Von Max Köhler
Die Gewerkschaften ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) und GEW (Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft) planen für die kommenden Semester neue Verhandlungen über den Berliner Tarifvertrag für studentische Beschäftigte II (TV Stud II) aufzunehmen. Die letzten Verhandlungen zur Erneuerung des Vertrags scheiterten 2011 an der Kampfunwilligkeit der Betroffenen: der studentischen Beschäftigten. Dabei sind sie mit rund 6.000 eigentlich nicht wenige, die einInteresse an der Verbesserung der eigenen Arbeits- und damit Lebensbedingungen haben müssten. Woher also diese Indifferenz gegenüber den eigenen grundlegenden materiellen Verhältnissen – wo man doch „die Student_innen“ andauernd über steigende Mieten, Wohnraummangel, Stress, Überlastung und sonstige Widrigkeiten in Studium und Nebenjob jammern hört?
Neben vielen anderen Gründen, wie der allgemeinen Schwäche emanzipatorischer Bestrebungen heute, vor allem in der Bundesrepublik, scheint der Erfahrungsverlust durch Geschichtsvergessenheit vorrangig. Geschichtsvergessenheit ist ein Phänomen, welches das Kapital strukturell produziert und das keineswegs bloß eine Bewusstseinsschwäche, sondern ein falsches Verhältnis zur Welt ist. Denn wie wir seit Hegel wissen, sind die gegenwärtigen Dinge vor allem das, was sie geworden sind. Fehlt das Wissen um die Entwicklung einer Sache, ist ihre Erkenntnis unvollständig. Vor Geschichtsvergessenheit sind auch diejenigen nicht gewahrt, von denen man meint, sie wären am gebildetsten: Studierende und Studierte. Der enorme Aufwand, der nötig ist, um die Absurditäten des akademischen Betriebs zu durchschauen und gegenüber seinen Anforderungen zu bestehen, verhindert es ziemlich effektiv, sich über dessen (Un)Sinn und Geschichte den Kopf zu zerbrechen. Die ungeheure Steigerung des Arbeitsaufwands im Studium und dessen Zerstückelung in zusammenhanglose Module, die die Bologna-Reform 2006 erzeugte, haben die Bedingungen für kritische Reflexion weiter gezielt zerstört. So verwundert es nicht, dass die meisten der studentischen Beschäftigten in Berlin die Standards des geltenden Tarifvertrags als Selbstverständlichkeit betrachten und dessen 10,98 € Stundenlohn angesichts der frisch eingeführten Lachnummer eines Mindestlohns gar als gnädige Gabe der Politik.
Hier mag es helfen, die Entwicklung des Berliner Tarifvertrages nachzuzeichnen, um einige Schlüsse für die anstehenden Kämpfe ziehen zu können. Dieser Rückblick soll zweierlei verdeutlichen:
Erstens ist das „Geschenk“ des Berliner Tarifvertrages weder vom Himmel gefallen noch eine Freundlichekeit des Staates (oder des Senats respektive der Universitätsleitung). Der Vertrag wurde in Arbeitskämpfen, die maßgeblich von Student_innen geführt wurden, denjenigen abgerungen, die man viel zu lange schon und viel zu gerne als Arbeitgeber_innen anspricht, wobei sie doch die Arbeit ihrer Angestellten anwenden, also nehmen – in diesem Falle dem Staat.
Zweitens zerfällt dieses Geschenk langsam; präziser müsste man sagen, dass die Berliner Regierung es Stück für Stück zerbricht. Bei den Betroffenen scheint dies weitestgehend unbemerkt zu bleiben, jedenfalls erzeugt es keine sonderlich große Gegenwehr. Dabei ist es wahrscheinlich, dass der Tarifvertrag entweder teils oder ganz von den Universitätsleitungen aufgelöst wird, wenn ein Kampf um seine Erneuerung und Verbesserung ausbleibt.
Es gilt also: „Die akademische, künstlerische, organische und sonstige Intelligenz Tag und Nacht nerven, bis sie wenigstens gewerkschaftliches Bewußtsein entwickelt, also endlich in den Kampf ums Einbehalten oder Zurückholen gestohlener Lebens- und Arbeitszeit eintritt, den weniger luftige Berufsgruppen seit 150 Jahren führen.“ (Dietmar Dath)
Der erste (und einzige) Tarifvertrag für studentische Beschäftigte in der BRD
Der Berliner Tarifvertrag für studentische Beschäftigte stellt bundesweit eine Einmaligkeit dar: in keinem anderen Bundesland sind die Arbeitsbedingungen (Löhne, Mindestvertragslaufzeit, Urlaubsgeld etc.) der studentischen Beschäftigten tariflich festgeschrieben. Die einzige Regelung außerhalb Berlins ist eine Richtlinie der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, die Höchstsätze (!) für studentische Beschäftigte festlegt. Bis zur Einführung des Mindestlohns war deren Unterbietung in keiner Weise eingeschränkt.
