| von Tea Medar Collot |
Die Serie BoJack Horseman ist bekannt für ihren düsteren Humor und ihre grelle Zeichentrickästhetik. Dahinter verbergen sich jedoch Abgründe – und wer der Serie Zeit gibt, entdeckt diese bald auch in sich selbst.
»Man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch glücklich ist, ist im Plan der ›Schöpfung‹ nicht enthalten.«1 Der Vorwurf des Kulturpessimismus gegenüber Sigmund Freud ist nicht neu. So sei der Mensch von Grund auf zum Unglück verdammt – und das nicht bloß wegen der äußeren Umstände, denen er von Natur aus unterliegt, nein – das Unglück liege tief in ihm selbst begründet.
Raphael Bob-Waksbergs Serie BoJack Horseman lag von Anfang an eine ähnlich düstere Prämisse zugrunde: Sie porträtiert Himmel und Hölle des Menschseins so nuanciert, wie man sie von einer »Adult-Humor«-Zeichentrickserie in quietschbunter Aquarelloptik nicht erwarten würde. Der Einstieg, der uns noch verspielt und humorvoll in die anthropomorphe Tier-Menschenwelt eines alternativen Hollywoods einführt, mündet langsam, aber unaufhaltsam in ein Unbehagen, das sich durch die gesamte Serie zieht. Die erste Staffel wirkt dabei in der Umsetzung vielleicht noch unbeholfen und ist uns als Zuschauer_innen vergleichsweise bekömmlich. Dennoch beherrscht sie die Grundlagen ihres erzählerischen Handwerks und deutet die tiefschürfenden Konflikte – und zum Teil auch die Abgründe, die sich im weiteren Verlauf der Serie auftun werden – im Ursprung bereits an.
Sechs Staffeln lang erzählt die Serie von ihrem namensgebenden Protagonisten, dem alkoholkranken, depressiven Pferd und ehemaligen Sitcom-Star BoJack Horseman, und seiner durch und durch destruktiven Suche nach etwas, das seiner verqueren Vorstellung von »Glück« entsprechen könnte. Der charakteristische Balanceakt der Serie zwischen abstrusem Witz, verspielter Illustration und nahendem Abgrund gelingt ihr allerspätestens ab der dritten Staffel so gekonnt, dass es den Zuschauer_innen geradezu verunmöglicht wird, sie nicht weiterzuverfolgen. Die einzige Voraussetzung, welche an dieser Stelle auch als eindeutige Triggerwarnung2 für die gesamte Serie verstanden werden sollte, lautet: Man sollte sich psychisch in der Lage fühlen, die massiv traumatischen Erzählungen auszuhalten. Denn BoJack ist nicht nur ein Pferd, das an seinem eigenen Trauma nagt, sondern auch eines, das massiv Leiden bei anderen verursacht – und das oftmals im vollen Bewusstsein darüber, was es anrichtet.
Zauber der Illusion
Das Ich benötigt Bewältigungsstragien – und das bereits als Kind. Mit großen Augen sitzt der zehnjährige BoJack vor dem Fernseher und verfolgt ein Interview mit seinem großen Idol, dem Rennpferd Secretariat. Er rutscht immer näher an den Fernseher heran, dreht die Lautstärke weiter hoch – auch, um seine streitenden Eltern zu übertönen. Bei der Fanpost, die seinem Idol während des Interviews vorgelesen wird, handelt es sich um einen Brief von BoJack selbst. Die Frage, mit der er sich an sein Idol wendet, ist offensichtlich eine, auf die er von beiden seiner Elternteile noch nie eine richtige Antwort erhalten hat. Er fragt, was er denn tun solle, wenn er traurig ist. Durch den Fernseher hindurch rät ihm Secretariat: »BoJack, when you get sad, you run straight ahead and you keep running forward, no matter what. […] Don’t you stop running and don’t you ever look behind you. There’s nothing for you behind you. All that exists is what’s ahead.«
Diesen Rat nimmt sich BoJack zu Herzen. Seine Bewältigungsstrategie gestaltet sich als Flucht in die Welt der Unterhaltungsindustrie. Nach den ersten mäßig erfolgreichen Versuchen als Stand-Up-Comedian gelingt ihm der große Durchbruch als Schauspieler: Er bekommt die Hauptrolle in der durchschlagend erfolgreichen Sitcom »Horsin‘ Around«. Und mit einem Schlag findet BoJack genau das, wonach er sich ein Leben lang sehnte: die große Unabhängigkeit, eine Abkehr vom Elternhaus, die Zuneigung eines Millionenpublikums und – in seiner Crew – sogar eine Art Sitcom-Ersatzfamilie. In seiner Flucht ist er der kindlichen Ohnmacht entkommen und hat sich sein gänzlich eigenes Traumleben geschaffen. Oder, um die Illusion zu zerstören: Was hinter ihm liegt, wovor er geflüchtet ist – die Mutter, die ihn aufgrund ihres eigenen Traumas nicht lieben konnte; der Vater, der nie für ihn da war – hat er gnadenlos verdrängt.
