zurückzutreten, um marginalisierten Positionen Raum für ihre Stimmen, Sprache und Lebensrealitäten zu schaffen, anstatt sich diese erneut anzueignen. Viel zu oft schon zeigt sich weiß-Sein bereits dadurch, dass es als selbstverständlich angenommen wird, sich andere Kulturen anzueignen und sich jederzeit den Platz zu nehmen, den man gerade möchte (#kolonialeKontinuitäten).
Konsequenzen für dieses unterdrückende Verhalten müssen weiße Personen dabei nie wirklich tragen: Du, als weiße Person, kannst dich schwarz anmalen, kannst dir Dreads flechten oder sogar NS-Witze machen, und deine weißen Friends lachen mit dir darüber. Aber du bist nicht Teil von etwas, nur weil du dir erneut Identitätskonzepte von marginalisierten Gruppen aneignest. Hör auf, dem Unbehagen auszuweichen, das deine privilegierte Position mit sich bringt. Hör auf, dir die Kontrolle über Fremdbezeichnungen anzueignen. Weder »Alman« noch »Kartoffel« ist eine empowernde oder verbündende Selbstbezeichnung unter weißen – und sollte das auch nicht werden. Wenn ihr euch also als weiße Personen diese Begriffe aneignet, dann verschleiert und verneint ihr damit ihren Ursprung und die jahrelangen Kämpfe um Identitäten und für eine selbstbestimmte Gesellschaft.
Was weiße Menschen deshalb wirklich lernen sollten, ist, dass nicht jeder Begriff und jeder Raum für sie offen steht. Anstatt sich selbst ironisch als Kartoffeln zu bezeichnen, sollte die weiße Linke lernen, Begriffe wie BIPoC und Rassismus zu verwenden und rassistische Erfahrungen anerkennen. Sie sollte aufhören, BIPoCs ihre Begriffe und die damit einhergehende Emanzipation zu nehmen, sie sollte lernen, den Diskurs über Rassismus anderen Personen zu überlassen und anfangen, die unangenehmen Gefühle rund um die eigene Privilegiertheit auszuhalten. Das bedeutet, die eigene weiße Zerbrechlichkeit zurückzustecken, die eigenen Räume für nicht-weiße Personen zu öffnen, BIPoC nicht für ihren anti-rassistischen Umgang und ihre Schutzräume zu kritisieren, sondern ihnen stattdessen dabei zu helfen, solche Räume möglich zu machen. Und es bedeutet, Solidarität zu leben – nicht nur auf struktureller, sondern auch auf emotionaler und persönlicher Ebene.
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[1] BIPoC ist eine Selbstbezeichnung und bedeutet »Black, Indigenous, People of Color«.
[2] FLINT* ist eine Selbstbezeichnung und bedeutet »Frauen, Lesben, inter*, nonbinary*, trans* Personen«.