Die Geschichte des Berliner Tarifvertrags ist nicht ohne diejenige des sogenannten Berliner Tutorienmodells zu denken. In den 50er und 60er Jahren waren aufgrund der sich ändernden organischen Zusammensetzung des Kapitals die westlichen Industriegesellschaften in einem Umbruch begriffen, den wir aus heutiger Sicht als den zu Dienstleistungsgesellschaften erkennen können. Damit ging ein Übergang einher von dem der Fabrik entlehnten Disziplinarregime hin zu einem am Unternehmen orientierten Kontrollregime und einer Verwissenschaftlichung der Produktion. Das änderte auch maßgeblich die Funktion und klassenspezifische Zusammensetzung der Universitäten. Das neue Phänomen der Massenuniversität bedeutete, dass sich diese Ausbildungsstätten von den elitären für höhere Staatsbeamte und Funktionäre des Bürgertums in die scheinbar offeneren von Kleinbürger_innen und Bürger_innen verwandelten, die zu späteren leitenden oder mittleren Angestellten oder Beamten ausgebildet wurden.
Als Reaktion auf diesen Umbruch in der inneren Struktur der Universität und als Antwort auf die Forderungen der Student_innenrevolte wurde 1969 eine umfassende Universitätsreform eingeleitet. Die Vorherrschaft der Ordinarien sollte zugunsten einer selbstbestimmten Ausbildung gebrochen, die Einschränkung des Zugangs zu den Bildungsstätten für eine Elite durch Chancengleichheit (über Abitur und Examen) ersetzt werden. Im Zuge dieser Reformen gelang es den studentischen Beschäftigten in Berlin, eigene Personalräte durchzusetzen, die die Belange der Beschäftigten ähnlich wie ein Betriebsrat vertreten. Auch das stellt, neben dem Tarifvertrag, bis heute bundesweit eine Ausnahme dar, denn in den restlichen Bundesländern sind die studentischen Beschäftigten entweder explizit von der gesetzlichen Personalvertretung ausgeschlossen oder ihr Mitbestimmungsrecht ist gravierend eingeschränkt.
Zumindest in West-Berlin wurde das Tutorienmodell im Laufe der 60er und 70er Jahre an allen Universitäten eingeführt. Grundprinzip von Tutorien ist, dass qualifizierte Student_innen andere Student_innen in Kleingruppen ausbilden. Dabei geht es vornehmlich um die Einführung der Studienanfänger_innen in die verwirrende Struktur der universitären Einrichtungen, das Erlernen des wissenschaftlichen Jargons und die Vertiefung der Stoffe und Methoden von Lehrveranstaltungen regulärer wissenschaftlicher Mitarbeiter_innen. Darüber hinaus gab es aber auch Tutorien, die nicht an die vorgegebenen Lehrpläne gebunden waren und in denen die Inhalte und Methoden frei gewählt wurden und die gemeinsame Arbeit selbstbestimmt ablief. Heute gibt es diese noch an der HU unter dem Namen Projekttutorien. An der FU wurden sie 2002 abgeschafft.
Die Einführung von Tutorien nach dem Berliner Modell an den übrigen westdeutschen Universitäten wurde vom Kapital, beispielsweise der Ford Foundation und der Stiftung Volkswagenwerk mit Millionenbeträgen und von staatlicher Seite über Richtlinien der Kultusministerkonferenz unterstützt. Dies lässt auf die Wichtigkeit dieser Ausbildungsform für die neuen Anforderungen in der Mehrwertproduktion schließen. Teamfähigkeit, selbstständiges und aktives Arbeiten, Leistungssteigerung durch Identifikation mit der Arbeit, flache Hierarchien, die alle gleichmäßig am Produktionsprozess beteiligen (keinesfalls jedoch an den Produktionsmitteln), Kreativität, ständige, experimentell-gestützte Neuausrichtung von Methoden, Abläufen, Organisationsformen, Networking in den Kleingruppen etc. pp. – die Forderungen der Student_innenbewegung wurden hier in einer Weise umgesetzt, die die kapitalistische Produktionsweise nicht wie beabsichtigt sprengte, sondern im Gegenteil nur ihre immanente Erneuerung zur post-fordistischen, heute als neoliberal bekannten, herbeiführte. Dass das Tutor_innenmodell einer Produktionsweise wie die Faust aufs Auge passt, die stärker als ihre vorhergehenden auf der permanenten Revolution der Arbeitsprozesse (im ideologischen Neusprech: Flexibilität) fußt, verdeutlichen die Aussagen der Präsidenten der FU und TU nach mehrjähriger Erfahrung.
,,Das Tutorenprogramm dient der ständigen Hochschulreform durch Erprobung und Entwicklung neuer Strukturen, Organisationsformen, Lehrmodelle und Ausbildungsgänge in Kooperation aller am Lernprozess Beteiligten. Ziel der Tutorenarbeit ist es, die Ausbildung der Studenten zu selbständigem, kritischem Denken durch wissenschaftliches Arbeiten zu fördern. Sie liegt also nicht darin, durch bloß organisatorische Maßnahmen die Relation von Lehrpersonal und Studenten zu verbessern.“ (Rolf Kreibich, bis 1977 Präsident der FU, Vorlage zur Beschlussfassung für die 167. Sitzung des Kuratoriums der FU Berlin am 14.2.1972).