Die Ersatzfamilie kommt ihm wie gelegen. Als ideologisch zurechtgestutztes Abziehbild funktioniert sie als Projektionsfläche für sein unerfülltes Bedürfnis nach familiärer Zuneigung. Von Folge zu Folge flüchtet er sich in die zwanzigminütige Sitcom-Lüge vor Live-Publikum – eine Lüge mit Feel-Good-Versicherung fürs Herz, nach der die Zuschauer_innen applaudieren, um daraufhin zu ihren eigenen, komplett dysfunktionalen Familien zurückzukehren. Es ist eine Lüge, die BoJack selber glaubt: Dass es immer ein Happy End gibt, dass auf schlechte Taten keine Konsequenzen folgen, wenn er sich am Ende nur oft genug entschuldigt und von den Menschen um sich herum geliebt wird. Es ist eine Lüge, die er verinnerlicht.
BoJacks Bühne funktioniert für ihn als Sprungbrett in die Entfremdung – sein durch und durch falsches Verständnis davon, was Liebe und Zuneigung bedeuten, weil er sie als junges Pferd nie erfahren hat, äußert sich nicht zuletzt darin, dass er jedes Mitglied seiner Ersatzfamilie rücksichtslos und von Grund auf schlecht behandelt. Er tut nichts, als sein Freund Herb wegen seiner Homosexualität aus der Show geschmissen wird. Auch den Rauswurf seiner Stylistin, welcher fälschlicherweise ein Fehler unterstellt wird, den in Wirklichkeit BoJack beging, verhindert er nicht. Doch die Illusion hält. Zu leicht zu betäuben sind die Gewissensbisse: durch Alkohol, Affären und den dröhnenden Rausch des Ruhms. Die Lust wiegt schwerer, denn er ist ein Star, alle lieben ihn. Und das Trauma pocht leise. Er kann es nicht hören.
Ein reines Lust-Ich
Zu Beginn der Serie, 14 Jahre nach dem Ende von »Horsin‘ Around«, fristet der ehemalige Sitcom-Star seinen traurigen Alltag in seiner Hollywood-Villa nach einem Schema, wie es uns Freud 1930 bereits im Unbehagen der Kultur schilderte. Er pendelt von Befriedigung zu Befriedigung, sucht Ablenkung, Rausch – drei von Freud definierte Vermeidungsstrategien – im elendigen Versuch, seiner Depression zu entkommen. Als Zuschauer_innen fällt es uns zunächst schwer, die eigentliche Tiefe unter seiner Oberfläche – eine vulgäre Personifizierung des Freudschen Lust-Ichs – zu fassen. Nach und nach werden uns die wichtigsten Charaktere der Serie vorgestellt: sein bester Freund und Mitbewohner Todd, seine Agentin und Ex-Partnerin Princess Carolyn, sein Erz-Rivale Mr. Peanutbutter und schlussendlich die Autorin seiner Biographie und spätere beste Freundin Diane Nguyen, welche im Verlauf zur wichtigsten Konstanten in seinem Leben (und zur personifizierten Stimme der Vernunft) avancieren wird. Als verkorkster Egomane voller toxischer Verhaltensweisen, die sich über die Jahre in ihn eingebrannt haben, wird BoJack es schaffen, jeden einzelnen dieser Menschen auf die vielfältigsten Arten und Weisen zu enttäuschen.
