SEMINAR DREI – HUCH#94

| Tea Medar Collot |

Wie es sich anfühlt, als Arbeiter_innenkind durch den eigenen Stundenplan, die Universität und nichtssagende Konversationen zu navigieren, beschreibt unsere Autorin in einem kurzen Essay.

Bild: Felix Deiters

hier kommen die wachen geister zum sterben hin, hier können die stimmen nichts mehr bedeuten, weil sie bleiern reden und sich bloß nicht verständigen wollen. die bösen objekte tummeln sich in reih und glied, ameisenstraßen verlaufen zwischen der einrichtung. leer und hungrig gähnen die geister unter den tischen. diese hölle ist gestaltet vom gesamtzusammenhang.

holprig stolpert hölderlin über sein eigenes versmaß. derweil gleiten formvorgaben über die köpfe neunzehnjähriger kinder – ihr blick fällt mürbe auf 1500 zeichen. „zu wenig, um die welt zu bedeuten“, denkt man sich, und lässt seine sehnsucht im moodle-kurs versauern, mal wieder, um drei uhr morgens. es laufen die avengers.

das nichtssagende gesicht von captain america erinnert mich daran, zumindest eine vergangenheit zu haben. als arbeiterkind war mein ganzes leben winter.

jetzt wird wieder diskutiert über das gute, das richtige. es sind prächtige worte, die ein gerüst aus reinem gar nichts zusammenhalten. aber immerhin lässt die fabrik ihre arbeiter nicht mehr abgekämpft nach hause kehren, um nur zu fressen und zu scheißen und zu schlafen. den akademikern ist das unwissen von der nasenspitze abzulesen. jeff bezos liefert es versandkostenfrei nach hause.

ich erinnere mich, sie haben angestrengt diskutiert. sämtliche belanglosigkeiten wurden in ein kleid der kritik genäht, die gar keine war. am ende konnte man sich wohlwollend drauf einigen, keinen einzigen schritt weitergekommen zu sein. dann gingen alle nach hause und der prozess wiederholte sich. am ende des semesters war man froh über den austausch.

lukács sprach von transzendentaler obdachlosigkeit. ich muss lachen, denn mein vater war lange obdachlos.

die armut hat mir krankheit in die knochen gelegt. ich habe die welt nicht verstanden, ich habe mich in abstraktion verloren und nicht begriffen, was praxis sein kann. ich bin in mich gegangen und habe alle probleme genau dort ausgemacht, wo ich selber stehe. die entpolitiserung meiner ökonomischen situation hat mich fast den verstand gekostet. das kind in mir glaubt immer noch, nichts wert zu sein.

gleichheit scheint liberaler konsens. also wird eben so getan, als seien wir gleichwertig, als ob die schönen freigeister sich von ökonomischen kategorien loslösen könnten, und ihre intellektuelle bestimmung nichts mit materieller situierung zu tun hätte. so kommen wir an die uni und sind froh, gleich zu sein.

so kommen hier die wachen geister zum sterben hin. adornos referat beginnt. gelangweilt spielt popper mit seinem handy.

Das generische Maskulinum wird in diesem Essay bewusst und im Rahmen der Kunstfreiheit verwendet.