,,Die Einführung des studentischen Tutors ist vielleicht die wichtigste strukturelle Änderung im Bereich der Lehre seit dem Kriege. Sie hat sich allgemein durchgesetzt und ist insbesondere in den Massenfächern aus dem Universitätsalltag nicht mehr wegzudenken. Die inzwischen ebenfalls weitgehend anerkannte Schwerpunktverlagerung von der großen Vorlesung zur Arbeit in kleinen Gruppen wäre ohne den Einsatz studentischer Tutoren nicht möglich gewesen und wird auch in Zukunft selbst bei noch so großzügiger Erweiterung des hauptberuflichen Lehrkörpers anders nicht möglich sein.“ (Alexander Wittkowsky, bis 1977 Präsident der TU; Tutorenbericht, 15.9.1972)
Mit der flächendeckenden Einführung von Tutorien an den Berliner Universitäten verwandelten sich diese für immer mehr Student_innen von reinen Ausbildungsstätten zu Arbeitsstätten, in denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Über die 70er Jahre hinweg waren die Arbeitsbedingungen dieser neuen studentischen Beschäftigten den Angriffen der Berliner Regierung ausgesetzt, die die Resultate der wenigen progressiven Reformen wieder einzudämmen suchte.
So wurde die relative Autonomie der studentischen Beschäftigten von Professor_innen 1974 durch das Berliner Hochschulgesetz eliminiert, das den Fachbereichsräten das Vorschlagsrecht bei der Einstellung entzog. Ausschreibung und Vergabe von Stellen verlaufen also wieder neofeudal über die Autorität der Professor_innen, wenn auch die Personalräte der studentischen Beschäftigten ein Auge darauf haben dürfen. Mit seinem Amtsantritt als Senator für Wissenschaft und Kunst 1975 legte SPD-Mitglied Gerd Löffler einen ersten Richtlinienentwurf vor, der de facto eine Kriegserklärung an die studentischen Beschäftigten war. Massenentlassungen von bis dahin unbefristet Eingestellten sollten bis März 1976 stattfinden, und für die Übrigbleibenden waren Beschränkungen der Arbeitszeit, Verringerung des Stundenlohns, Abbau von Sozialleistungen, völlige Abhängigkeit von Professor_innen und politische Überprüfungen (im Sinne des wenige Jahre zuvor durchgesetzten Radikalenerlasses) vorgesehen. Während die Massentlassungen von den Arbeitsgerichten gestoppt wurden, verhinderte ein massiver Arbeitskampf der studentischen Beschäftigten, der in einem einwöchigen Warnstreik gipfelte, die Verschärfung der Arbeitsbedingungen. Dass es den Student_innen gelang, Universitätspräsidenten, Fachbereichsräte und die akademischen Senate in den Kampf gegen die Richtlinien hineinzuziehen, dürfte zum Erfolg des Arbeitskampfes beigetragen haben.
Ausgehend von diesen zumindest in ihrer abwehrenden Ausrichtung erfolgreichen Kämpfen forderte die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) 1976 erstmals einen Tarifvertrag, der die Interessenvermittlung zwischen dem Staat und den studentischen Beschäftigten gewähren sollte. Die komplizierte und hierarchische Gewerkschaftsbürokratie hatte in Westdeutschland bis dahin Student_innen eher als linksradikale Chaoten und Störenfriede betrachtet und scheute vor der Vertretung von Randgruppen Beschäftigter, insbesondere im Dienstleistungssektor, noch zurück. Mit dieser gewerkschaftlichen Ausrichtung auf den bloßen Erhalt des für akzeptabel befundenen status quo und der damit einhergehenden Kompromissbereitschaft gegenüber den Zumutungen der Herrschenden sollten die studentischen Beschäftigten noch in argen Konflikt geraten.
Die Staatsrepräsentanten hatten jedenfalls an Vermittlung erst einmal keinerlei Interesse, sondern brachten im Gegenteil eine zweite Richtlinie auf den Weg, die wiederum an immensem Widerstand scheiterte. Schließlich sahen sie sich aufgrund von Warnstreiks und Protestveranstaltungen genötigt, als Verband von Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes in Berlin (VAdöD) ab 1979 Tarifverhandlungen aufzunehmen. Diese zogen sich aufgrund der heute immer noch üblichen lächerlichen Angebote der Staatsseite, die die Gewerkschaft als indiskutabel ablehnte, bis 1980 hin. Erst weitere Arbeitsniederlegungen und sie begleitende Protestaktionen konnten die Staatsseite zwingen, nach einer vierzehnstündigen Mammutsitzung in den Tarifvertrag einzuwilligen. Als Tarifvertrag für studentische Beschäftigte trat er zum 1.1.1981 in West-Berlin in Kraft, womit diese erstmals als rechtlich gleichwertige Arbeiter_innen anerkannt wurden. Eine Neuheit und Einzigartigkeit, die er bis heute in der Bundesrepublik geblieben ist. Das Vertragswerk sicherte die Arbeitsbedingungen, die in den letzten Jahren so heftigen Angriffen ausgesetzt waren und erwirkte in Urlaubs- und Sozialleistungen sogar leichte Verbesserungen. Allerdings wurde in ihm auch eine willkürliche Lohnhierarchie zwischen den Beschäftigten mit „anspruchsvollen“ Aufgaben in Lehre und Forschung an den Universitäten, selbigen an den Fachhochschulen und denjenigen, die in der Verwaltung tätig waren, festgeschrieben.