Pferde sind Fluchttiere. Bei potentieller Gefahr versuchen sie also, dieser schnellstmöglich zu entkommen. Jahrelang entwickelt BoJack hierbei seine eigene Form von Fluchtverhalten, gerät jedes Mal aufs Neue in einen Teufelskreis der Selbst-Sabotage, gründend auf seinem verinnerlichten Selbsthass. Wird ihm Zuneigung entgegengebracht, stößt er alles und jede_n brutal von sich weg, sabotiert teils bewusst, teils unbewusst sämtliche Beziehungen, da er der Überzeugung ist, dieser Zuneigung überhaupt nicht wert zu sein. Gleichzeitig distanziert er sich von jeglichem Fehlverhalten, »entschuldigt« und rechtfertigt sich für seine »Ausrutscher«, die doch gar nicht sein »wahres, gutes Ich« reflektieren – nämlich sein innerstes Bedürfnis danach, ein guter Mensch zu sein. Ein Bedürfnis, das immer wieder mit dem nagenden Selbsthass in Konflikt gerät, welchen er durch seine sich ständig wiederholenden Fehler nährt.
Die »Ausrutscher« und Fehltritte, die sich BoJack wieder und wieder erlauben kann, weil er als reicher, männlicher Hollywood-Star in einer oberflächlichen Schein-Welt nie wirkliche Konsequenzen zu befürchten hat, wandeln sich im Verlauf der Serie zu immer abscheulicheren Verbrechen an den Menschen um ihn herum, die auch für uns Zuschauer_innen zunehmend schwer zu ertragen werden. Dabei sind es die Frauen in BoJacks Leben, die am meisten unter seinem Fehlverhalten leiden. Eine wochenlange Drogentour, auf die er seine ehemalige Sitcom-Tochter Sarah Lynn mitnimmt, kostet diese schlussendlich das Leben. Zahllose, namenlose Frauen werden von ihm wie Objekte behandelt, die er nach dem Sex von sich wegstoßen kann. Der Horror geht so weit, dass er sich fast an einer Minderjährigen vergeht – der Tochter einer ehemaligen Freundin.
BoJack ist ein Meister darin, seine Gräueltaten zu verdrängen. Sein gesamtes Umfeld – und auch wir als Zuschauer_innen, die ihn ständig begleiten – erfährt bis zum Ende der Serie nicht, wie sehr er letztendlich an Sarah Lynns Tod beteiligt war. Wie gewalttätig sich ein Trauma jedoch entladen kann, wenn es über die Jahre vor sich hin pocht, und wie viele Menschen von ihm mitgerissen werden können, zeigt uns die Serie in ihrem vollen, brutalsten Ausmaß. Je weiter es nach unten gezwängt wird, desto lauter wird es, ungeduldig – in der Gefahr, irgendwann zu explodieren. Und spätestens wenn der Abgrund sich auftut und droht, andere in sich hineinzureißen, ist es Zeit, Verantwortung zu übernehmen. Oder wie BoJacks bester Freund Todd ihm entgegnet: »You are all the things that are wrong with you. […] It‘s you! Alright? It‘s you. Fuck man, what else is there to say?«
Reinszenierung des Traumas
In der fünften Staffel verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Einbildung. Indem BoJack den problematischen Protagonisten Philbert in der gleichnamigen Serie spielt, dessen inneres Hadern mit sich selbst und den Verbrechen seiner Vergangenheit ihn langsam aber sicher wahnsinnig werden lässt, verliert BoJack zunehmend das Vertrauen in seine eigene Wahrnehmung. Die Serie liefert hier quasi einen Meta-Kommentar zu sich selbst und ihrer Rezeption, indem BoJack als Philbert den großen, leidgeplagten Anti-Helden spielt, welcher von den Zuschauer_innen dafür verehrt wird, dass er so nahbar, fehlerhaft und relatable ist. Die Produzent_innen der Serie BoJack Horseman reflektieren dabei ihre bisherige Darstellung des Charakters, um einer Rezeption entgegenzuwirken, die BoJack als sympathischen und klugen Anti-Helden versteht, der bloß als Spielball seines Traumas agiert. Seine beste Freundin Diane, die an »Philbert« mitgeschrieben und der Figur erst zu ihrer charakterlichen Tiefe verholfen hat, kritisiert die Serie nach der Veröffentlichung aufs Schärfste und verweigert von nun an jegliche Zusammenarbeit. Sie distanziert sich von der Verherrlichung des Charakters und gerät in einen Streit mit BoJack, in dem sie von ihm einfordert, in seinem eigenen Leben einmal Verantwortung für sein desaströses Handeln zu übernehmen.