Der große Streik 1986
Mit dem Amtsantritt des neokonservativen Kissinger-Schülers und CDU-Abgeordneten Wilhelm A. Kewenig als Wissenschaftssenator brach in den 80er Jahren die Reaktion über die Berliner Hochschulen herein, die für Kewenig „Freigehege für Rechtsbrecher“ waren. In vorher ungekanntem Ausmaß beschnitt er die Autonomie der Hochschulen und ersetzte deren Selbstverwaltung durch direkten staatlichen Eingriff. Durch eine Erneuerung des Berliner Hochschulgesetzes hievte er 1982 zwei konservative Professoren in die Präsidialämter der FU und TU. Außerdem hatte er sich neben den BAfÖG-Empfänger_innen und der Vertretung der Schwulen und Lesben an den Universitäten die studentischen Beschäftigten, vor allem die Tutor_innen als Ziel seiner repressiven Politik auserkoren. Da der vier Jahre geltende Tarifvertrag ihn an Eingriffen in die Arbeitsbedingungen (Löhne, Vertragsdauer und Monatsstundenzahl) hinderte, setzte er kurzerhand die bereits vor Jahren von der SPD anvisierten massenhaften Entlassungen durch.
Damit reduzierte er unter dem Vorwand der Rationalisierung das Berliner Tutorienmodell auf eine fabrikmäßige Massenabfertigung. Kamen 1972 an der TU noch ca. 1.000 Tutor_innen auf 12.000 Student_innen, so verblieben 1982 noch knappe 750 Stellen für mittlerweile 26.000 Student_innen. Die Konsequenzen kann man sich anhand der heutigen Zustände ausmalen. Aufgrund der ersatzlosen Streichung vieler Tutorien stieg die Teilnehmer_innenzahl auf teilweise bis zu 100, individuelle Betreuung und intensive Vor- und Nachbereitung in Kleingruppen entfiel, inhaltliche Spielräume und Experimentiermöglichkeiten wurden der stupiden und unkritischen Repetition von Prüfungsstoffen geopfert. Letztlich wurden die Tutorien als billiger Ersatz von Veranstaltungen wissenschaftlicher Mitarbeiter_innen eingesetzt, wie es auch heute noch geschieht.
Weil die Kündigung des Tarifvertrages nach Kewenigs Vorstößen absehbar war, gründete 1984 ein kleines Häufchen Engagierter die „Tarifvertragsinitiative der studentischen Beschäftigten in Berlin“ (als TV-Ini abgekürzt), die bis zum offenen Ausbruch des Konfliktes vor allem klassische Aufklärungsarbeit leistete, indem sie vor den Folgen einer möglichen Kündigung warnte, für den Eintritt in die ÖTV warb und den Wiederaufbau des zusammengestutzten Tutorienmodells forderte. Während des Streiks sollte sie die maßgebliche Triebkraft der Basis gegenüber der unterwürfigen Verhandlungsführung der Gewerkschaftsfunktionär_innen bilden. Mitte des Jahres 1985 beschloss Kewenig wie erwartet, den Tarifvertrag pünktlich zur ersten Möglichkeit am 31.12.1985 zu kündigen. Die tariflichen Vereinbarungen sollten durch Verwaltungsrichtlinien ersetzt werden, deren maßgebliche Inhalte eine Lohnkürzung um gut ein Drittel (von 16,69 DM auf 11,50 DM) sowie weitere drastische Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen waren. Insgesamt wären den Beschäftigten gut 40% ihres Einkommens gestrichen worden. Parallel zu diesem Großangriff plante Kewenig, mit einer Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes die Struktur der Universitäten in autoritärer Weise umzubauen. Die „doppelte Mehrheit“ der Statusgruppe der Professor_innen sollte eingeführt werden und so die unanfechtbare Entscheidungshoheit dieser zahlenmäßig kleinsten Interessengruppe in den universitären Gremien installieren. Gleichzeitig sollte die verfasste Student_innenschaft abgeschafft und die Möglichkeit zu Zwangsexmatrikulationen eingeführt werden. Die Folge dieses reaktionären Vorhabens war allerdings eine Resonanz von Tutor_innenstreik und Student_innenprotest, die die Berliner Hochschulen derart zum Tanzen brachte, dass die Durchsetzung des TV Stud II, der heute noch gilt, und die Abmilderung des reaktionären Hochschulgesetzes gelang.
Bis zum Jahresende 1985 scheiterten vier Verhandlungsrunden über einen neuen Tarifvertrag an der sturen Blockade der VAdöD, woraufhin der Bezirksvorstand der ÖTV eine Urabstimmung über die Einleitung von Arbeitskampfmaßnahmen bei dem in Stuttgart residierenden Hauptvorstand beantragte. Ohne das Ja von oben sollen die unten sich nicht rühren dürfen. Aber die Kompromisssucht und Konfliktscheue der Gewerkschaftsbürokratie schlug vorher zu und servierte dem VAdöD eigenmächtig und an der TV-Ini vorbei ein Schlichtungsangebot. Der wütende Protest der studentischen Beschäftigten konnte daran nichts mehr ändern, aber Kewenig und der Innensenator Lummer ließen die Schlichtung mit der Forderung nach Einlenkung platzen.
Mit dem ersten Vorlesungstag am 6. Januar 1986 brachten die Tutor_innen jedoch gegen alle Erwartungen wieder Bewegung in die festgefahrene Situation. Noch bevor der schwerfällige Hauptvorstand der Urabstimmung zugestimmt hatte, begannen sie mit spontanen Arbeitsniederlegungen, Demonstrationen, Verkehrsblockaden, militanten Unterbrechungen des Lehrbetriebs und anderen Protestaktionen. Als sogenannte wilde Streiks, weil sie von der Gewerkschaft nicht ausgerufen wurden, standen die Aktionen nicht unter dem Schutz des Arbeitsrechts. Um den gewerkschaftlichen Rechtsschutz doch zu erlangen, reiste eine kleine Delegation von Beschäftigten spontan und auf eigene Kosten nach Stuttgart und drängte den Hauptvorstand persönlich zur Urabstimmung. Jedoch ohne unmittelbaren Erfolg: ein Telefonat des Senatsdirektors mit der Gewerkschaftsvorsitzenden reichte, um erneut die Schlichtungswilligkeit der Gewerkschaft herbei zu führen. Die Urabstimmung wurde in Richtung des Semesterendes auf den 21. und 22. Januar verschoben. Allerdings bewirkte das energische Auftreten der Student_innen immerhin, dass die Gewerkschaft zu Warnstreiks aufrief, was den spontanen Aktionen Rechtsschutz gewährte. Zudem verhinderten sie durch energischen Protest die Annahme eines unbefriedigenden Angebotes, das die Bezirksleitung in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Staat vorgelegt hatte. Nach heftigen Diskussionen wurde die Bezirksleitung genötigt, nicht mehr hinter die Forderungen der mehrheitlich studentisch besetzten Tarifkommission zurückzuweichen.
Während bis zur Urabstimmung immer mehr Fachbereiche von Warnstreiks lahmgelegt wurden, beschlossen auf Vollversammlungen zunächst die Student_innen der TU und etwas später die der FU, ihre lohnarbeitenden Kommiliton_innen durch Streiks zu unterstützen, sodass der Protest den gesamten Universitätsbetrieb West-Berlins ergriff. Am 21. und 22. Januar 1986 fand schließlich die Urabstimmung über den Streik statt. 500 Beschäftigte traten dabei spontan der Gewerkschaft bei, was ihren Organisationsgrad von kaum 12 auf 50% hochschnellen ließ. Im Audimax der TU wurde das Ergebnis bekannt gegeben: 98,6% hatten für die Arbeitsniederlegung gestimmt. Der Streik begann am Folgetag unter der auf einem Transparent festgehaltenen Parole „Bis hierher und nicht weiter – no pasaran“ und dauerte zwei Wochen. Auf seinem Höhepunkt demonstrierten 20.000 Menschen gegen das neue Hochschulgesetz und die Kündigung des Tarifvertrages. Die beiden großen West-Berliner Universitäten, die Hochschule der Künste und weitere Fachhochschulen wurden trotz teils brutalen Polizeieinsatzes kontinuierlich bestreikt, wissenschaftliche Mitarbeiter_innen wiesen die Aufforderungen ihrer Präsidenten zur Aushilfe als „Streikbrechdienste“ zurück und 200 Professor_innen solidarisierten sich öffentlich im Tagesspiegel mit den Zielen der Streikenden.
In den zwei Wochen des Streiks hatten sich die Hochschulen in das verwandelt, was sie angeblich immer sein sollen: eine gemeinsame Lebenswelt. In den eingerichteten Cafés, Streikbüros, Essensräumen und Glühweinständen entstand ein reger Austausch, die kahlen Hochschulgebäude wurden innen und außen durch zahlreiche Transparente umdekoriert, Theater-, Video-, Musik-, Plakat- und Pressegruppen belebten die Wartezeiten, begleiteten den Streik mit täglich erscheinenden Streikzeitschriften und feierten exzessive Feten.