Die fünfte Staffel veranschaulicht hier besonders gut, warum die Erzählstruktur der Serie so außergewöhnlich ist. Sie orientiert sich nämlich – weit entfernt von jenem statischen Sitcom-Standard, der die animierte US-Serienlandschaft dominiert – Staffel um Staffel an der Struktur einer klassischen Tragödie. Beginnend mit einer Exposition, die uns die Ausgangssituation vorstellt, kommt es in den darauffolgenden Episoden zur Steigerung: Wir werden in die Geschichte(-n) eingeführt, das Tempo nimmt zu, Konflikte deuten sich an. In der Mitte der Staffel gelangen wir zum Höhepunkt: Ein Autounfall und seine Konsequenzen machen BoJack zusätzlich zu seiner Alkoholsucht auch noch opiatabhängig. Dieser Punkt markiert den Anfang vom Ende seines Lebensstils der Verdrängung.
Das folgende Geschehen ist von einer Verzögerung bestimmt: Die Handlung fällt, das Tempo nimmt ab, BoJack hält in der wohl ungewöhnlichsten – und der dem Theater wohl am verwandtesten – Folge der Serie einen zwanzigminütigen Monolog bei der Beerdigung seiner Mutter, sucht sich danach sogar therapeutische Unterstützung. Und wenn wir im Grunde bereits wissen, dass die Katastrophe sich ereignen wird, verfallen auch wir genau der Lüge, die sich BoJack immer wieder selbst erzählt: dass sich am Ende vielleicht doch noch alles zum Guten wendet. Aber die Katastrophe ist unabwendbar. In der vorletzten Episode verfällt BoJack schließlich einer Drogenpsychose und findet sich am Set von »Philbert« kurz davor, seine Partnerin Gina während einer Mordszene zu erwürgen. Im letzten Augenblick schreitet die Crew ein.
Am Gegenstand des dramenähnlichen Narrativs lässt sich zudem eine weitere Brücke zu Freud schlagen. 1897 gab dieser nach 15 Jahren Berufspraxis in einem Brief an seinen Freund Wilhelm Fließ schließlich zu, nicht eine_n einzige_n Patient_in geheilt zu haben. Er erkannte »dass das Unbewusste niemals den Widerstand des Bewussten überwindet, […] dass in der tiefergehenden Psychose die unbewusste Erinnerung nicht durchdringt, sodass das Geheimnis der Jugenderlebnisse auch im verworrensten Delirium sich nicht verrät.«3 Diese Entdeckung markiert eine radikale Zäsur in seinem Denken: Mit der Entdeckung der Relevanz von Erzählungen – denn bei den Geschichten von Freuds Patient_innen handelte es sich nie um etwas anderes – trat ein Stück Literatur ein in die Praxis der Psychoanalyse.
An die genaueste, wahrhafteste Version eines Geschehens kommen wir kaum heran – es ist höchst zweifelhaft, ob diese in einer Art »Reinform« überhaupt existiert. Aber den Patient_innen sei es zumindest möglich, auf der Couch der Analytiker_innen ihre »eigenen untergegangenen Geschichten zu reinszenieren«4, wie der Philosoph Klaus Theweleit es formuliert. Sigmund Freuds 1899 erschiene Traumdeutung wird von Theweleit demnach auch als erstes Buch mit dem Genre Theorie-Roman bezeichnet. Und so deutet dieser weiter: »Literatur ist Traum beziehungsweise Tagtraum, geträumt in einem Bett von Fakten.« Die Literatur, das Drama, die Kunst – sie alle machen es uns zu einem gewissen Grad erst möglich, so weit in uns hineinzureichen, dass mithilfe der Fiktion ein Stück Wahrheit artikulierbar wird.
The View From Halfway Down
Die vorletzte Episode trägt den Titel The View From Halfway Down und handelt von einer traumartigen, stark symbolhaft aufgeladenen Nahtoderfahrung nach einem Suizidversuch BoJacks und ist damit der offensichtlichste Bezug zum Unbewussten. Lisa Hanawalt, Mitproduzentin der Serie, auf deren Zeichnungen die Illustration der animierten Tierwelt ursprünglich beruht, bezeichnet ihren Stil als stark an ihren eigenen Traumbildern orientiert. Es handelt sich beim Traumähnlichen also gleichzeitig um ein fantastisches Element, das sich durch die gesamte Serie zieht. Doch die Symbolkraft der Illustration äußert sich in keiner Folge so deutlich wie in The View From Halfway Down.