Diesem geballten und energischen Widerstand gab die Staatsmacht schließlich im Februar zumindest teilweise nach. So wurde ihr ein Tarifvertrag abgerungen, der die Mantelbedingungen (Vertragsdauer, -umfang, Sozialleistungen etc.) des vorherigen beibehielt und die Lohnkürzungen zumindest auf 9% reduzieren konnte. Im Resultat konnte dieser Abwehrkampf zwar nur eine Einschränkung der Kürzungen erreichen, aber er verdeutlichte als herausragendes Beispiel für die gesamte Bundesrepublik, dass ein umfassender Arbeitskampf den Staat zu Zugeständnissen nötigen und die Arbeits- und damit Lebensbedingungen entscheidend verbessern kann.
Auch das von Kewenig vorgelegte Hochschulgesetz konnte nach den stürmischen Protesten nur noch in wesentlich abgemilderter Form durchgebracht werden. Die doppelte Mehrheit der Professor_innen entfiel und der AStA blieb. Auch die Einführung der Kategorie „wissenschaftliche Hilfskräfte mit Universitätsabschluss“ konnte verhindert werden. Sie dient bis heute außerhalb Berlins dazu, Angestellten den Status der wissenschaftlichen Mitarbeiter_in und damit die reguläre tarifliche Absicherung zu verwehren. Auch zur Ersetzung regulärer Stellen werden diese untertariflich bezahlten Hilfskräfte eingesetzt.
Einiges lässt sich an den Kämpfen für einen Tarifvertrag erkennen:
Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist bietet keinesfalls Schutz vor den Zumutungen kapitalistischer Ausbeutung. Im Gegenteil: grundlegend setzt er als Agent der herrschenden Klasse deren Interessen durch und versucht sie als Allgemeininteresse auszugeben. Er ist damit parteiübergreifend an dem Raubzug nach Lebenszeit der Arbeiter beteiligt; einerseits strukturell, indem er die Ordnung des Privateigentums, die die große Masse vom gesellschaftlich produzierten Reichtum ausschließt, gewaltsam aufrecht erhält, andererseits indem er die spezifischen Bedingungen der Kapitalakkumulation zu fördern versucht. Im konkreten Fall installiert er autoritäre Strukturen an den Hochschulen und verbessert die Bedingungen der Ausbeutung durch Bereitstellung billiger und rechtlich möglichst ungeschützter Arbeitskräfte. Was an rechtlichen Zugeständnissen und Sicherungen für die Beherrschten besteht, ist dem Staat in harten Kämpfen abgerungen, also gegen ihn durchgesetzt worden. Der Tarifvertrag ist kein Geschenk des Staates.
Heutige Massengewerkschaften sind in ihrer bürokratischen Hierarchie schwerfällige Organisationen, die das Interesse einer gewissen, heute meist sehr weit gefassten Klientel vertreten. Sie sind meist autoritär organisiert und grundsätzlich sozialdemokratisch, was heißen soll, dass ihr Gesellschaftsentwurf nicht darüber hinaus geht, den Beherrschten einen willkürlich als „angemessen“ festgelegten Teil vom Profitkuchen zuzusprechen und ihn gegebenenfalls über Reformen oder Arbeitskampf ein wenig zu vergrößern. Ihre domestizierende Funktion in den kapitalistischen Nachkriegsgesellschaften fasste Johannes Agnoli in „Die Transformation der Demokratie“ präzise zusammen: „Fraglos sorgen integrierte Gewerkschaften mit größerem Erfolg als Kampfgewerkschaften – wenngleich nur in hochkonjukturellen Perioden – für die Sicherung und möglichst für die Erhöhung des Lohnanteils der Abhängigen. Sie überlassen jedoch den Unternehmern die Organisation der Arbeit und die Lenkung der Produktion. Dadurch wird das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit entpolitisiert: nicht mehr als Konfliktsituation verstanden, in der Herrschaft ausgeübt und gegen Herrschaft gekämpft wird. Herrschaft und Ausbeutung werden getrennt, die Aufhebung der letzteren (als eigentliches Ziel der gewerkschaftlichen Tätigkeit vorgestellt) wird von der Befehlsstruktur der Produktion losgelöst und abstrakt als Hebung des Lebensstandards angestrebt, ohne daß die Herrschaftsfrage (wer organisiert die Arbeit; wer entscheidet im Produktionsprozeß) gestellt wäre.“ Folglich findet der Kampf der integrierten Gewerkschaften seine Grenze an einer systemimmanenten Verbesserung oder Erhaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder. Gegen eine nicht selten kampfbereitere Basis lassen sie sich oft mit viel zu wenig abspeisen und gehen schnelle und einfache Kompromisse ein, um die ihnen überlassene Rolle der Anästhesierung der arbeitenden Massen (im ideologischen Neusprech: Sozialpartnerschaft) nicht einzubüßen. Wie gesehen ist der Tarifvertrag in seinem großen finanziellen Umfang kein Geschenk der Gewerkschaften.
Student_innen bilden seit den 60er Jahren die große Masse der zukünftigen mittleren und höheren Angestellten oder Beamten. Ihre Klassenlage ist uneinheitlich, wobei in der BRD weiterhin die wenigsten von ihnen kein akademisches oder zahlungskräftiges Elternhaus haben. Ihre Anstellungs- und Lohnaussichten differieren ebenfalls gravierend, sodass die vorgebliche Einheit „Studierendenschaft“ nur abstrakt über die Immatrikulation besteht. Das führt immer wieder zu dem ideologischen Selbstmissverständnis, man sei eine homogene Interessengruppe mit identischen Zielen.