Zusammen mit all jenen Charakteren, mit deren Tod er sich im Verlauf seines Lebens abfinden musste, findet sich BoJack in einer traumartigen Sequenz wieder. Hierbei nimmt BoJacks Vater die Gestalt seines Kindheitsidols Secretariat ein, worin die Freudsche Annahme Ausdruck findet, dass die Vaterfigur im Traum oftmals durch eine Autoritätsfigur verkörpert wird. Bereits am Ort des Geschehens, der eine Mischung aus BoJacks altem Elternhaus und dem Set von »Horsin‘ Around« darstellt, werden die merkwürdigen Verzerrungen deutlich, die für Traumgebilde charakteristisch sind. Das Innere ist gespickt von Gemälden, die verschiedene Lebensphasen BoJacks darstellen: Ein Gemälde, das zuvor in seiner Villa hing und auf dem wir ihn schwimmen sehen können, stellt dar, wie er sich selbst beim Ertrinken beobachtet. Bis zum Ende der Episode ist ihm nicht bewusst, dass es sich hierbei um eine offensichtliche Vorausdeutung handelt: nämlich dass er kurz vor sinem Tod steht und es sich gerade um das letzte Mal handeln könnte, dass sein Bewusstsein um ihn kämpft.
In dieser Episode finden wir eine sinnbildliche Verkörperung des Unbehagens, das sich zunehmend durch die gesamte Serie zieht und die gleichzeitig den nahenden Tod darstellt: eine teerartige Substanz, welche zu Beginn leise tropfend, schlussendlich aber alles verschlingend BoJack durch seine Nahtoderfahrung verfolgt. Auch wir als Zuschauer_innen wissen nicht, ob es sich um das letzte Mal handeln könnte, dass wir unseren Protagonisten durch sein innerstes Hadern begleiten: durch den tiefschürfenden Konflikt, ob er letztlich ein guter Mensch gewesen sei. Diese existentielle Frage wird von den verstorbenen Gästen debattiert, die sich an einem Esstisch versammelt haben, um ihre letzte Mahlzeit zu sich zu nehmen. Da es sich hierbei aber immer noch um BoJacks Nahtoderfahrung handelt, ist es letztlich nur eine Übertragung seiner eigenen Perspektiven auf die Verstorbenen. Diese Übertragung äußert sich in keinem Abschnitt bildlicher als in der Bühnenperformance, welche die verstorbenen Charaktere auf das Dinner folgend für BoJack arrangiert haben.
»Life is a neverending show, old sport, except the minor detail that it ends«, beginnt seine Sitcom-Tochter Sarah Lynn ihr Stück, und springt am Ende durch eine geöffnete Tür in einen schwarzen Abgrund. Und so folgen ihr alle weiteren Charaktere. In einem letzten, krampfhaften Versuch, sich vor dem Tod zu retten, schreit Secretariat von der Bühne: »I wish I could have known about the view from halfway down«. Sekunden später verschlingt die Tür auch ihn. Während BoJacks darauffolgender Flucht vor der todbringenden Substanz gelingt es ihm, seine beste Freundin Diane anzurufen und sie um Hilfe zu bitten. Doch diese berichtet ihm bloß davon, was kurz vor seinem Suizid mit ihm geschah: Dass sie seinen Anruf nicht beantworten konnte, bevor er sich wieder ins Wasser stürzte. BoJack dämmert langsam, dass er womöglich nie wieder aufwachen wird. Während der Teer dabei ist, ihn zu verschlingen, findet er seinen Frieden letztlich in einer ihm vollkommen unähnlichen Frage: Er fragt Diane, wie ihr Tag gelaufen ist.
Versuch einer Heilung?
Man könnte das Ende von BoJack Horseman als antiklimaktisch bezeichnen: Er überlebt, wird schlussendlich – im üblichen Zynismus der Serie – für eine Nichtigkeit verurteilt und landet für zwei Jahre im Gefängnis. Als er an einem Tag Freigang erhält, führt er letzte Gespräche mit seinen ehemaligen Freund_innen. Es wird deutlich, dass diese sich mittlerweile stark von BoJack und seiner Toxizität distanziert haben. Mit diesem Ende werden wir vor ungelöste Konflikte gestellt: Letztlich wissen wir nichts darüber, was mit BoJack passieren oder in welche Richtung er sich nun entwickeln wird. Und streng genommen war genau das von Vornherein klar. Denn die Serie hatte nie vor, uns vor ein Happy End oder überhaupt in irgendeiner Form vor vollendete Tatsachen zu stellen.