Eine andere sich hartnäckig haltende Vorstellung, die meist auch in krassem Widerspruch zu den späteren Arbeitsbedingungen steht, beinhaltet einen Standesdünkel, der in ältester ideologischer Formation die Kopfarbeit höher einschätzt als die Handarbeit. Deutlich wurde das an einer Spaltung innerhalb der studentischen Beschäftigten. Im Brennpunkt der Tarifverhandlungen stand mit dem Tutorienmodell nämlich nur der Lohn der Gehaltsgruppe I, mithin derjenigen studentischen Beschäftigten, die als Tutor_innen selbst Lehrtätigkeiten übernehmen oder in Forschung und Lehre arbeiten. Die studentischen Beschäftigten, die in der Verwaltung (Bibliotheken, Druckereien etc.) angestellt sind und in die Gehaltsgruppe II fallen, wurden von den Tutor_innen zumeist nur belächelt oder bemitleidet. In der letzten Verhandlungsrunde versuchten einige Tutor_innen sogar die Beschäftigungsuntergrenze von 40 Stunden für sich dadurch zu retten, dass die Ausnahmeregelung nur für die „Nicht-Tutor_innen“ gelten sollte. Das hätte bedeutet, dass für diese die Untergrenze de facto weggefallen wäre. Das gelang nicht, aber im Tarifvertrag blieb trotzdem eine Lohndifferenz von fast 3 DM festgeschrieben.
Mit dieser ideologischen Höherstellung der Kopfarbeit geht innerhalb der Studierendenschaft, aber auch über diese hinaus im ganzen wissenschaftlichen Prekariat, die falsche Vorstellung einher, es handele sich bei dem, was man tut, gar nicht um Lohnarbeit, sondern um (Selbst-)Bildung. Als Intelligenz meint man sich den Kämpfen um die materiellen Lebensbedingungen enthoben und redet sich mit luftigen, aber nicht sättigenden Dingen wie Geist, Bildung und Wissenschaft Arbeitsbedingungen schön, die keine Proletarier_in je akzeptieren würde. Schon Ende 20er Jahren konstatierte Siegfried Kracauer in seiner Studie über die Angestellten deren Mangel an Klassenbewusstsein: „Die Masse der Angestellten unterscheidet sich vom Arbeiter-Proletariat darin, daß sie geistig obdachlos ist. Zu den Genossen kann sie vorläufig nicht hinfinden, und das Haus der bürgerlichen Begriffe und Gefühle, das sie bewohnt hat, ist eingestürzt, weil ihm durch die wirtschaftliche Entwicklung die Fundamente entzogen worden sind. Sie lebt gegenwärtig ohne eine Lehre, zu der sie aufblicken, ohne ein Ziel, das sie erfragen könnte. Also lebt sie in Furcht davor, aufzublicken und sich bis zum Ende durchzufragen. Nichts kennzeichnet so sehr dieses Leben, das nur in eingeschränktem Sinne Leben heißen darf, als die Art und Weise, in der ihm das Höhere erscheint. Es ist ihm nicht Gehalt, sondern Glanz.“ Dieser krassen Fehleinschätzung der eigenen Arbeits- und Gesellschaftsposition bediente sich auch Kewenig, um den studentischen Beschäftigten vorzuhalten, sie müssten geradezu froh darüber sein, dass ihre Arbeitskraft fremdbestimmt angewendet würde, immerhin würden sie dabei Erfahrungen sammeln. Dafür Lohn zu fordern, sei vermessen. In abgeschwächter Form findet sich diese Vorstellung auch heute noch in den Gewerkschaften. Dass man sich mit dem Inhalt der Arbeit identifizieren mag, ändert aber absolut gar nichts daran, dass sie der Form nach Lohnarbeit bleibt, also die eigene Arbeitskraft fremdbestimmt für die Zwecke von Staat und Kapital angewendet wird.
Die Einheit der Studierendenschaft mit den studentischen Beschäftigten ist also sowenig wie die Einheit innerhalb der studentischen Beschäftigten ein gegebenes Faktum, sondern muss erst aktiv hergestellt werden über die Bezugnahme aufeinander als Gleiche. Ebenso muss die eigene Arbeit als Lohnarbeit erkannt und die kostenlose Vernutzung der eigenen Arbeitskraft unter dem windigen Vorwand der Ausbildung zurückgewiesen werden. 1986 gelang dies den Student_innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen in einem verblüffenden Umfang und einer unerwarteten Intensität, wenn auch nicht vollständig. Der Tarifvertrag ist daher ein Geschenk derjenigen Student_innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen, die ihn mit ihrem Kampfwillen, ihrer Solidarität, ihrer Unentwegtheit, ihrem Durchhaltevermögens und ihrer Phantasie erfochten haben.