Weder BoJack Horseman noch Freuds Theorien nehmen uns an die Hand und versichern uns, dass alles wieder gut wird. Der Freud vorgeworfene Kulturpessimismus findet in seinem positivistischen Verständnis der Psychoanalyse als einer Art »Grundwissenschaft« durchaus seine Berechtigung. Und auch der gnadenlose Sexismus Freuds, der jahrelang fragwürdige bis übergriffige Behandlungen an seinen Patient_innen durchführte und zum Teil auch zu ihrer Traumatisierung beitrug, muss hier Erwähnung finden. Die Theorie des »Penisneides«, wie Freud ihn Frauen in seiner »Grundwissenschaft« attestiert, muss kritisiert und verworfen werden, da er nicht historisch und ohne klar definierten Begriff von Gesellschaft arbeitet. Hierfür müssten historische Tatsachen wie eben die Existenz eines Patriarchats analysiert und kritisiert werden, anstatt essenzialisierend einen »Penisneid« im Frau-Sein selbst zu verorten. Einen Versuch, Freuds Kulturtheorie in der Tradition des historischen Materialismus zu deuten und damit auf die Historizität – und somit auch auf die Veränderbarkeit – von Kultur hinzuweisen, liefert z.B. Herbert Marcuse in seinem Werk Triebstruktur und Gesellschaft. Durch diese kritischen Annäherungen an Freud eröffnen sich Möglichkeiten, die weit über ihn hinausgehen. Und genau hier kommt auch BoJack Horseman ins Spiel.
Die Serie möchte uns nicht dazu bringen, ihrem Protagonisten seine Verbrechen zu verzeihen. Das Zeichnen menschlicher Abgründe ist ihre größte Stärke – und das vor allem, weil sie letzten Endes immer auf die Möglichkeit zur Veränderung hinweist. Es sind Geschichten von Traumata, die wir, bei allem Ziehen und Zerren, nie gänzlich zu greifen bekommen. Denn der Blick ins Innere ist markerschütternd. Genau wie das Trauma ist auch das Unbehagen ein Ort, den Worte kaum fassen können – diesen Ort umkreist die Serie immer intensiver, Staffel um Staffel.
Und doch lässt sich feststellen, dass dieses Trauma nie das Ende bedeutet: Denn auf die vorletzte Episode 11 – die Katastrophe – folgt Episode 12, die nie auf einen endgültigen Schluss, sondern (zumindest als Möglichkeit) in Richtung einer neuen, selbstbestimmten Zukunft weist. Wie diese Zukunft aussehen mag und welche Konsequenzen gezogen werden müssen, das bleibt den Zuschauer_innen selbst überlassen. In einer Welt, die uns aufgrund aller vorherrschenden Zwänge unvermeidbar traumatisieren wird, eröffnen sich gleichzeitig Handlungsmöglichkeiten: zum Beispiel in der Therapie, in politischer Organisation oder im Aufbau von tragenden Beziehungen. Ein optimistischer Blick in die Zukunft kann nicht darin bestehen, zu hoffen, dass das Trauma irgendwann verschwindet, oder dass wir es gänzlich ausgetrieben bekommen. Geschichte lässt sich nicht umschreiben. Man muss den Versuch unternehmen, sie zu verstehen, um ihren weiteren Verlauf in die Hand nehmen zu können. Oder wie unser Vorzeige-Pessimist Freud es selbst formulierte: »Das Programm […] glücklich zu werden, ist nicht zu erfüllen, doch darf man – nein, kann man – die Bemühungen, es irgendwie der Erfüllung näherzubringen, nicht aufgeben.«5
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1 Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt am Main 1994, S. 42.
2 Triggerwarnung: Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Depression, Psychose, Suizid, sexueller Missbrauch Minderjähriger, grafische Darstellung eines (beinahen) Mordes, grafische Darstellung einer Nahtoderfahrung.
3 Sigmund Freud, zitiert nach: Klaus Theweleit: absolute(ly). Sigmund Freud Songbook. Freiburg 2006, S. 57.
4 Ebd., S. 58.
5 Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Frankfurt am Main 1994, S. 50.