Einbeziehung der „Ossis“ und 25 Jahre neoliberale Konterrevolution
Mit dem Mauerfall und dem Anschluss des sozialistischen Konkurrenzstaates trat ein neues Problem auf: die Lohndifferenz zwischen Ost und West, die vor allem eine der Währung war. Nominell betrachtet erhielten die Kolleg_innen im Osten einen geringeren Lohn. Jedoch gelang es 1993, die Beschäftigten im Osten mit 80% des Westlohns durch eine Änderung in den Tarifvertrag einzugliedern („TV Stud II-Ost“). Drei Jahre später sollten die Löhne deckungsgleich sein.
Nach dem Zusammenbruch des von seinen Vertreter_innen so apostrophierten real existierenden Sozialismus setzte ein schleichender Verfall der tariflichen Absicherung ein. Die besondere Unfähigkeit, den Arbeitskampf an den Universitäten und Hochschulen fortzuführen oder gar zu intensivieren ist jedoch im Zusammenhang mit der allgemeineren Schockstarre der westlichen Linken angesichts der Brutalität des nun ungehemmt losbrechenden Klassenkampfes von oben zu verstehen.
In der Neufassung des Tarifvertrags von 2003 waren der Staatsseite Zugeständnisse beim Mindestvolumen der Arbeitsverträge gemacht worden. Allerdings gelang es, die Gruppenunterscheidung der Beschäftigten, die eine unbegründete und diskriminierende Lohnhierarchie festschrieb, aufzuheben, sodass nun alle 10,98€ Stundenlohn erhielten. Gleichzeitig ist dieser Lohn bis auf den heutigen Tag gleich geblieben, sodass durch die steigenden Lebenshaltungskosten der Reallohn sank. Zudem stiegen die Berliner Universitäten aus der VAdöD aus, was bedeutet, dass nun die einzelnen Universitäten und nicht mehr das Land Tarifvertragspartner sind und somit den Tarifvertrag zu jedem Jahresende individuell kündigen können (§24 TV Stud II).
Im Zuge der neoliberalen Umstrukturierung der Gesellschaft zur höheren Verwertungskompabilität (Hartz-Reformen) wurden auch die Universitäten umgekrempelt (Bologna-Reform 2006), um als marktförmige Unternehmen dem europäischen Kapital möglichst schnell und unkompliziert möglichst versierte, aber hörige Arbeitskräfte bereit zu stellen. Das bedingte eine immense Verschlechterung der Arbeitssituation an den Universitäten, die bisher relativ widerstandslos hingenommen wurde. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge stieg in erster Linie der Arbeitsaufwand (recht treffend als „Workload“ bezeichnet) für ein Studium, und mit dem Kreditpunktesystem, das von der ersten Minute des Studiums greift, wurde ein umfassendes Kontrollregime eingeführt. Das hat vor allem eine Verschärfung des klassenspezifischen Charakters der Universitäten zufolge, denn das Studium ist nun für Student_innen, die nicht auf wohlhabende Eltern oder eines der wenigen Stipendien zurückgreifen können, finanziell kaum mehr zu bestreiten. Die häufigste Ursache für die Verlängerung eines Studiums ist daher keineswegs die Faulheit der Student_innen, wie es das ressentimentgeladene Vorurteil sich ausmalt, sondern die Notwendigkeit der Lohnarbeit neben dem Studium.
Die in den Bachelorstudiengängen verankerten Pflichtpraktika, die man nüchtern betrachtet getrost als Zwangsarbeit bezeichnen kann, weil rechtlich keine Notwendigkeit ihrer Entlohnung besteht, werden zudem gezielt dazu eingesetzt, vormalig reguläre Stellen von studentischen Beschäftigten zu ersetzen. Gleichzeitig werden studentische Beschäftigte als billiger Ersatz von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Mitarbeiter_innen, mithin zur Lohndrückerei, eingesetzt, weil ihre Tätigkeitsbeschreibung im Tarifvertrag dies zulässt. Mit der Umwandlung von studentischen Hilfskraftstellen in Werkverträge versucht man zusätzlich noch, die Löhne und Sozialleistungen des Tarifvertrags zu umgehen.
Zusammenfassend lässt sich für die aktuelle Situation konstatieren, dass der Staat in der letzten Dekade einen enormen Raubbau am Wert der Ware Arbeitskraft betrieben hat. Der noch geltende Tarifvertrag für die studentischen Beschäftigten in Berlin stellt dabei zwar immer noch bundesweit eine Bastion gegen eine allzu unverschämte Ausbeutung dar, aber wie geschildert hängt sein Weiterbestehen momentan am seidenen Faden der Gutmütigkeit der Herrschenden. Höchste Zeit also, in die Puschen zu kommen und endlich wieder in den Kampf um die Rückgewinnung gestohlener Lebenszeit einzutreten. Bis hierher und nicht weiter!
Wie man das macht, kann ausführlich in dem Buch „Bis hierher und nicht weiter. Der Berliner Tutorenstreik 1986“ nachgelesen werden, das in mehreren Berliner Bibliotheken zur Verfügung steht und en detail den Ablauf des Streiks von 1986 analysiert.